Geschichtsträchtige Stippvisite: Tanger und die Straße von Gibraltar

Geschichtsträchtige Stippvisite: Tanger und die Straße von Gibraltar

Bewegte jahrtausendealte Geschichte: Teil der alten Stadtmauer von Tanger (Foto:Imago)

Tanger ist eine Millionenstadt an der Nordwestspitze Marokkos westlich der Straße von Gibraltar. Dank ihrer Lage zwischen Afrika und Europa war Tanger über Jahrhunderte ein bedeutendes Handels- und Kulturzentrum. Heute ist die Stadt mit ihren rund 1,4 Millionen Einwohnern ein wirtschaftlicher Knotenpunkt Marokkos und spielt eine zentrale Rolle im internationalen Seehandel. Wir hatten, auf einer der letzten Etappen unserer Atlantikkreuzfahrt beim Landgang einen Busausflug zu den interessanten Herkules-Grotten – bekannt aus der griechischen Mythologie – gebucht. Dort soll Herkules einst das Meer und mit ihm die beiden Kontinente gespalten haben. Die imposanten Grotten liegen unweit der Stelle, an der sich der Atlantik und das Mittelmeer treffen. Entgegen der landläufigen Annahme liegt die Meerscheide nicht an der engsten Stelle gegenüber Gibraltar. Die Marokkaner legten Wert auf diesen Unterschied – denn das Mittelmeer ist bekanntlich wärmer, meinte der örtliche Busbegleiter. Ob das die Badegäste merken, wenn sie um den „trennenden“ Felsen herumschwimmen?

Weil der Busbegleiter nicht so gut Deutsch sprach, greife ich nachfolgend auf verschiedene Quellen zurück, die ich in der gebotenen Kürze verwende. Nur drei Punkte seien erwähnt. Gefühlt ein Viertel der Erklärungen des Busbegleiters war den Juden gewidmet, was mich überraschte darauf werde ich noch eingehen). Der zweite Punkt war seine Klage, dass es seit sechs Jahren nicht mehr geregnet habe. Ich neckte ihn mit der Frage, ob es denn nichts helfe, dass er mit seinen zahllosen muslimischen Glaubensbrüdern viermal täglich Richtung Mekka zu Mohammed bete – und zudem sein König auch noch Mohammed (der VI.) heiße? Ich scherzte ebenfalls, wir Christen beteten zwar seltener, aber dafür würde unser Gott uns erhören und es immer wieder mal regnen lassen; außerdem machte ihm das Angebot, zu uns zu konvertieren, denn unsere Gebetskette – der Rosenkranz –sei nur halb so lang wie die islamische. Erwartungsgemäß winkte er lächelnd ab.

Der Trend geht zur Verschleierung

Als wir aus dem Bus ausstiegen, warnte er uns, dass wir auf unsere Taschen aufpassen sollten; eine Vorsichtsmaßnahme,  die auf den zuvor von besuchten vier portugiesischen Inseln nicht notwendig gewesen war. Andere Länder, andere Kultur! Das trifft auch auf die Kleidung zu: Seit etwa 15 Jahren sind die Frauen in Marokko wieder verschleiert, teilweise sogar vollverschleiert. Allerdings sind ihre Gewänder bunter als bei uns, wo man sie trotz all der gepriesenen “Vielfalt” fast nur in schwarz oder grau sieht. Die Bevölkerung Tangers besteht fast ausschließlich aus Angehörigen verschiedener Berberstämme der Umgebung. Die meisten sind seit den 1970er Jahren zugewandert. Unser Busbegleiter schien übrigens Araber zu sein: Man hörte abwertende Bemerkungen heraus, auch zur Kinderzahl – so hätten die Einheimischen zwei Kinder, Berberfamilien hingegen „zehn“, was natürlich eine Übertreibung war.

Kurz noch zur Geschichte im Zeitraffer: Wahrscheinlich wurde Tanger im 5. oder 6. Jahrhundert vor Christus von den Karthagern gegründet, jenem Volk, das es „nach dem dritten Krieg nicht mehr gab“ (Bert Brecht). Später war das Städtchen römisch und byzantinisch. Dann war Schluss mit lustig, als die Stadt im Jahr 702 von Muhammads Jüngern erobert wurde. Geherrscht hat nicht das Wort, sondern das Schwert – und das 770 Jahr lang. Dann kamen die Europäer; doch nur ein Jahrhundert lang machten sich Portugiesen, Spanier und Engländer hier breit, dann wurde Tanger 1684 wieder an Marokko unter den Alawiten übergeben, die auch heute wieder herrschen. Im Jahr 1912 verlor Marokko seine Unabhängigkeit und wurde faktisch zwischen Frankreich und Spanien aufgeteilt – wobei letzteres gleich ganz Nordmarokko und einen Teil der Atlantikküste im Süden besetzte. Im Jahr 1923 wurden die Stadt und ein kleines Gebiet um sie herum zur Internationalen Zone von Tanger erklärt und von acht europäischen Mächten gemeinsam verwaltet. Der Hafen von Tanger war zollfrei, und so wurde der Schmuggel zum einträglichen Geschäft.

Folgenschwerer Exodus der Juden

Wie entwickelte sich seitdem die Einwohnerstruktur? Tanger hatte im Jahr 1927 etwa 60.000 Einwohner, davon waren 35.000 Muslime und 15.000 Juden. 10.000 Einwohner waren Ausländer. Im Jahr 1950 lebten etwa 150.000 Einwohner in der Stadt, darunter 43.000 Christen und 15.000 Juden. So etablierte sich eine multiethnische Gemeinschaft von christlichen Nationalitäten gemeinsam mit jüdischen und muslimischen Untertanen des Sultans. Tanger konnte damals mit Fug und Recht wegen seiner Infrastruktur und kulturellen Vielfalt als modernste Stadt in Afrika mit vielen Weltenbummlern bezeichnet werden. 1956 aber traten dann die „Protokolle von Tanger“ in Kraft, die die Freizügigkeit beendeten. Damit begann auch der Exodus der rund 13.000 Juden (oder “Hebräer”, wie sie sich selbst dort nannten). Der marokkanische Busbegleiter sprach – wohl mit Blick auf diese Zäsur – vom „Ende der goldenen Jahre“. 2015 zählte die Stadt über eine Million Einwohner, mit seither weiter starkem Zuzug-

Nur noch 70 einheimische Juden blieben übrig – und nur etwa 5.000 Ausländer dort werden von den verschiedenen Konsulaten gemeldet. Trotzdem erwähnen die örtlichen Reiseleiter die Existenz von Synagogen; an einer wurden wir vorbeigeführt. Wäre keine Tafel an der Haustür in dieser unscheinbaren Ecke einer Gasse angebracht gewesen, hätte niemand dahinter eine Synagoge vermutet – die natürlich „außer Betrieb“ war und nur noch musealen hatte, weswegen sie auch Eintritt für den Besuch kostete. Außerdem gibt es gerade noch zwei Kirchen in Tanger; die anderen wurden abgerissen oder von Moscheen überbaut. Soviel zur religiösen Toleranz im Islam (während in Deutschland Politiker Moscheeneubauten bejubeln). Nach dem Exodus der Juden in den 50er Jahren machte Tanger in den 1960er und 70er Jahren einen wirtschaftlichen Niedergang durch; erst ab etwa 2000 erlebte die Stadt eine neue Blüte. Urbane Großprojekte, wie etwa die Freilegung der alten Stadtmauern oder die Verlagerung der Hafenfunktionen in den neuen Seehafen sowie ein Umbauprogramm, formen den Charakter Tangers seit etwa 2010 auf grundlegende Weise neu.

Sichtbare “Veränderung”

Aber mit dem anhaltenden Zuzug von Marokkanern aus dem Hinterland, den Berbern, insbesondere seit den Nullerjahren hat sich auch die kulturelle Prägung der Stadt stark verändert. Heute findet man auch in Tanger fast nur noch verschleierte Frauen. Bis dahin hatte sich die Stadt durch einen legeren Kleidungsstil ausgezeichnet, insbesondere der Frauen, die europäische Kleidung mit offener Haartracht bevorzugten. Diese Veränderung ist sichtbarstes Zeichen der allgemeinen Entwicklung der lokalen Kultur seit der Jahrtausendwende – weg von einem fast europäisch-mediterranen hin zu einem zunehmend traditionellen Lebensstil typisch islamischer Länder. Dennoch fällt mein Fazit zur Stippvisite in Tanger positiv aus: Ich freute mich über Millionen Muslime in Marokko, denn je mehr von ihnen dort, in ihren islamischen Ländern bleiben, desto weniger gibt es bei uns (das ist rein denklogisch betrachtet und in keiner Weise “rassistisch” gemeint!).

Zu unserer anschließenden nächtlichen Schiffspassage der Straße von Gibraltar: Eigentlich müsste diese eher Straße von Tanger heißen, denn während auf der europäischen Seite kaum Zivilisation auszumachen war, sah man auf marokkanischer Seite ein Lichtermeer ohne Ende. Allerdings wäre durchaus denkbar, dass diese auch von den beiden spanischen Exklaven Ceuta und Melilla stammen – jene letzten europäischen “Brückenköpfe” in Nordafrika, die von Migranten immer wieder gestürmt werden, um von dort nach Europa zu gelangen. Am frühen Morgen dann machte unser Kreuzfahrtschiff in Malaga fest, wo es endlich auch Besseres zu trinken gab als immer nur Tee und Mokka wie in Mokkako, Verzeihung: Marokko…

Eine Antwort

  1. Ich habe 1967 Marokko mit dem Auto durchfahren und so auch Tanger besucht. Außer dem Cuscus, das ich dort gegessen habe und es wiederlich geschmeckt hat, kann ich mich nicht weiter mehr an diese Stadt erinnern. Einmal Marokko hat mir gereicht. Ich bin nie wieder dort gewesen und werde auch nie wieder dort hinfahren.

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