Mittwoch, 24. April 2024
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Kathederhelden: Prägende Erinnerungen an die Schulzeit

Kathederhelden: Prägende Erinnerungen an die Schulzeit

Gymnasialunterricht früher: Als Schule noch Persönlichkeiten hervorbrachte (Symbolbild:Imago)

In diesem Beitrag möchte ich einmal nicht eine einzelne Person, sondern aus einer Berufsgruppe heraus drei besondere Lehrerpersönlichkeiten aus meiner lang zurückliegenden Schulzeit würdigen. Heute wären diese drei Lehrer – aus verschiedenen Gründen – nicht mehr “tragbar”. Welch ein Verlust an Qualität!

Beginnen möchte ich meine Hommage mit “Käff“ . Unser “Käff“ war ein ganz besonderer Lehrer. Seine Fächer waren Latein, Griechisch und Spanisch. Er trug stets einen abgewetzten grauen Anzug, eine dunkle Krawatte und eine wirklich fette Hornbrille. Seinen Kampfnamen bekam er bereits von Vorgängergenerationen, weil er eine rauhe, bärbeißige, manchmal auch blaffend-verletzende Art hatte, mit Schülern umzugehen. Als junger sozialdemokratischer Student war er in den 1930er Jahren in einem Lager gelandet und dort brutal misshandelt worden, was einen Nervenschaden (ein ständig wiederkehrendes unkontrolliertes Zucken seines Unterkiefers) zur Folge hatte. Diese Eigenart baute er gerne in seine Unterrichtsdramaturgie ein.

Hart, aber menschlich

Sein persönliches Leiden und seine Erfahrungen hatten ihn nach außen sehr hart werden lassen. Viele Schüler fürchteten ihn wegen seiner ruppigen Umgangsformen. So hatte etwa eine Mitschülerin eine “Fünf“ geschrieben und fing bei der Rückgabe einer Klassenarbeiten an zu weinen, um ihn vielleicht doch noch zu bewegen, das Ergebnis aus Mitleid in eine “Vier“ umzuwandeln. Er sah das, ließ seine dicke Hornbrille bis vorn auf die Nase rutschen, blickte über die Brillenränder hinweg und blaffte: “Heul nur, Auguste! Nächstes Mal wird`s ´ne “Sechs“ – was meinste wie Du dann brammst!“ (zum Hintergrund: Alle Mädchen waren bei ihm “Auguste“, die Jungs “Fritzchen“). Oder einmal, als “Käff”  Vokabeln abfragte, ging er durch die Reihen: “Hey! Fritzchen! Du guckst wie Lohengrün: ‘Nie sollst Du mich befragen’… Also Fritzchen, ‘pulcher’ bin ich – Also WAS bin ich? Ich versteh nämlich kein Latein!”.

Auch ich fand anfänglich keinen Draht zu ihm – bis es dann zwei Ereignisse gab, die das ändern sollten. (Später – nach dem Abitur – plauderten wir manchmal zufällig miteinander und spätestens da verstand ich ihn vollends: Er hatte mit seiner harten Art versucht, uns zum Widerspruch zu reizen – und den hatte er dann auch stets dankbar aufgenommen.) Das erste Ereignis war wieder eines der berüchtigten Vokabelabfragungen. “Käff” suchte sich immer zu Beginn einer Unterrichtsstunde ein paar “Opfer“ aus, die er auf seine oben angedeutete spezielle Art jeweils nach 5-10 Vokabeln befragte. An besagtem Tag war Markus eines dieser Opfer. Markus war recht groß gewachsen, weit über 1,90 Meter, und wog so um die 140 kg. Er wollte einmal als Bass Opernsänger werden. Mit seinem dicken Körper hatte er keine Probleme und ließ keinerlei Hänseleien – auch von uns nicht (!) – zu. Käff blickte also durch die Reihen der sich möglichst unscheinbar machenden Schüler und ging zielstrebig auf Markus zu: “Wen nehmen wir uns heute vor? Ahh! Ich weiß schon: Fettsack!“ – Wie aus der Pistole geschossen entgegnete Markus: “Ach halt doch Dein loses Maul, Tattergreis!“ – Käff liess die Brille wieder auf die Nasenspitze rutschen, fixierte Markus über die Ränder, hob beide Fäuste mit dem Daumen nach oben und sagte: “Okay! Jetzt steht es 1:1 zwischen uns! Du solltest Klassensprecher werden, denn Du hast Mumm in den Knochen! – Naja, vielleicht wird ja doch mal was Anständiges aus Dir…

Mit Herz und Elan für die Schüler

Die Heldenleistung von “Käff“, das, was ihn für mich nachgerade unvergesslich machte, war jedoch das zweite Ereignis: Sein hochemotionales Statement bei einer Zeugniskonferenz. Es ging um die Versetzung eines Mitschülers von Klasse 10 (Mittelstufe) in die Klasse 11 (Oberstufe). Als einer der drei Schülervertreter unserer Klasse war ich dort anwesend. Unser Klassensprecher trug den Wunsch des betreffenden Mitschülers nach Versetzung in die 11. Klasse vor, obwohl dessen schulische Leistungen nicht ganz passten und er auch unter extremen Pubertätsproblemen litt. Zudem hatte der Schüler bereits die “10“ einmal wiederholt – offensichtlich ohne durchschlagenden Erfolg. Nun stand seine Versetzung in die Oberstufe eben auf der Kippe. Wir schlossen uns seiner Bitte an, in die “11“ zu dürfen, um ihm den Lebensweg nicht zu verbauen – denn ansonsten hätte er ja noch nicht einmal einen erweiterten Hauptschulabschluss. Zudem versprach der Mitschüler, im Falle der Versetzung die Schule zu wechseln und nicht in unserer Oberstufe aufzulaufen, da er ohnehin auf das Wirtschaftsgymnasium wechseln wolle.

Da ergriff der anwesende Elternvertreter das Wort – ein gestandener Vorstandsvorsitzender einer global agierenden Aktiengesellschaft – und griff uns drei Schülervertreter an, dass wir es überhaupt gewagt hätten, so eine “Beleidigung für alle hier Anwesenden“ vorzubringen. Er sei der festen Überzeugung, dass der bewusste Schüler ja deutlich gezeigt habe, dass er es nicht wert sei, “Ratsgymnasiast“ genannt zu werden, denn unser Ratsgymnasium sei schließlich eine Eliteschule und es gehöre nun einmal auf gewisse Art zum notwendigen “Reinigungsvorgang”, wenn edle, qualifizierte Schüler vom Abschaum getrennt würden, meinte er sinngemäß. Wir waren sprachlos und hatten dem eloquenten Wirtschaftskapitän wenig rhetorischen Schliff entgegenzusetzen, aber empfanden seine Worte – die Worte des Elternvertreters, der eigentlich doch zur Wahrung von Schülerinteressen in der Konferenz saß! – als Ungeheuerlichkeit. Im anwesenden Lehrerkollegium erblickten wir so manche gerunzelte Stirn, aber auch viel Zuspruch zu dieser Wortmeldung und uns wurde angst und bange um unseren Klassenkameraden.

Tiefgreifende Erkenntnisse

Doch dann kam Käff: Nach einer fast zwanzig Minuten dauernden emotionalen Gardinenpredigt, in dem er zuerst den “Elitebegriff” hinterfragte, dann das pädagogische Konzept und die Kompetenz des Elternvertreters in der Luft zerriss und zum Schluss die Verantwortung des Lehrers für seine Schützlinge herausarbeitete und die Frage stellte, wie die Kollegen mit einer so schändlichen Entscheidung weiterleben könnten, wenn sie ihren ehemaligen Schüler in der Stadt träfen und so weiter und so fort,  schloss er mit den mir unvergesslichen Worten: “Ich stimme für die Versetzung, denn er hat ein helles Köpfchen, das zur Zeit nur auf Mädels gerichtet ist. Aber er wird seinen Weg gehen, davon bin ich überzeugt! Dafür steht meine fast vierzigjährige Erfahrung. Macht was ihr wollt, ich will gar nicht sehen, wie ihr abstimmt! Und damit ich nicht vollends kotzen muss, weil dieser elitäre Wirtschaftskerl hier weiterhin sein Geistesgewürge aussondert: Alfred (ein Kollege, der Kettenraucher war – Anm. d. Verfassers), gib mir ne Kippe, dass ich mich etwas beruhigen kann. Ich warte draußen auf euren Versetzungsbeschluss!“ Sprach’s, rauschte aus dem Raum und knallte die Tür. Und – was soll ich sagen? Der Klassenkamerad wurde versetzt, wechselte aufs Wirtschaftsgymnasium und machte dort ein glänzendes Abitur. Heute ist er selbst im Vorstand eines mittelständigen Unternehmens und ein wertvolles Mitglied unserer Solidargemeinschaft. Danke dafür!

Ganz ähnlich wie Käff legte “Z“, wie wir ihn nannten (eigentlich hieß er Dr. Zimmermann), sehr viel Wert auf charakterliche Bildung und Widerspruch zu Autoritäten. Er unterrichtete Geschichte und Deutsch. Ihm waren tiefe Erkenntnisse und das Wissen um Zusammenhänge wichtiger als punktuelles Wissen – obwohl er dieses als Basis sehr wohl verlangte. Ihm habe ich eine tiefgehende Erkenntnis zu verdanken, und das kam so: In Geschichte waren wir gerade beim Thema Nationalsozialismus angelangt. Eines Tages erschien “Z” mit einem Plattenspieler, einer Schallplatte und einem Lautsprecher im Unterricht und forderte uns auf, alle Tische und Stühle an den Rand des Klassenraumes zu stellen. Dann mussten wir – den Blick auf den Rücken des Vordermannes gerichtet – einen Kreis bilden und in einem Takt, den er vorgab, im Kreis mit lautem Aufstampfen marschieren. Nach etwa zwei Runden legte er die Platte auf und das “Horst-Wessel-Lied“ erklang. Zu diesem Lied drehten wir weitere drei bis vier Runden im Marschrhythmus.

Lernen, was Faschismus bedeutet

Dann erklärte er: “Habt ihr die Gemeinschaft gefühlt? Wart ihr eins mit eurer Klasse? Das Phänomen, das ihr gerade am eigenen Leib erfahren habt, nennt sich oberflächig und inkorrekt Faschismus. Das leitet sich von den Faszien ab, den Rutenbündeln oder den Muskeln, die zusammengehalten werden und dadurch ihre Kraft entwickeln oder Stabilität bieten können. Eine Weidenrute kann man leicht brechen, ein Rutenbündel nicht! Deshalb waren die ‘Fasces’ im alten Rom ein Zeichen des Innehabens der politischen Macht und des Rückhalts durch das Volk. Faschismus kann demzufolge nur dann existieren, wenn er an den Schalthebeln der Macht sitzt und nicht – wie viele Gewerkschafts-Heinis immer so falsch erzählen – wenn irgendwelche Spinner wirren Ideen folgen oder nationale Gefühle pflegen. Die Begleiterscheinungen des Faschismus bezeichnen wir als ‘faschistoid’.

“Z” fuhr fort: Dazu gehört – und das ist einfach genauer! – auch euer Marschieren und das Gemeinschaftsgefühl, das dadurch entstand. Das Eins-sein mit der Masse! Es ist das gleiche Gefühl, das man hat, wenn im vollbesetzten Wembley-Stadion beim Queen-Konzert zu ‘Radio Gaga’ fast das gesamte Stadion rhythmisch im Takt klatscht – mit den erhobenen Händen über dem Kopf, oder wenn man in der Gewerkschaft gemeinsam ‘Brüder zur Sonne, zur Freiheit!’ singt. Wenn etwas faschistoid daherkommt, muss es nicht gleich schlecht sein – nur bitte ich euch, dann GENAU aufzupassen, denn da ist die Chance am größten, dass man euch zu etwas manipulieren will, was ihr vielleicht nicht wollt. Gebt Obacht in eurem Leben, wenn solche Dinge eintreten!“ Durch diesen Unterricht von “Z” begriff ich erstmals, was Faschismus wirklich ist, was im Unterschied dazu “faschistoide” Phänomene sind und wieso wir aufpassen müssen, nicht in der Masse unterzugehen, wenn wir unseren kritischen Geist bewahren wollen. Danke dafür!

Ertüchtigung zu Selbständigkeit und Courage

Unser dritter Lehrer war Dr. C. (er war noch zu kurz an unserer Schule, um bereits “Kampfnamen“ verliehen bekommen zu haben). Er war von einer Waldorfschule an unser Gymnasium gewechselt und unterrichtete ebenfalls Geschichte und Deutsch. C. kam nur kurz an unsere Schule, weil sein Sohn eine aufwendige medizinische Therapie in Hannover am Uniklinikum erhielt und er ihm so etwas näher war und ihn häufiger besuchen konnte. Dieser Lehrer hat uns Schüler angeleitet, eigenverantwortlich zu handeln. Dass ich durch ihn eine der wirkungsvollsten Konfliktlösungsstrategien kennenlernen durfte, ist Grund dafür, dass ich ihn in diesen Artikel würdige. C. leitete die Theater-AG und trug stets Sorge, dass wir Schüler uns unser Stück selbst aussuchten und es selbständig inszenierten, während er nur beratend zur Seite stand.

Gerade diese Eigenverantwortung für unser künstlerisches Wirken hat uns erst zu Höchstleistungen beflügelt. Ich bin noch heute der Überzeugung, dass wir die beste Aufführung aller Zeiten von Dürrenmatts “Die Physiker” auf die Bühne gebracht haben!. Eines Tages – wir besprachen uns gerade mit unserem AG-Chef auf dem Schulflur – kam der “Direx“, unser Schulleiter “Zeus“, höchstpersönlich mit hochrotem Kopf herangeprescht und polterte sogleich los: “Kollege Dr. C.! Mir wurde von einer Mutter zugetragen, dass Sie zu weich im Unterricht seien! Was sagen Sie zu Ihrer Verteidigung?“ – Unser Lehrer lächelte und antwortete dann: “Herr Direktor! Zum Streiten gehören immer zwei – und mir fehlt jetzt die Lust dazu!” Daraufhin wandte er sich wieder seelenruhig Philipp zu, einem der Darsteller, und fuhr fort: “Sie hatten mir gerade erzählt, wie Sie Ihren Auftritt gestalten wollen – das sollten wir gleich einmal probieren…“ Den sprachlosen Direx, diese allseits gefürchtete Autorität, ließ er einfach stehen. Eine sensationelle Erfahrung – die tiefen Eindruck auf uns machte. Danke auch dafür!

6 Antworten

  1. Schade, diese Lehrer gibt’s heute nicht mehr: alles nur linksgedrehte Banausen, wie die Vergleichstests (Pisa et al.) beweisen

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  3. Meine Lehrer waren teilweise noch als Soldaten im 2. Weltkrieg. Sie waren streng aber gerecht. Wer sich einigermaßen anstrengte, den hätten sie niemals aufgegeben. Dennoch wurde uns das Abitur nicht hinterher geworfen. Es zählte Leistung und nicht Ideologie oder das richtige Parteibuch.

  4. In fruehren Zeiten gab es Lehrer, die natuerliche Autoritaeten( nicht autoritaer) mit Humor und Persoenlichkeit waren respektiert und geachtet wurden.
    Die konnten lehren, die Kinder fuer ihre Faecher und zum Lernen begeistern.

    Mein Dorf Volkschullehrer war so jemand. Von ihm lernte ich lebenslanges Interesse EEan Geschichte, Erdkunde und Natur. z.B. hatte er einen Tisch mit staendig wechselnden Blumen und Pflanzen in Glaesern und deren Namen.
    Er brachte Huehner, Gaense, ein Schaf, Enten und Hasen mit.
    Das Erdkunde und Geschichtslernen erfolgte in Schritten , unser Dorf, naechste Stadt, Landkreis, Bezirk, Bundesstaat in diesem Fall erst Franken, dann Bayern.

    Ein Klassenzimmer 1. bis 4. Klasse zusammen, dass Anfang der 60ziger Jahre.
    Wenn er eine Klasse unterrichtete, hatten die anderen Schreibarbeit, konnten sich leise beschaeftigen oder zuhoeren.
    Wir waren fast 50 Schueler, keine Ausfaelle, Frechheiten oder Aggressionen Stille , Lernen, Mitdenken, Melden, Konzentration, denn wir achteten und liebten unseren Lehrer.
    Zum Ende der ersten Klasse, konnte ich Zeitungsartikel lesen und alle Buchstaben und Schreibschrift schreiben( leider kannte damals niemand Legasthenie) und konnte kaum den Schulbeginn der zweiten Klasse erwarten. Dass war damals nichts besonderes, sondern eher die Regel.

    Gerne denke ich daran zurueck und bin diesem Lehrer fuer die Richtung, die er meinem Leben gegeben hat, fuer die Neugier zu lebenslangen Lernen, die er erweckt hat und die Grundlagen dazu.

  5. Oh das ist ein toller Artikel. Habe auch so manches Mal nachgedacht über meine damaligen Lehrer. Eine hat mich wohl in der Geo-Abiprüfung def. auf’s Korn genommen. Hatte aber quasi eh schon bestanden. Im Nachhinein bin ich diesen, meinen ehemaligen Lehrern für die Ausbildung, sei sie schulisch, aber auch schlicht menschlich, sehr dankbar. Unvergessen mein Physiklehrer, der mir zu meiner Physikprüfungspunktzahl (Leistungskurs nannte man das dazumal) sagte, dass er stolz sei, dass seine Arbeit (seine Profession) etwas bewirkt hat!
    Man schätzt es im Leben erst viel später. Heute scheint es düster auszusehen für die aktuelle Schulgeneration 🙁
    Gruß aus’m Osten. Is dort, wo die Sonne aufgeht 🙂