
Vorsicht, es folgt ein langer Text, denn ich muss euch mein Herz ausschütten! Es ist derzeit ganz schön hart, sich seinen Scheck als Mossad-Agentin im Außendienst zu verdienen. Also nicht, dass ich jemals einen bekommen habe, die müssen immer bei der Post verloren gegangen sein. Noch nicht mal eine Kiste “Mouton Rothschild” habe ich bislang erhalten, was wohl der Beweis für den Niedergang des israelischen Auslandsgeheimdienstes ist. Was soll’s, dann arbeite ich eben ehrenamtlich weiter. Mein Chef findet ohnehin, dass ich die sympathischste Mossad-Agentin sei, die ihm je begegnet ist. Die Fraktion der Dauerempörten jeglicher politischen Couleur stuft das Engagement der “zionistischen Lobby” hingegen naturgemäß als “menschenverachtend” ein. Merke: Der Iran, die Kaninchenzüchter und diverse andere Interessenverbände dürfen eine Lobby haben – im ersteren Fall sogar eine, die jahrelang das Verbot des deutschen Hisbollah-Ablegers verhindert hat. Im Falle Israels ist das anrüchig.
Um Verständnis für die israelische Politik zu werben, löst unweigerlich Empörungsreflexe aus. Sogar der Vorwurf des “Vaterlandsverrats” wurde schon an mich herangetragen. Deutschland ist meine Heimat, Deutsch meine Muttersprache, ich habe in vielem eine sehr deutsche Mentalität. Aber wenn es für jüdische Deutsche hier zunehmend unsicherer wird, dann muss man sich eben um eine Ausweichmöglichkeit kümmern. So einfach ist das: Es springt auch niemand ohne Fallschirm aus dem Flugzeug. Letztens drängte sich mir zudem der Gedanke auf, ob es bei einigen Teilen der “Rechten” mit einer ernstgemeinten Abschiebepolitik etwas wird, wenn auf die Gefühle von Islamisten ebenso sensibel Rücksicht genommen wird wie auf die ihrer Glaubensbrüder in Teheran. Ich spreche hier ausdrücklich von “Teilen der Rechten” – denn bislang waren AfD- oder auch PEGIDA-Treffen Gelegenheiten, bei denen man bedenkenlos seinen Davidstern tragen konnte, ohne mit moralischen Vorträgen oder gar mit Prügeln bedacht zu werden.
Moralisches Backup für andere Interessen
Man versucht es also mit Verständnis für Sicherheitsbedenken: Niemand wäre wohl froh darüber, wenn sich der Krieg im mittleren Osten hinzieht. Auch ist meine Empathie für die Zivilbevölkerung im Iran weitaus stärker ausgeprägt als für die in Gaza. Aus dem Iran gibt es viele Beispiele von Bürgern, die sich tapfer dem Israelhass ihrer Regierung entgegengestellt haben, etwa von Studenten, die sich weigerten, über eine israelische Fahne zu laufen; zudem hat die dortige Bevölkerung sicherlich in den letzten Jahrzehnten genug unter den Mullahs gelitten. Allerdings bemerkt man zweierlei dabei sehr schnell: Den “Israelkritikern” geht es keineswegs um die iranische Bevölkerung, die hat nämlich eine ähnliche Statistenrolle inne wie die Juden, die regelmäßig zu deutschen Gedenkfeiern eingeladen werden: Man braucht sie als moralisches Backup für andere Interessen. Entgegenkommen in der Argumentation öffnet zudem keineswegs die Tür zu einer sachlichen Diskussion, daher sollte man sich an die Debattenregel “Hier ist jeder sein eigener Anwalt!” halten.
Es gilt ohnehin, eine weite Bandbreite an Fachkenntnissen in den Diskurs einzubringen, wobei man sich oft wie das Mitglied einer High-Tech-Ermittlergruppe vorkommt. Vorab sei gesagt, dass einem das bei Hardcore-Linken ungefähr so viel einbringt wie vor eine Betonwand zu laufen. Selbst ein fundiert erstellter Debattenbeitrag (soweit einem dies als Laie möglich ist) erntet bestenfalls einen jener inflationären Lachsmileys, die mich noch vor ein paar Jahren jähen und zornen ließen, aber mir jetzt nur noch einen Wunsch abringen: “Möge jegliche israelische Technik in deinem Smartphone versagen!”. Die geistigen Nachfolger der RAF-Flugzeugentführer sind zudem äußerst kreativ, was das Erdenken von Beschimpfungen angeht. Man könnte nun zum Melde-Button der sozialen Medien greifen, der allerdings ins Leere läuft, weil die “Israellobby” noch nicht in die Sperrzentren vorgedrungen ist. Oft ist es daher – ähnlich wie bei Holocaust-Leugnern – besser, die dunkle Brühe einfach laufen zu lassen.
Allerhand Kurioses
Es braucht keine breit angelegte “Hass-Forschung”, um eben solchen Hass hinter den hochmoralischen Einwänden der selbsternannten “Völkerrechtler” zu erkennen – denn der platzt aus ihnen heraus wie aus einer Nagelbombe. Kritik an der “Israelkritik” nennt sich “Antisemitismus-Keule”, und die darf nur geschwungen werden, wenn es um George Soros oder Judith Butler geht. Letztere ist bekanntlich eine große Freundin der Hamas und deshalb in linken Kreisen gern gesehen. Man hat nicht begriffen, dass Juden nicht als Gleichgesinnte vom Fließband laufen, sondern dass innerhalb der jüdischen Gemeinschaft ein breites Meinungsspektrum vertreten wird. In den USA fühlen sich jüdische Bürger weitaus sicherer als in Europa, da kann man es sich leisten, sich dem Pro-Palästina-Mainstream anzuschließen.
Und dann trifft man in den sozialen Medien auf allerhand Kurioses, das einem, wenn es nicht so bitterernst wäre, durchaus ein herzliches Lachen abringen könnte: Ein Experte der internationalen Atomenergie-Behörde wurde etwa gefragt, ob die Nuklearforschung des Iran nicht auch medizinischen Zwecken dienen könnte. Uran in der Strahlentherapie, das wäre wie mit Atombomben auf Spatzen zu werfen: Der Krebs wäre weg, der Patient aber auch. Uran 235 – welches für die Bombe gebraucht wird – hat eine Halbwertszeit von rund 700 Millionen Jahren. Bei meiner eigenen Krebsbehandlung kam Iridium 125 zum Einsatz, das bereits nach 78 Tagen zerfällt. Iran als Vorreiter in der Strahlenmedizin? Da liegt der Nobelpreis noch in weiter Ferne. Übrigens hatten die iranischen Wissenschaftler bei den Inspektoren freimütig selbst eingeräumt, bereits etwa 130 Kilogramm waffenfähiges Uran zu besitzen. Ich hätte gern gegoogelt, was man damit anfangen kann, hatte aber ein wenig Angst, die Behörden auf mich aufmerksam zu machen (“AfD-Referentin sucht im Internet nach Bauplänen für die Atombombe – Parteiverbot jetzt!”).
Die wirre Erzählung von “Groß Israel”
Weitere Merkwürdigkeiten drehten sich um die Erzählung von “Groß Israel”. Auch wenn diese Idee in Krisenzeiten durchaus schon einmal von religiösen jüdischen Rechten vorgebracht wird, verhält es sich mit ihr wie mit der “jüdischen Weltverschwörung”: Sofern Israel nicht gerade eine Klonarmee im Keller züchtet oder aus China Kampfroboter im großen Stil importiert, ist dafür schlichtweg die Personaldecke zu dünn. Es wird also noch ein bisschen dauern, bis Israel von der Größe Hessens auf die Ausmaße Nordrhein-Westfalens aufgepustet werden kann. Allerdings ist dies auch von daher recht unwahrscheinlich, weil sich das Land zum Beispiel mit Jordanien in letzter Zeit recht gut arrangiert hat; so gut, dass Jordanien Israel mit seinen Luftstreitkräften sogar im April 2024 gegen einen massiven Drohnenangriff aus dem Iran unterstützte.
Erklären konnte mir bis heute zudem niemand, warum die im Eifer des Gefechts ausgestoßenen “Groß Israel”-Forderungen einzelner israelischer Außenseiterstimmen mehr Beweiskraft haben sollen als jahrzehntelange, von höchster Stelle ausgestoßene Dauerdrohungen aus dem Iran. Derzeit wird ein körniges Foto eines angeblichen israelischen Armeeabzeichens herumgereicht, auf dem “Groß Israel” abgebildet sein soll. Das Abzeichen ist in keiner Datenbank zu finden und zudem teilweise in Phantasie-Hebräisch beschriftet – also ungefähr so echt wie Angela Merkels israelischer Pass, der nach 2015 die Runde machte.
Wir glauben, was wir glauben möchten
Oder man denke an das in der iranischen Presse gezeigte Bild des zerstörten Mossad-Hauptquartiers, auf dem die Israelis netterweise in Großbuchstaben das Wort “Mosad” (sic!) angebracht haben. Ein wenig mehr Mühe könnten sich die Feinde Israels schon geben, wenn sie ihre “Beweise” fertigen. Wenn die Bereitschaft, das alles ungeprüft zu glauben, nicht so groß wäre, könnte man tatsächlich glauben, es handele sich um eine Mossad-Aktion, um politische Gegner als Deppen zu überführen.
Allerdings ist bekanntlich sogar die Presse bereit, jegliche Falschmeldung gern zu verbreiten, wenn sie damit Stimmung machen kann. Jedes Mal, wenn mir ein Aktivist erklärt, die deutschen Medien seien “zionistisch kontrolliert” schaue ich meinen schon so oft wütend angebrüllten Fernseher an und frage mich, ob der wohl ein anderes Programm empfängt als der Rest Deutschlands. Natürlich: Wir glauben alle gern, was wir gern glauben möchten. Und es geht auch nicht darum, berechtigte Kritik an der Politik Israels zu unterbinden (was faktisch auch niemand tut, es wird ja schließlich nicht einmal die übelste Propaganda gestoppt). Manchmal gerate sogar ich ins Wanken, wenn ich den Eindruck habe, als Geisterfahrerin auf der Israel-Autobahn unterwegs zu sein. Können so viele Menschen Unrecht haben, wenn sie in Dauerschleife nach dem “Völkerrecht” rufen? Man sollte sich schließlich in einer offenen Debatte alle Argumente anhören. Aber es ist verdammt ermüdend.
- Klicken, um auf Telegram zu teilen (Wird in neuem Fenster geöffnet) Telegram
- Klicke, um auf X zu teilen (Wird in neuem Fenster geöffnet) X
- Klick, um auf Facebook zu teilen (Wird in neuem Fenster geöffnet) Facebook
- Klicken, um auf WhatsApp zu teilen (Wird in neuem Fenster geöffnet) WhatsApp
- Klicken, um einem Freund einen Link per E-Mail zu senden (Wird in neuem Fenster geöffnet) E-Mail
- Klicken zum Ausdrucken (Wird in neuem Fenster geöffnet) Drucken
7 Antworten
„Die wirre Erzählung von “Groß Israel”“
Oh Mann, hat dir die Hitze das Hirn zerkocht?
Das Bild zum Plan dieser Irren hat Obermassenmörder Bibi doch selbst präsentiert.
erst einmal danke für den text: ein komplexes und schwieriges thema, das oft vereinfacht wird. ich habe wohl mehr über den konflikt gelesen und diesbezügliche videos angeschaut als viele zeitgenossen, dies schon lange und aus beiden perspektiven. meine schlussforderung: ich weiss es nicht. beide politischen führungen sind mir aus verschiedenen gründen suspekt, auf beiden seiten gibt es in verschiedenen maße diesen irrationalen, religiösen faktor. ok, von den mullahs sind wir hasstriaden gewohnt, aber auch aus israel hört man verstörende aussagen von politikern, militärs etc. trauriger höhepunkt ist der tweet von elad baraschi vom hebrew channel 14 aus dem märz, in dem er wortwörtlich einen holecaust für gaza fordert, züge, gaskammern und das volle programm…frauen, kinder, einfach alle sollen einen qualvollen tod sterben. es gibt andere hässliche entmenschlichungen, die mich ratlos machen. was den iran betrifft: dieser war bis 1953 eine säkulare demokratie, sehr moderne städte mit frauen in kurzen röcken. dann kam der c.i.a. /m16 putsch und der schah, der das volk mit hilfe der geheimdienste, u.a. auch dem mossad, das volk unterdrückte. auch der krieg des irak gegen den iran wurde von diesen mit eingefädelt, 1 million tote iraner. den gottesstaat kann man ohne diese traumatischen erfahrungen kaum verstehen. ich bin auf keiner seite, beide haben gute argumente und ich weiss nicht, was propaganda und realität ist. es empfiehlt sich, den konflikt mal geistig zu spiegeln…wie wären die argumente, wenn die situation genau umgekehrt wäre??? es wären auf jeden fall andere. ich habe keine lösung und keine antwort auf die schuldfrage, aber die schwarz weiss sicht der eindeutigen unterstützer beider seiten lässt vieles aussen vor, ich sehe da verschwommene grauzonen, die religiösen komponenten, u.a. warten teile beider seiten auf einen messias/ madhi nach einer apokalyotischen katastrophe, machen es noch undurchschaubarer. ich weiss es einfach nicht, leid tun mir die normalen menschen auf beiden seiten, die entmenschlichungen widern mich an.
Der Erkenntnisgewinn aus dem Artikel ist gleich Null.
Da hätte ich mir ebenso gut wie vor Jahrzehnten das Wort zum Sonntag anhören können! Danach war ich auch nie schlauer als vorher.
🥱
Werte Frau Lübke, Israel und Iran sind nur zwei Figuren auf dem geopolitischem Schachfeld, welche durch die jeweiligen Spieler bewegt werden. Der Vorteil dieser zwei Spielfiguren – man hasst sich wie die Pest bis der Tot eintritt. Allein können die beiden Spielfiguren Nichts erreichen, außer, sie eliminieren sich zusammen gleichzeitig, was aber nicht gewollt ist.
Toller Artikel, nicht zu lang. Schöne Idee: “AfD-Referentin sucht im Internet nach Bauplänen für die Atombombe – Parteiverbot jetzt!”. Das Witzige daran ist, daß ich diese Überschrift einer ZEIT schon zutraue.
„Aber es ist verdammt ermüdend.“
Sowas einfach nicht tun. Den social Mediascheiss/Smartfon nutze ich nicht, ich schreib im Web ein paar wenige Kommentare und mehr nicht.
Das schont die Nerven und erhöht die Lebensqualität.
Mit Fanatikern diskutieren, sinnlos. Sieht man doch schon hier im Forum.
„Können so viele Menschen Unrecht haben, wenn sie in Dauerschleife nach dem “Völkerrecht” rufen?“ Ja das können sie. Unser Physik-Professor – der intelligenteste Mensch den ich je kennenlernen durfte – ist während seinen Vorlesungen oft ins philosophieren geraten. Eine Aussage die ich lange nicht für wahr hielt lautete: «80% der Menschen sind Vollidioten». Aber während der Corona-Zeit sind wir in der Schweiz nahe an seine Behauptung gelangt: 70% der Schweizer haben sich die Anti-Corona-Plörre mehrmals reinspritzen lassen. Bezüglich Israel scheint er mit seinen 80% mindestens für Deutschland einen Volltreffer gelandet zu haben.