
Vorgestern nach turbulenter Kreuzfahrt endlich an unserem Reiseziel Azoren angekommen, verzögerte sich dort der Einlauf in den Hafen Porta Delgada auf der Insel Sao Miguel wegen des strammen Windes um zwei Stunden – bis zwei leistungsstarke Schlepper unser schwimmendes Hotel, die Artania, sicher in den Hafen bugsieren konnten. Der anschließende – verzögerte – Busausflug zu einem der interessantesten Vulkane des Archipels fiel halbwegs ins Wasser; Regen erlaubte keinen Blick vom Kraterrand hinunter auf die unterschiedlich gefärbten Kraterseen. Eigentlich besteht die ganze Inselgruppe aus Vulkanen: Es sind fünf große und etwa 500 kleine, von denen viele inzwischen durch die Erosion zu weitläufigen Hügeln abgeschliffen sind, die landwirtschaftlich genutzt werden. Als zweiter Hafen auf den Azoren war Horta auf der Insel Faial vorgesehen; aber dort angekommen, mussten wir wieder abdrehen, weil sich der heftige Wind immer noch nicht gelegt hatte. Nichts zu sehen, nichts zu berichten. Deshalb in diesem Artikel einige allgemeine, aber gleichwohl interessante Infos.
Die Azoren sind ein Eldorado für Wassersportler, insbesondere für Unterwassersportler und Segler. Taucher sind dort mit Großfischen auf Du und Du. Für Segelfans ist diese Inselgruppe, gelegen auf einem Drittel des Seewegs von Portugal nach Amerika, eigentlich elementar – doch während der zweitägigen Schifffahrt von der iberischen Halbinseln zu den Inseln war nicht ein einziges Segelschiff zu sehen. Das hatte gute Gründe: Wind und Wellen wären für sie ein Himmelfahrtskommando gewesen, denn eine Windstärke von 9 Beaufort, noch dazu aus ungewohnter Richtung, und sechs Meter hohe Wellen wäre nur etwas für lebensmüde Segler. Die Artania steckte das locker weg – nicht aber alle Passagiere. Auch auf dieser Etappe wieder musste einer der Passagiere mit einem Helikopter an Land geflogen werden. Diesmal war es ein Militärhubschrauber, über dem ein Militärflugzeug kreiste; anscheinend musste diese Rettung gleichzeitig als Übung herhalten. Eine Landung auf dem Schiff war wegen Wind und Wellen nicht möglich, weshalb ein Soldat mit Bahre nach Achterschiff abgeseilt wurde.
Wichtiger Stützpunkt
Die Azoren wurden erstmals auf den Landkarten des 14. Jahrhunderts verzeichnet. Dies könnte auf Sichtungen zurückgehen, die Seefahrer bei der Rückkehr von den Kanarischen Inseln gemacht haben. Die Azoren wurden 1427 von Diogo de Silves im Auftrag von Heinrich dem Seefahrer aufgesucht und für Portugal in Besitz genommen (heute werden Länder auch ohne Auftrag in Besitz genommen). Die Besiedlung der Azoren begann Mitte des 15. Jahrhunderts, zuerst ab 1431 auf der Insel Santa Maria. Die Azoren wurden bald ein wichtiger Stützpunkt auf dem Weg zu europäischen „Besitzungen“ in Mittel- und Südamerika. Hier wurden noch einmal Vorräte und Wasser an Bord genommen. Auch auf dem Rückweg waren die Azoren wichtig: So besuchte Christoph Kolumbus die Inseln 1493 auf seiner ersten Entdeckungsfahrt. 1580 wurde Philipp II. König von Spanien – und in Personalunion als Philipp I. auch König von Portugal. Die Azoren versagten dem spanischen König jedoch zunächst die Anerkennung; so kämpften die Bewohner der Insel Terceira mit allen Mitteln – unter anderem mit Stieren – gegen die spanischen Truppen. Noch heute erinnern Volksfeste daran, bei denen freigelassene Stiere wagemutige Männer durch Straßen jagen und auch ins Meer treiben, so wie damals.
Doch 1583 unterwarf sich Terceira dann doch der spanischen Krone. Erst 1640 wurde Portugal wieder unabhängig. 1759 wurden die Jesuiten von den Inseln vertrieben. 1770 erklärte Minister Sebastião José de Carvalho e Melo, Marquês de Pombal, die Azoren zur Kolonie. Nach dem Niedergang des Zuckerrohranbaus mit Beginn des 19. Jahrhunderts erlebte die Inselgruppe dann wieder eine wirtschaftliche Blüte. Doch Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Landwirtschaft durch Schädlinge schwer getroffen. Deshalb wurde der Walfang durch den Aufbau einer Walfangflotte intensiviert. Zu dieser wirtschaftlichen Entwicklung trugen die guten Beziehungen zu den USA bei. Viele Bewohner der Azoren heuerten auf amerikanischen Walfangschiffen an, viele wanderten auch dauerhaft aus.
Vulkane als “Klima”-Dreckschleudern
Mit der zunehmenden Technisierung wurden die Azoren zur Schaltstelle zwischen Amerika und Europa. Die aufkommende Dampfschifffahrt benötigte Häfen zur Versorgung mit Kohle, weshalb Kohlebunker angelegt wurden. Ab 1893 verband das erste Unterseekabel über die Insel Faial die beiden Kontinente Europa und Amerika. In den 1930er Jahren landeten die ersten Transatlantikflüge im Linienverkehr mit großen Wasserflugzeugen im Hafen von Horta. 1941 planten die USA dann mit dem War Plan Gray, die Inseln zu annektieren. Der Plan wurde zwar verworfen, aber die USA entdeckten die versteppte Westseite der Insel Santa Maria als geeignetes Gelände für einen Großflughafen. Ab 1944 bauten sie den Airport Santa Maria, der bis in die 1970er Jahre als Zwischenstopp für Transatlantikflüge diente. 1943 bauten die Amerikaner auf der Insel Terceira ihren bereits 1913 gegründeten Stützpunkt aus. Das Flugfeld ermöglichte es der US-Luftwaffe, im Zweiten Weltkrieg große Flugverbände einzusetzen.
1975/1976 wurden die Azoren autonome Region Portugals mit einer Regionalregierung in Po-ta Delgada und einem Regionalparlament in Horta. Der Vertreter der Republik Portugal residiert in Angra do Heroismo – etwa wie im EU-Europa mit der Zentrale in Brüssel, dem Abnick-Parlament in Straßburg und der Residenz von der Leyen aus dem Haus des Lächelns. Nach dem EU-Beitritt Portugals wurde die Milchwirtschaft erheblich intensiviert und verdrängte zum Teil die Plantagenwirtschaft. Es soll auf dem Archipel heute mehr Rinder als Einwohner geben. Auch der Tourismus, insbesondere der „Ökotourismus“, wird für die Azoren immer wichtiger. Es gibt auch eine Attraktion, bei der den Touristen gezeigt wird, wie sie ohne Strom oder Gas „klimaneutral“ kochen können: In heißen Vulkanritzen nämlich. Bloß gibt es solche in den Haushalten nicht – abgesehen davon, dass Vulkane (nicht nur auf den Azoren) regelrechte Dreckschleudern fürs „Klima“ sind. Immobilienhaie bieten an den Hängen der Vulkane Grundstücke zum Bebauen an, mit dem Verkaufsargument, die Fußbodenheizung liege ja schon.
Europa hat’s ja…
Aber Spaß beiseite: 2008 wurde auf der Hauptinsel São Miguel ein neuer Jachthafen eingeweiht, auch wurden neue Straßen gebaut und die Infrastruktur verbessert – so, wie eben jedes neue EU-Beitrittsland mit solchen Nettigkeiten angelockt wird. Auf der Insel Sao Miguel wurde eine eigene Autobahn gebaut – und auch auf dem Inselchen Terceira, dort sogar eine für nur 6.000 Einwohner! Die Azoren wurden immer wieder von Vulkanausbrüchen und Erdbeben heimgesucht. Der letzte Ausbruch führte 1957 zur Entstehung des Vulkans Capelinhos an der Küste der Insel Faial. Etwa 2.000 Menschen mussten umgesiedelt werden, viele Bewohner wanderten in die USA aus. 1980 erschütterte ein Erdbeben die Insel Terceira und zerstörte deren Hauptstadt Angra do Heroísmo. Das letzte größere Beben ereignete sich 1998, dabei kamen auf der Insel Faial zehn Menschen um und Tausende wurden obdachlos. Dagegen verblassen die politischen “Beben” im Kerneuropa – denn die machen „nur“ arbeitslos und dadurch viele ärmer…
Auf den Azoren leben insgesamt 250.000 Einwohner, die überwiegend Portugiesen und zu 95 Prozent römisch-katholisch sind. Im 15. und frühen 19. Jahrhundert sowie 1933–1945 kam es zur verstärkten Einwanderung von Juden. So wanderten 1818/19 viele jüdisch-marokkanische Händlerfamilien ein, die erheblich dazu beitrugen, den Fernhandel der Azoren zu entwickeln. Eine Synagoge wurde 1836 in Ponta Delgada auf São Miguel erbaut. Dort und auf den Inseln Terceira, Faial und Graciosa gibt es noch heute jüdische Friedhöfe. Apropos Wirtschaft: Im Vergleich mit dem Bruttoinlandsprodukt der EU – ausgedrückt in Kaufkraft – erreichen die Azoren einen Wert von etwa zwei Dritteln. Damit gelten sie als eine, im europäischen Maßstab gesehen, noch wirtschaftsschwache Region Europas und erhalten Fördergelder der EU. Da die Azoren während der Diktatur Portugals bis 1974 stark vernachlässigt wurden, sind die Kosten des Aufbaus enorm. Aber wir in Europa haben‘s ja!
Große Ursprünglichkeit
Nochmals zum Tourismus. Wegen ihrer Ursprünglichkeit und des einzigartigen Klimas (eine “Klimakatastrophe” kennt man dort nicht) mit milden, nie extremen Temperaturen gewinnt auch der Tourismus auf den immergrünen Azoren zunehmend an Bedeutung. Neben den Festland-Portugiesen und internationalen Seglern stellen Touristen aus Deutschland, Frankreich und Italien eine große Besuchergruppe dar, ebenso wie Reisende aus den Neuengland-Staaten der USA sowie aus Kanada, die oft ausgewanderte Vorfahren von den Azoren haben. Es gibt keine ausgedehnten Sandstrände. Die Azoren-Urlauber sind meist Naturliebhaber und Wanderer. Transatlantische Segler nutzen die Häfen von Horta (Faial) und Ponta Delgada (São Miguel) für Zwischenstopps. Auf mehreren Inseln wird Walbeobachtung angeboten. Aufgrund ihrer exponierten Lage im offenen Atlantik und dem Golfstrom, der relativ warmes Wasser anspült, gibt es rund um die Azoren zahlreiche Großfische und Meeressäuger, weshalb die Azoren, wie gesagt, auch bei uns Tauchern beliebt sind. Die stellenweise starke Strömung macht jedoch die Tauchgänge eher anspruchsvoll und für Anfänger ungeeignet. Auf allen neun Inseln gibt es inzwischen Tauchbasen.
Verschiedene Heil- und Thermalquellen machen den Ort Furnas auf der Hauptinsel São Miguel seit langem zu einem attraktiven Kurort, nicht nur für Festland-Portugiesen. Weitere heiße Quellen, die zum Baden genutzt werden, befinden sich in der Caldeira Velha unterhalb des Pico da Barrosa sowie im Meer bei Ginetes (Ponta da Ferraria), beide auf São Miguel gelegen. In den Kraterseen selbst ist nix los, auch wenn es dort kostenlos warmes „Badewasser“ gäbe. Und auf ein vulkanisches Dampfbad muss man länger warten als auf einen „Aufguss“ in der heimischen Sauna… Mal sehen, was unser letzter Halt auf der mittig der Azoren gelegenen Insel Terceira noch Neues bringt! Ansonsten folgt als nächstes ein Reisebericht aus Funchal, der Hauptstadt der ebenfalls portugiesischen Insel Madeira. Die Portugiesen haben ihre Spuren bis nach Brasilien hinterlassen, wo man bis heute Portugiesisch spricht. Bis dahin genieße ich die kopftuchlose Woche im Atlantik.
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