Berq mit seinem Debütalbum: Ein kleines musikalisches Wunder

Berq mit seinem Debütalbum: Ein kleines musikalisches Wunder

Sänger Felix Dauzenberg alias Berq: Berührender Pathos (Foto:ScreenshotYoutube)

Regelmäßig suche ich nach neuer Musik, was sich schnell als anstrengendes Unterfangen herausstellte. Zwar weiß ich nicht, ob früher alles besser war, jedoch erschien es damals einfacher, an passende Künstler zu gelangen. Die Theorie dazu: Aufgrund der Barrierefreiheit mit Künstlern kann heute  jeder auf Spotify und ohne Aufwand seine Ergüsse publizieren; dadurch ist die Lage am Musikmarkt unübersichtlich. Früher gab es – übrigens ähnlich wie im Journalismus – Gatekeeper, Filter, die entschieden, was veröffentlicht wird und was nicht. In meiner Branche waren das die Chefs vom Dienst. In der Musikbranche sind es die Chefs der Labels. Daher verweigere ich mich der These, dass früher die Musik einfach besser war. Richtig ist: Es gibt mehr poppigen Schrott, jedoch auch immer wieder Perlen, die wie Großstadtgeflüster Emotionen evozieren. Emotionen, die nur Musiker erzeugen können, die richtig gut in ihrer Profession sind.

So wie der Künstler Berq. Seit Leonard Cohen, nur eben ganz anders, waren musikalischer Pathos und literarische Präzision selten so kraftvoll vereint wie bei diesem jungen Mann von zwanzig Lenzen. Scheinbar spielerisch verknüpft Berq mit Instrumenten und Worten Melodien. Zum Beispiel wie im Lied „Pirouetten“ aus dem Album, das so heißt wie der Künstler selbst.

In Wut emanzipierte Verzweiflung

Du drehst deine Pirouetten, drehst sie auch ohne mich weiter
Drehst deine Zigaretten, drehst sie auch ohne mich weiter
Und du drehst deine Runden, dreh sie ruhig ohne mich weiter
Deine Welt dreht sich auch ohne mich weiter (…)
Und natürlich hab’ ich Zeit für dich. Aber tagsüber, da passt’s mir nicht

Ein wesentlicher Bestandteil dieses Songs (aber auch vieler anderer von ihm) ist die Artikulationskraft von Felix Dauzenberg, wie Berq mit bürgerlichem Namen heißt. Wirkt er zu Beginn von “Pirouetten” noch fast leise und zerbrechlich, ändern sich Stimme und Ausdruck im Laufe des Songs merklich. Berqs Verzweiflung emanzipiert sich in Wut, die sich dann wieder in eine spürbare Fragilität zurückentwickelt. Diese nur scheinbare Ambivalenz zieht sich durch das Album, das man guten Gewissens als das musikalische und literarische Geschenk des Jahres 2024 bezeichnen kann. Berq beschreibt gescheiterte und erfolgreiche – auch körperliche – Beziehungen, wie in „Alleine“:

Klar kannst du mir alles erzählen
Aber hör doch auf, mich mit Problemen zu quälen
Aber Hauptsache nicht alleine
In mei’m Zimmer 110
Kingsize-Bett, ich hab’s mit dir lieber bequem
Hauptsache nicht alleine
Und natürlich hab’ ich Zeit für dich
Aber tagsüber, da passt’s mir nicht

Man kann nur auf weitere Alben hoffen

Hier wird deutlich, wie Dauzenberg die Einsamkeit in seiner Wohnung verarbeitet. Wer kennt es nicht? Die erste eigene Wohnung, man sitzt in den eigenen vier Wänden und verarbeitet das Gefühl des Alleinseins, das in Larmoyanz abzugleiten droht. Ein Ausweg zeigt auch Berq nicht auf; wie auch? Außer vielleicht noch am ehesten in dem unfassbar berührenden Lied „vergissmeinnicht“, bei dem, da bin ich mir sicher, kein Auge einer Mutter trocken bleiben wird, die es hört:

„Ich komm’ heut nicht nach Haus, Mama
Schlaf ruhig schon ein, ich hoff’, du bist nicht auch allein
Wo ich jetzt wohn’, fühlt sich nicht an wie daheim
Aber ich komm’ nicht mehr nach Haus, Mama
Vielleicht kommst du mal vorbei“

Berq alias Dauzenberg oder Dauzenberg alias Berq hat mit seinem Debütalbum nicht weniger als ein kleines, musikalisches Wunder kreiert. Man darf dem 20-Jährigen nur alles Gute und noch weitere Inspirationen für berührende, tolle Songs wünschen. Es wäre schon eine veritable Leistung, wollte man den Pathos dieses Autors übertreffen, ohne dabei peinlich oder affektiert zu wirken. Das Ding ist: Berq ist 17 Jahre jünger als ich – und in seinem Metier sehr wahrscheinlich der weitaus bessere Künstler, jedenfalls definitiv mal der bessere Musiker. Ich freue mich auf weitere Alben von Berq.

5 Antworten

  1. Ein Glück ist es wie überall im Leben mit dem Geschmack so eine Sache. Ich kann Ihre Euphorie beim besten Willen nicht teilen. Bei Eröffnungslied „Heimweg“ habe ich mich leicht an Tüsn erinnert gefühlt und gehofft das es interessant wird. Beim zweiten Lied wurde ich dann meiner Neugier schon beraubt. Es hat mich beim besten Willen nicht mehr angesprochen. Beim dritten Lied habe ich dann ausgemacht. Es hat mir beim besten Willen nichts gegeben. Und ob es nun in deutscher Sprache ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Für mich klingt das nach typischer neuer deutscher Musik. Absolut uninteressant. Und leider kommt so etwas meistens von Männern. Unsere weiblichen Vertreter sind da etwas ansprechender. Die vier L s vorweg, Lotte, Lea, Lena, Leslie Clio.
    Bei den männlichen würde ich bei Schwarz( Voltair), Razz, Provinz, Daniel Wirz, Betterov, Wanda mal reinhören.
    Als Veröffentlichung des Jahres wollte ich Trevor Horn mit ECHOES – ANCIENT & MODERN empfehlen, die ist aber scgoam 1.12.2023 raus gekommen. Aber trotzdem eine der größten Perlen der letzten Jahre. Hören sie sich da mal den ersten Titel an. Danach suchen Sie mal das original. Es ist absolut genial, was der aus diesem Lied gemacht hat. Das Original finde ich total schrecklich. Die Coverversion ist genial.
    Young Gun Silver Fox sind auch immer eine Empfehlung wert. Leicht, beschwingt, zeitlos und das relativ neu.
    Slope mit Freak Dreams erinnert stark an Beastie Boys. Klingt aber oder gerade deswegen absolut toll. Erschienen 2024. Sie suchten doch neue Musik.
    The Knife, girl in Red, Giant Rooks, Gavin Friday, Bob Moses, The Castellows wären so meine Empfehlungen für die Feiertage. Ich hoffe da waren einige Neuigkeiten für Sie dabei.
    Wenn es unbedingt deutsch sein muss, empfehle ich den Blick mal in die ehemalige DDR zu werfen. Da gab es vortreffliche Musiker, die teilweise immer noch Musik auf extrem hohen Niveau machen. Musikalisch und textlich. IC Falkenberg ist in der Beziehung sehr weit vorne. Es gibt ihn aber, was für viele sehr abschreckend ist und ihn deswegen eher unbekannt hält, nicht auf den Internetplattformen. Aber seine Platten sind jeden Cent wert. Wenn Sie weitere musikalische Tipps wollen, sollten Ihnen die Redaktion sicher meine Mailadresse geben können, ich erlaube es hiermit auch.
    Ansonsten wünsche ich Ihnen weiterhin viel Spaß beim erkunden neuer Musik.

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    1. Gibt es eigentlich in diesem Genre auch noch Leute, die wie Biermann, Wader, Wecker, Gundermann oder Reiser Texte machen, die nicht nichtssagend oder systemkonform sind?
      Ich habe wirklich versucht, mir Ihre Vorschläge an zu hören, nein, es geht nicht.
      Ich habe in den 80er und frühen 90er Jahren selbst viel aus dieser Szene gehört, heute geht es gar nicht mehr.
      Was ist nur aus der deutschen Liedermacherszene geworden?

      1. Gundermann mit Biermann, Wader, Wacker und Reiser zu vergleichen, kann man machen aber ich persönlich finde ihn nicht so politisch wie die anderen drei. Musikalisch und stimmlich finde ich ihn von denen sogar am besten.
        Mit der Liedermachermusik, die sicher nicht jeder mag, ist es wie mit politischem Kabarett. Es ist nach meiner Ansicht tot. Seit der tötlichsten alle Krankheiten, mit den stärksten Bekämpfungsmaßnamen aller Zeiten, traut sich doch kein Witzeerzähler noch politisch zu sein, geschweige denn , was das politische Kabarett immer ausgemacht hat, der Politik den Spiegel vorzuhalten. Einzelküstler mit politischen Aussagen zu finden wird, glaube ich, sehr schwer. Ob musikalisch oder auf dem komödiantischen Sektor. Und dann ist immer noch die Frage welches politische Spektrum den abgedeckt werden soll?
        Aber zurück zur Musik. Es kommt darauf an was Sie für Musik suchen. Wie gesagt deutsch, IC Falkenberg hat mich wieder mitgenommen. Da zum Anfang mal seine CD „Agonie und Extase“ . Er hat dann noch, ich glaube achtzehn andere.
        Kari Bremnes, auch sehr gut, man versteht sie nur schlecht. Es sei den man kann norwegisch.
        Ansonsten bleibt es wie bei meinem kommentar. Alles ist Geschmacksache und der ist zum Glück verschieden.
        Schöne Feiertage noch

  2. Oh man, wie wenig Anspruch an die deutsche Kunst:
    „Mein Hass tritt dir die Haustür ein
    Er wird versuchen, nicht zu grob zu sein
    Hab keine Angst, er bringt dich schon nicht um
    Für den Fall, dass du noch kannst, kehrst du dann besser nicht mehr um“
    Mal abgesehen davon, dass diese Jammerstimme niemanden aus dem Sitz reisst, wie will man mit so einer Stimme jemals ein Livekonzert geben.
    Wäre es da nicht besser auf solche Bands wie Nachtblut zu verweisen?:
    „Ein herrliches Regime, muss man geschickt verwalten
    Ich lass sie glauben, es würd ihnen gut gehen, um sie ruhig zu halten
    Ja, wer sein Puppenhäuschen liebt, es mit Erlässen pflegt
    Und wer sich nicht an meine Regeln hält der wird zerlegt“
    Berq ist auch wieder nur ein Teil des Mainstreams, ja keine Aussagen machen.

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