Das dumme Gericht

Das dumme Gericht

Gerechtigkeit auf Erden… (Symbolbild:Imago)

Ich stand vor etwa einem Jahr vor einem alten Gebäude, das seit längerer Zeit Anstalten macht, ein Gericht sein zu wollen. Dieses Mal fungierte das Gebäude als Amtsgericht, doch das sollte sich ändern. Mein Vater hatte sein Büro am Amtsgericht einer großen Kreisstadt. Er war Bewährungshelfer, und ich bin heute Zuschauer. Der Sicherheitsdienst war gut gelaunt – warum auch immer – und machte Witze beim Abtasten der Besucher. Eine Dose im Handgepäck? Die muss leider draußen bleiben. Fast wie im Flieger, nur dass es nicht nach Malle geht oder auf die Kanaren, sondern in die Hölle deutscher Wohlstandsjuristen.

Zwar war ich nie Gerichtsreporter und reiße mich – trotz immer wiederkehrender Offerten – auch nicht darum, diesen Job zu übernehmen. Gisela Friedrichsen, die Grande Dame der Jura-Berichterstattung, ist ebenso wenig zu ersetzen, wie der Versuch zum Scheitern verurteilt ist, in einem im Kern erkrankten Rechtssystem nicht den Verstand zu verlieren.

Im Herzen immer Punk

Und doch war ich in den letzten zehn Jahren bei genau sieben Verfahren als Beobachter zugegen. Ich weiß, wie man eine Akte liest, wie man ein Gesetz interpretiert und ich weiß sogar, dass man aufstehen muss, wenn die Richter oder „die Kammer“ aus einem Raum kommen, um die Anwesenden im Sitzungssaal mit ihrer maßgeblichen Anwesenheit zu beglücken, die dann in einem weisen Richterspruch mündet.

Doch an diesem Tag war ich „zu” Gericht, oder „vor“ Gericht – oder doch nur „bei“ Gericht? Das Präpositionen-Billard macht deutlich, dass dieses „Gericht“, in diesem Fall noch Amtsgericht, eine umwerfende Autorität ausstrahlen soll, was mich als genuinen Punk im Herzen nur verächtlich lächeln lässt. Das machte die folgende Begegnung deutlich: Ein Mann, der so aussah wie mein ältester Neffe (und der ist 14), lief in Robe an mir vorbei in den Gerichtssaal. Nun gut, dachte ich bei mir; Jetzt dürfen die Schulpraktikanten also auch schon Robe tragen! Warum eigentlich nicht?

Und täglich grüßt die Verfolgung wegen „Meinungsverbrechen“

Tatsache leider jedoch war, dass dieser vermeintlich 14-Jährige gar nicht 14 Jahre alt war und auch nicht Sören heißt, obwohl er verdammt noch mal wie ein Sören aussah. Tatsächlich war er der Richter der verhandelten Strafsache. „Kinder an die Macht“, sang schon der Grönemeyer. Ob er damit Sören gemeint hat? Wie dem auch sei: In dem Verfahren ging es um zwei Tatvorwürfe, die beide auf ihre Art bezeichnend sind: Einerseits um “Widerstand gegen die Staatsgewalt” (was in diesem Fall wörtlich zu nehmen ist, weil sich der Delinquent und Angeklagte gegen eben diese Staatsgewalt – genauer: rohe Polizeigewalt – zur Wehr gesetzt hat), andererseits um ein Meinungsverbrechen.

Zunächst zum ersten Anklagepunkt. Polizisten neigen dazu, sobald sie erkannt haben, dass sie unverhältnismäßig Gewalt angewendet haben, eine perfide, aber sehr wirkungsvolle Täter-Opfer-Umkehr zu starten. Das Problem dabei ist, dass Polizisten in aller Regel mindestens zu zweit sind, während ihr Opfer in aller Regel alleine ist. „Vor“ Gericht (ich hoffe, die Präposition ist dem Hohen Hause recht) haben zwei Aussagen, die sich gegenseitig decken und bestätigen, freilich mehr Gewicht als die einzelne Aussage eines “Angeklagten” (Sie bemerken das Framing hinter dem Begriff)? Ohne ins Detail zu gehen, kann ich sagen, dass hier genau das passiert war: Ein bis dato unbescholtener Bürger wurde aufgrund einer Nichtigkeit geschlagen, psychisch und physisch gefoltert. Die Person hatte Todesangst – bis sie dann Stunden bei Fenster auf Kipp und nackt in einer Zelle landete.

An Lächerlichkeit kaum zu überbieten

Der Anklagepunkt lautete daher nicht etwa auf versuchten Totschlags , sondern auf Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – weil sich der Angeklagte – der selbst ein Opfer ist – gewehrt hat. Aus Notwehr. Weil die Staatsanwaltschaft die Unterbringung in der forensischen Psychiatrie forderte, erklärte sich das Amtsgericht für unvollständig – und verwies den Fall ans Landgericht. And here we are: Ein Jahr später stehe ich nun vor demselben alten Gebäude, das immer noch Anstalten macht, ein Gericht sein zu wollen. Dieses Mal ist es das Landgericht. Warum auch nicht? Drei Richter und zwei Schöffen entscheiden nun über Wohl und Wehe eines Menschen, der niemandem – wirklich niemandem – etwas getan und tatsächlich keinen Schaden angerichtet hat.

Neben der Polizeigewalt handelt der zweite Teil des Verfahrens, das an Lächerlichkeit kaum zu überbieten ist, von dem besagten Meinungsverbrechen. Jemand hat mal etwas über jemanden in einem öffentlichen Raum gesagt. Ach herrje. Und dafür braucht man ein Landgericht? In Würzburg gibt es den Biertümpel, da geschehen täglich Meinungsverbrechen. Stören sie dadurch den öffentlichen Frieden? Sicher nicht.

Naturrecht gegen Rechtspositivismus

Doch genau damit haben wir es zu tun. Eine willfährige (man darf hier guten Gewissens sagen: wenig informierte, weil die Akte vorher nicht einmal gelesen wurde) Staatsanwaltschaft hat den Versuch gewagt, einen normalen Bürger pathologisieren zu wollen – weil dem Staat dessen Meinung nicht gefällt. “Staatsanwaltschaft” – darin steckt „Staat“. Also erklären wir ihn, wie bei Batman, einfach für verrückt. Verrückte sind schuldunfähig und gehören, wie im Comic, ins Arkham-Asylum. Das ist der übliche Versuch dieser Justiz, und oft hat sie damit Erfolg.

Doch immerhin: Nicht in diesem Fall. Denn am Ende des Tages ist ein altes Gebäude nur ein altes Haus, was vor langer Zeit errichtet wurde. Vor Jahrhunderten hat es einst jemand voller Absicht und Liebe geplant und gebaut. Es ist also ein vom Menschen geschaffenes Gebilde – so wie ein Gesetz. Auch das hat irgendein Mensch einmal aufgeschrieben. Doch jenseits dieses Rechtspositivismus gibt es mehr als das: Das Naturrecht hebt sich dadurch ab, dass es einer höheren Macht folgt – sei es Gott oder sei es irgendeine irdische Kraft, wie zum Beispiel die Aufklärung. Entkoppeln wir den Geist von der Materie, den Mensch von höheren Kräften, das Recht von Gerechtigkeit und die Bauten von der Idee hinter den Gebäuden, haben wir längst verloren.

Am Ende ist es auch etwas Persönliches

In einer Zeit, in der sich Politiker allen Ernstes herausnehmen, Menschen wegen Begriffen wie „Schwachkopf“ anzuzeigen, woraus dann unter anderen Hausdurchsuchungen resultieren (was beinahe wöchentlich vorkommt), sollte uns eigentlich nichts mehr wundern. Diese Fälle werden mehr, sie werden schlimmer, sie gehen tiefer. Und am Ende befinden sich die Opfer nackt in einer Zelle und erfahren am eigenen Leib, was Polizeigewalt ist. Und dann werden sie auch noch im Prozess gedemütigt, weil sie sich immer wieder die gleiche erlogene Geschichte anhören müssen von Polizisten, die eigentlich Täter waren. Und am Ende werden sie als Opfer verurteilt.

Das alles ist schlimm genug, traurig und unbegreiflich – und einer westlichen offenen Gesellschaft unwürdig. Und es ist schade, dass immer noch so wenige Leute über diese unglaublichen Fehlleistungen des Systems Bescheid wissen. Doch nur eines nehme ich in dem obigen Verfahren wirklich persönlich: Dass es meinen besten Freund betrifft, den ich mehr schätze und mehr respektiere als all diese merkwürdigen Gerichte, die von “Recht” etwas verstehen mögen, aber keine Ahnung haben, was Gerechtigkeit überhaupt bedeutet. Diese Justiz ist verantwortlich dafür, dass immer mehr Menschen dem System ablehnend gegenüberstehen. Kann man ihnen das verübeln?

14 Antworten

  1. Das ist alles nichts neues und hat in Deutschland gewissermaßen Tradition.
    Darum habe ich innerlich meine Staatsangehörigkeit schon lange aufgekündigt und halte mich so gut wie möglich aus allem heraus.

    Die scheußliche Suppe, die hierzulande gekocht wird, durfte ich in der Vergangenheit auch schon kosten. Sie kommt aus Teufels Küche ist mir ganz und gar zuwider. Die Zutaten heißen Lüge, Täuschung, Falschheit und Verrat. Meine Oma hatte mich einst davor gewarnt und hat Recht behalten.

    In anderen Ländern ist es zwar anders aber auch nicht besser.
    Aus meinen Erfahrungen habe ich die Konsequenzen gezogen und lebe seit Jahrzehnten ziemlich zurückgezogen.

    Wer die Menschen kennt, geht ihnen aus dem Weg. Es gibt nur noch wenige, mit denen ich mich abgebe; seit CoVid noch weniger.
    So habe ich meine Ruhe und gut ist.

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    1. Richtig!
      Aber dass ist auch hierzulande noch möglich!
      Das „von Angesicht zu Angesicht“ vertrauenswürdiger Leute, ist das Wirksamste und von der Politik am meisten gehasste rebellische Verfahren!
      Genau deshalb haben „Familienkriminelle“ oder religiöse Fanatiker einen solchen Erfolg.

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    2. „Wer die Menschen kennt, geht ihnen aus dem Weg“. Wie Recht Sie haben. Wir kennen auch viele, die anfangs nett und zuvorkommend waren und sich mit der Zeit als riesige Arschlöcher entpuppt haben (übrigens fatalerweise leider auch auf der Arbeit). Wir handeln auch dementsprechend und haben uns zurück gezogen.

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  2. Zustimmung und, auch wieder nicht.
    Ich kann nicht verstehen wenn Menschen irgendwo im Internet andere Menschen (wen auch immer) belöffeln und sich dann wundern, wenn die aus Wut massiv dagegen, den Gerichtsweg beschreiten. Egal ersteinmal, ob berechtigt oder nicht.

    Manche Dinge tut man schon aus Eigenschutz nicht!

    Was nutzt es denn den angeklagten Deliquenten, wenn er verurteilt und ins Kittchen muss? Wegen einer Lappalie? Vieleicht sitzt er dann sogar am Wahltag drin und kann deshalb seine Wahlentscheidung nicht kundtun!
    Eine eventuelle Stimme weniger für die AfD….
    (und daher für die Grünen/Aufsummierungssystem)

    Leute denkt doch mal nach:
    Wem nutzt das ganze Tamtam eigentlich wirklich und was ist die Folge?
    Wenn ihr Frust schiebt, Finger weg von Smartfon, Alkohol und Drogen, schnautzt z.B. euren Kleiderschrank an, wenns nicht anders geht.

    Ist der erste Frust weg, beruhigt euch, nehmt euren Partner/in in den Arm und seit liebevoll miteinander! Ein Orgasmus zur rechten Zeit, löst oft so manches spontanes Problem !

    Manche mögen nun lachen, aber…..
    Das funktioniert tatsächlich!

    …idealerweise schafft man diesen ganzen „social Media“- Mist einfach ab

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    1. Ein guter Rat, wirklich! In Frankreich basteln sie übrigens gerade an einem Gesetz, dass Sex ohne formelle Einwilligung grundsätzlich Vergewaltigung strafbar werden soll. Nun kann man sich fragen, wie man diese Einvernehmlichkeit gerichtsfest nachweisen kann. Bleibt ja eigentlich nur die Schriftform. Man muss also dem Staat gegenüber Rechenschaft ablegen können, mit wem man Sex hatte, sonst ist es Vergewaltigung. Also: Auch dort, wo es eigentlich nur zwei Menschen geben sollte, drängt sich die Politik dazwischen.

      Und dann wird es langsam wirklich schwierig, auch viel deftigere Begriffe als „Schwachkopf!“ zurück zu halten. Erwachsene Menschen beleidigen normalerweise niemanden ohne Anlass. Und unverschämte Aufdringlichkeit unserer Politik liefert davon eben mehr, viel mehr als genug.

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      1. „Und dann wird es langsam wirklich schwierig, auch viel deftigere Begriffe als „Schwachkopf!“ zurück zu halten. Erwachsene Menschen beleidigen normalerweise niemanden ohne Anlass. Und unverschämte Aufdringlichkeit unserer Politik liefert davon eben mehr, viel mehr als genug.“
        :
        Und was ändert man mit deftigen Ausbrüchen daran?

        Genau garnichts!

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      2. …Hinter den Kulissen von Paris, da ist das Leben noch einmal so süß“…
        Aber demnächst nur mit Fi**schein!
        Wie bei uns, für alles brauchste nen Nachweiß oder „wat schriftliches“ !
        Jesses ne!

  3. @Und am Ende befinden sich die Opfer nackt in einer Zelle und erfahren am eigenen Leib, was Polizeigewalt ist.
    und so schafft man sich die Gegner des Staates – wenn die Staatsfeinde, die , die ihn abschaffen wollen, erst einmal in die Ämter kommen.
    „Wo wir Grünen an die Schalthebel der Macht kommen, werden wir nicht mehr verhandeln“ – sagte Sandra Detzer, MdB
    „Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich drauf“ Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen), Bundestagsvizepräsidentin, MdB
    Und die sagte auch einmal : „Wir müssen radikaler werden“

    Und das drücken sie mit dem Handeln der „Staatsanwaltschaft“ aus, und das werden sich auch die Kinder und Jugendlichen merken !
    Selbst wenn Grün-Rot ein Ende findet, die Spuren werden für Generationen bleiben, in der Erinnerung wie in den Genen !

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  4. Anstatt jetzt auf zig Textzitate einzugehen oder erneut zu schreiben, daß dies der Normalzustand der BRD-Justiz war und ist, beschränke ich mich auf die Überschrift. Nein, es ist nicht „dumm“, es ist durch und durch korrupt, systemisch und nicht heilbar. Man kann es beerdigen und dann alles, frei von Ballast, neu machen oder man kann es bleiben lassen. Die BRD-Justiz mit solchen Leuten angefangen und war daher schon immer im Kern verrottet.

    Irgendwer hat mal im Internet in etwa dies geschrieben (und ich hab es gelesen + gemerkt): 1/5 aller normalen Leute hat im Leben Kontakt zur Justiz und etwa 1/5 weis daher, daß diese Justiz durch und durch korrupt ist.

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  5. Völlig wolkig, der Artikel. Ich war bei x Unterbringungsverfahren dabei, weil ich die Beschuldigten vorgeführt habe und da geht es oft um feine Details, schließlich wird über potenziell lebenslange Unterbringung entschieden. Über das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen auch kein Buchstabe, aber ohne die Eingangsmerkmale geht es nun einmal nicht mit dem 63er in die Forensik und da macht es in der Regel den entscheidenden Unterschied, was der Gutachter sagt. Oder es gibt einen Freispruch, was ich auch öfters erlebt habe und zwar auch bei Leuten mit sehr vielen zuvor eingestellten Verfahren. Insofern wären mehr Infos wünschenswert gewesen.

  6. Wir haben den Rechtstaat zu Grabe getragen denn was hier nun agiert, dass ist unerträglich es ist die reine Gesinnungsjustiz deren Richter,Staatsanwälte und was sich da sonst noch tummelt zu willigen Handlangern eines zerstörerischen totalitären Regimes der linken grünen Faschisten gemacht hat.
    Die Reise geht in den Abgrund und das Volk hat anscheinend den eigenen Suizid als Religion anerkannt!

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