Thüringer Landtagschaos: Merkels langer Schatten

Thüringer Landtagschaos: Merkels langer Schatten

Nichtkonstitutierter Erfurter Landtag nach der gestern abgebrochenen Sitzung: Produkt einer Demokratiesabotage (Foto:Imago)

Gestern gab es einen Eklat mit Ansage im Thüringer Parlament, dem skandalträchtigen Center-Court deutscher Machtpolitik. Mal wieder. Hier in Erfurt sah man schon medienwirksam zu Boden geworfene Glückwunschblumen, die telefonisch befohlene Rückabwicklung einer vollzogenen demokratischen Wahl und schließlich die mit 27 Tagen kürzeste je gesehene Amtszeit eines deutschen Ministerpräsidenten. Eine besondere „Beschädigung” oder gar “Zerstörung der”Demokratie“ wurde damals nicht konstatiert – entsprach doch das Ergebnis Ramelows den Wünschen der linksaffinen Leitmedien. Gestern nun zeigte die konstituierende Sitzung des neuen Landtages erneut nicht das gewünschte Ergebnis der deutschen Brandmauerfans – denn abschließend konnte die Nichtwahl des ersten deutschen AfD-Landtagspräsidenten nicht so wie erhofft vermeldet werden: Mit pausenlosen Wortmeldungen und Geschäftsordnungsanträgen durch CDU und ein erstaunlich engagiert auftretendes BSW wurde zwar der kommissarische Alterspräsident Treutler daran gehindert, die konstituierende erste Sitzung abzuwickeln – aber über den Abbruch der Sitzung hinaus wurde nichts Zählbares erreicht. Die CDU bemüht nun das Landesverfassungsgericht, in der Hoffnung, dort noch vor dem Wochenende Recht zu bekommen.

Die schäumenden Qualitätsmedien bringen sich ob der ins öffentliche Scheinwerferlicht geratenden Mechanik der Macht bereits bundesweit in Stellung und sehen erneut die Chance, die AfD doch noch mit einem Verbotsverfahren vollständig vom Spielfeld zu räumen. Noch immer hofft man offenbar in den Redaktionsstuben den Alleinvertretungsanspruch über die Geschicke der Bundesrepublik mit Taschenspielertricks wieder herstellen zu können. Die Lernfähigkeit der Gebührenempfänger geht gegen Null.

Das Schattenboxen einmal beiseite gelassen

Aber lassen wir das Schattenboxen und auch die nicht sonderlich souveräne Performance des Sitzungsleiters Treutler einmal beiseite und versuchen, objektiv und nüchtern die rechtliche Situation zu klären. In der Geschäftsordnung des Thüringer Landtages findet sich zur Sache folgendes:

§ 1 Erste Sitzung des Landtags

(2) Die erste Sitzung des Landtags leitet das an Jahren älteste oder, wenn es ablehnt, das jeweils nächstälteste Mitglied des Landtags, bis die neu gewählte Präsidentin beziehungsweise der neu gewählte Präsident oder deren Stellvertretung das Amt übernimmt.
(3) Die Alterspräsidentin beziehungsweise der Alterspräsident ernennt zwei Abgeordnete zu vorläufigen Schriftführerinnen beziehungsweise Schriftführern und lässt die Namen der Abgeordneten aufrufen.
(4) Nach Feststellung der Beschlussfähigkeit wählt der Landtag die Präsidentin beziehungsweise den Präsidenten, die Vizepräsidentinnen beziehungsweise Vizepräsidenten und 18 Schriftführerinnen und Schriftführer und bildet einen Petitionsausschuss.
§ 2 Wahl der Präsidentin beziehungsweise des Präsidenten und der Stellvertreterinnen beziehungsweise Stellvertreter
(2) Die stärkste Fraktion schlägt ein Mitglied des Landtags für die Wahl zur Präsidentin beziehungsweise zum Präsidenten vor. Die anderen Fraktionen schlagen jeweils ein Mitglied des Landtags für die Wahl zur Vizepräsidentin beziehungsweise zum Vizepräsidenten vor, sodass jede Fraktion im Vorstand des Landtags mit einem Mitglied vertreten ist.

Nun zum gestrigen Ablauf der Sitzung: Per Antrag zur Geschäftsordnung versuchten CDU/BSW noch während der Eröffnungsrede Treutlers, die Beschlussfähigkeit des noch nicht konstituierten Parlaments nach Paragraph 1, Absatz 4 feststellen zu lassen. Treutler würgte dies ab, um seine Rede fertig verlesen zu können, aber sehr wahrscheinlich auch, um zu verhindern, dass mit eben dieser festgestellten Beschlussfähigkeit in letzter Sekunde vor der anstehenden Wahl die Geschäftsordnung zur Wahl des Präsidenten geändert wird. In der Verhinderung der festgestellten Beschlussfähigkeit könnte das angerufene Landesverfassungsgericht einen Verstoß gegen die Geschäftsordnung sehen.

Gesetzgebung funktioniert nicht bei verfeindeten Parteienlagern

Die alles entscheidende Frage lautet hierbei verkürzt: Erst Beschlussfähigkeit (dann Änderung der Geschäftsordnung) und dann Präsident – oder erst Präsident und dann Beschlussfähigkeit? Dies bietet zumindest Interpretationsspielraum (ist das Parlament unter einem AfD-Präsidenten einmal gewählt und der Landtag konstituiert, greift die Sperrminorität der AfD und die Geschäftsordnung kann nicht mehr per Zweidrittelmehrheit geändert werden). Laut Paragraph 2, Absatz 2 der Geschäftsordnung steht das Vorschlagsrecht für den Landtagspräsidenten ausschließlich der stärksten Fraktion zu. Eine Verpflichtung zur Wahl ist hieraus – wie schon in den Regelungen zur Wahl von Ausschussvorsitzenden – nicht abzuleiten, aber der zu vermutenden, endlos wiederholten Ablehnung von AfD-Kandidaten schlösse sich kein Vorschlagsrecht der anderen Fraktionen für ihre Vertreter an. Man würde de facto die Arbeitsfähigkeit des Parlaments blockieren; eine veritable Zwickmühle für die Altparteien des “demokratischen” Sektors.

Am Beispiel Thüringen zeigt sich, dass die deutsche Gesetzgebung von der Verfassung bis hin zum wachsweichen Geschäftsordnungsrecht nicht für regelrecht verfeindete Parteienlager und willkürliche herbeigeführte Gesetzesbrüche konstruiert ist. Die Demokratie bedarf eines Grundkonsenses der beteiligten Parteien darüber, dass vereinbarte Spielregeln nicht angetastet werden dürfen. Das gegenseitige Vertrauen ist aber nach endlosen arroganten Rechtsbeugungen restlos zerstört. Nicht die AfD, sondern die Merkelsche Hybris mit ihrer Willkürherrschaft liegt wie ein Schatten über der deutschen Demokratie.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert