Der indische Chemieprofessor im Wittener Waschsalon

Der indische Chemieprofessor im Wittener Waschsalon

Unerwartete Begegnungen in Deutschland (Foto:privat)

Ein gut gekleideter Mann indischer Herkunft im Alter von etwa 40 Jahren betrat mit einem großen Reisekoffer den kleinen, urigen, leicht in die Jahre gekommenen Waschsalon in der Wittener Innenstadt am „Boni“ (Ortskundige wissen Bescheid). Er war offenbar das erste Mal dort und ersuchte um Hilfe beim Einstellen der Programme und bei der Bezahlung am Automaten. Mit meinen wenigen Brocken Englisch versuchte ich ihm zu erklären, dass der alte Automat nur Münzen annimmt und kein Wechselgeld herausgibt. Soviel Antiquiertheit schien ihn zu verwundern.

Er erzählte mir, dass er aus dem Nordosten Indiens stamme, und zeigte mir auf seinem Smartphone in Google-Maps einen kleinen Ort unweit der indischen Grenze zu Buthan und China (zu letzterem ist der dortige Grenzverlauf umstritten). Dann zeigte er mir Bilder von einer kleinen, aber eleganten Universität in seiner Heimat und ich staunte nicht schlecht über die schönen Fassaden dieser kleinen Provinzuni irgendwie in der indischen Provinz. Er sei Chemieprofessor, erzählte mir der Mann, und gerade für zwei Monate in Bochum an der Ruhr-Universität zu Gast. Man habe ihn jedoch hier in Witten einquartiert. Interessiert hörte ich zu und fragte ihn über Indien aus. Er erzählte viel und zeigte mir dazu weitere Handyphotos. Ich staunte nicht schlecht über die Aufnahmen.

Ausgerechnet Duisburg!?

Einmal mehr zeigte sich: Auch in Indien ist nicht überall Kalkutta! Und wer von dort nach Deutschland kommt – nicht als Asylbewerber oder Wirtschaftsmigrant zum Bleiben, sondern als Akademiker auf Zeit – erweist sich wahrlich als Bereicherung. Der Herr zeigte sich gebildet und an Deutschland überaus interessiert. Er würde gerne, sagte er mir, an den Wochenenden während seines Aufenthalts die Umgebung erkunden und fragte mich, wo er hinfahren solle. Auch nach Zielen für einen kurzen Wochenendurlaub suchte er – und fragte mich dann explizit nach Duisburg.

Duisburg! Duisburg? Für einen kurzen Moment suchte ich mit meinem dürftigen Schulenglisch nach geeigneten Worten, ihm dringend davon abzuraten und seinen Fokus doch auf schönere Städte zu legen. Ich dachte mir nur: Wenn es wirklich Duisburg sein soll, dann soll er sich die dortigen Ghettos mit der einschlägig bekannten Problemklientel auf keinen Fall ansehen. Andererseits: Sind diese nicht schon so gut wie überall? Schon, doch es gibt Unterschiede. Duisburg, Gelsenkirchen und Hagen sind diesbezüglich abschreckende Extrembeispiel und verbieten sich für Deutschlandtouristen eigentlich per se.

Zwiespältige Gefühle

Im Gegensatz zu Münster! Das empfahl ich ihm, mit dem besonderen Hinweis auf die dortige Altstadt mit dem alten Rathaus, dem Prinzipalmarkt und den alten Dom. In der näheren Umgebung konnte ich ihm auch noch Alt-Hattingen empfehlen, ebenso wie Alt-Herdecke. Dann empfahl ich ihm noch einen Abstecher nach Venlo in die Niederlande. Den Kölner Dom und den Aachener Dom erwähnte ich ebenfalls als sehr sehenswerte Gebäude und Standardziele des üblichen Pflichtprogramms, die man natürlich gesehen haben sollte. Wohlweislich erwähnte ich aber nicht die dortigen Altstädte, da diese, nun ja, nennen wir es „sehr überlaufen“ sind…

Meine Gemütslage war sehr zweigespalten. Einerseits freute ich mich sehr, dass ein guter Gast, ein so freundlicher und kultivierter Mann sich für dieses Deutschland interessiert und mich neugierig nach den besten Reisetips befragt. Anderseits frustrierte mich der Gedanke, dass man als Deutscher inzwischen schon nachdenken muss, was von der einstigen Heimat man Besuchern überhaupt noch guten Gewissens empfehlen kann – denn dieses Land zerfällt und verliert an immer mehr Flecken sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit. Daher dachte ich mir, der Mann soll möglichst nicht die schlimmsten Ecken des Unterganges kennenlernen. Wenngleich in großen Teilen von Bochum und Witten das Kind sowieso schon in den Brunnen gefallen ist…

Leise Hoffnungen

Freundlich verabschiedeten wir uns per Handschlag. Der Inder wirkte sehr optimistisch. Auf dem Heimweg dachte ich bei mir: Hoffentlich sammelt der Mann positive Eindrücke von Deutschland… und ihm bleiben all die negativen Alltagserfahrungen irgendwie erspart, an die sich die meisten Einheimischen längst gewöhnt haben! Hoffentlich muss er nicht erfahren, was es bedeutet, wenn ein Zug in dem Land, in dem die Redewendung „pünktlich wie die Eisenbahn“ einst ein geflügeltes Wort war, 120 Minuten oder mehr Verspätung hat. Oder wenn junge Männergruppen aus Nahosten Randale machen und ihre Respektlosigkeiten verbreiten. Oder wenn die „Bedingungen des Zusammenlebens” wieder mal brachial ausgehandelt werden.

Die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2024 ist leider ein Reiseland, das nicht mehr allzu viel mit dem Schwarzwaldklinik-Idyll der 1980er-Jahre zu tun hat…

6 Antworten

  1. Ja, so ist es. Leider. Ich bin oft in Indien, seit 1998. Ich habe die unglaubliche Entwicklung dort miterlebt, ich kenne unterschiedlichste Seiten. Und ich kenne Menschen, aus Asien, die hierher kommen und sagen: was macht ihr mit eurem Land? Ich kann die Deutschen nicht verstehen … AUM

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  2. Das war ein Fehler, Du hättest ihn dahin schicken sollen, wo es am meisten brennt, wie Duisburg Marxloh oder andere Brennpunkte, mit dem Hinweis, so sieht es aus, wenn man die unfähigsten Menschen an die Riegierung läßt. Das wäre ein schönes Lehrstück für den Professor gewesen.

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    1. Warum? Weil der Autor immer noch (oder trotzdem noch) ein aufrechter Deutscher ist und sein Heimatlandb liebt und weil es ihm weh tut, wenn er sich für sein Heimatland schämen muss!
      Ich kann ihn verstehen, denn ich schäme mich auch. Egal, ob man mich dafür auslacht.

  3. Wenn der zu Hause erzählt wie toll es hier ist, weil er nur die paar verbliebenen Sahnestücke gesehen hat, werden bald einige Millionen Inder auf der Matte stehen…, und von denen werden die wenigsten Professoren sein. Gut gemacht.

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  4. Die Inder waren schon immer ein altes Kulturvolk, ähnlich den Chinesen und insofern kann ich meinen indischen Berufskollegen als echte kulturelle Bereicherung gerne willkommen heißen. Ob er allerdings das mittlerweile schon stark demolierte Bild des aktuellen Deutschland erhält, kann ich nicht beurteilen. Und wenn, dann sollte er es als abschreckendes Beispiel mit in seine Heimat nehmen, damit sich dort nicht dasselbe wiederholen möge. Leider hat die „kulturelle Bereicherung“ aus vormordernen, bildungsfernen Kulturen längst nicht nur die Metropolen erreicht. In meiner südbadischen Heimat hat es auch Gemeinden von um die 10.000 Einwohner und weniger erfasst, wovon ich mich heute wieder, wie schon unzählige Male zuvor, erneut vergewissern konnte. Empfehlenswert auf für einen Herrn Würth, dessen Schrauben im Gehirn wohl etwas mehr angezogen werden sollten, sich einmal diese Klientel oder auch „Merkel-Gäste“ genannt, in überfüllten und schon fast zur Gewohnheit gewordenenen verspäteteten Zügen ansehen, aber diese Mühe dürfte er sich wohl nicht geben, zumal er sich von der „gelebten“ Realtät, wie auch die meisten unserer Politker, wohl schon Lichtjahre entfernt zu haben scheint.