Raunende Stimmungsmache gegen Till Lindemann in Leipzig: Moralgericht statt Opernball

Raunende Stimmungsmache gegen Till Lindemann in Leipzig: Moralgericht statt Opernball

Schuldig bei Verdacht, trotz Einstellung aller Strafverfahren und Fehlen jeglicher haltbarer Beweise: Rammstein-Frontmann Till Lindemann (Foto:Imago)

Kaum fällt in Leipzig das Wort „Opernball“, eilt die Gegenwart herbei wie ein eifriger Souffleur: Protestaufrufe, moralische Ultimaten, Rückzüge auf offener Bühne. Der diesjährige Anlass ist schnell erzählt: Rammstein-Frontmann Till Lindemann steht auf der VIP-Liste; ein städtisches Bündnis mit dem vorsorglich allumfassenden Namen „Gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch“ erklärt die Einladung zum „fatalen Signal“; die sächsische SPD-Sozialministerin Petra Köpping sagt ihren Besuch „zur Deeskalation“ ab. “Ein bemerkenswerter Rückzug – schließlich verantwortet Köpping im Kabinett das Ressort für ‘Gesellschaftlichen Zusammenhalt’. Den lässt sie nun auf dem Parkett allein tanzen’, feixt Michael Deutschmann in der “Bild”. Damit ist die Szene gesetzt: Ein Fest soll sein, doch die Stadt will Gericht spielen. Wo Festkultur sich entfalten sollte, etabliert sich eine neue Empörungsvokabel: „Täter-Ball“. Es ist ein Fanfarenstoß der Anklage, eine kurze Trommelwirbel-Formel, die alles Weitere entbehrlich macht. Dass die Ermittlungen wegen sexuellen Missbrauchs gegen Lindemann 2023 mangels Tatverdacht samtsonders eingestellt wurden und er offenbar Opfer einer Rufmordkampagne wurde, gehört zu den nüchternen Sätzen des Rechtsstaats, die in der großen Affektökonomie kaum noch Rendite bringen.

Die Formel „juristisch entlastet ist nicht moralisch entlastet“, die das Bündnis in einem offenen Brief nutzt, avanciert zum Joker, der jedes Verfahren übersticht. Doch wer die Unschuldsvermutung als bloßes Detail einer angeblich höheren Moral behandelt, kündigt den stillen Gesellschaftsvertrag, auf dem Freiheit ruht. Die berühmte vermeintliche Höherwertigkeit der “Moral” über geltendes Recht ist die Erfindung eines Zeitalters, das beides miteinander verwechselt: Norm und Nimbus. Der Rechtsstaat ist langsam, schwerfällig, mitunter pedantisch – aber er ist die einzige Institution, die uns vor deTribunalisierung der Tagesstimmung schützt. Wer seine Urteile durch die Dichte des Verdachts ersetzt, baut keine sensiblere Gerechtigkeit, sondern eine lautere Willkür. Das Ergebnis: Je schriller die Tugend, desto kleiner der Bürger.

Wenn Worte zu Strafen werden

Die semantische Technik ist simpel: Man nehme eine – laut “Leipziger Volkszeitung” “umstrittene” – Person, ersetze die Unschuldsvermutung durch einen moralischen Imperativ („den Betroffenen glauben!“, trotz gegenteiliger gerichtlicher Erkenntnisse), erkläre die bloße Präsenz dieser Person zum „Signal“ – und schon verwandelt sich Anwesenheit in Anmaßung, Einladung in Verletzung, Schweigen in Schuldeingeständnis. Worte werden zu Strafen. Der Aufruf zur „Deeskalation“ ist in dieser Grammatik kein Ausgleich, sondern eine Kapitulation vor dem Druck, der jederzeit wiederholbar ist, weil er nicht an Taten, sondern an Stimmungen gebunden ist: Eine “angespannte Stimmung” erkennt natürlich prompt auch die LVZ. Dass mehr als 180 Leipziger Kulturakteure den offenen Brief mittragen, gehört ins Kapitel „Selbstdisziplinierung der Institutionen“: Man bekundet die richtige Haltung, um die eigene Verwundbarkeit im Event-Ökosystem zu minimieren. Vielleicht verstehbar – aber immer fatal. Denn Kultur wird so zum Pfand einer öffentlichen Hygiene, in der nicht mehr die Kunst verhandelt, sondern das Publikum beruhigt wird. Wer Konflikte präventiv moralisch vorframed, macht sich zum Sprachrohr, zur Pressestelle einer Politik der Affekte.

Opernbälle sind keine Pettingzonen der Macht, sondern symbolische Orte bürgerlicher Selbstvergewisserung: eine arrangierte Pause, in der die Stadt sich in ästhetischen Ritualen betrachtet und dabei Geld für soziale Projekte sammelt. Gerade weil diese Feste die Bürgergesellschaft inszenieren, sind sie für Sittenwächter so begehrt: Wer das Ritual beherrscht, verordnet die Moral.

Bürgerkrieg der Gefühle

Die Gegenwart wiederholt sich als Refrain: Ein affektives Lager ruft „Zeichen setzen“, das andere „Maß halten“. Dazwischen verschwindet der Rechtsstaat als stiller Bariton, der alles trägt und selbst kaum gehört wird. Damals wurden Verfahren und Meinungen verwechselt; heute wird das Verfahren durch Meinung ersetzt. Die moralische Aufladung funktioniert wie Pop: kurze Loops, starke Hooks, wenig Kontext. Wer widerspricht, gilt als „verharmlosend“; wer schweigt, als „komplizig“. Die Einladung Lindemanns sende “ein fatales Signal” an Betroffene “sexualisierter Gewalt”, heißt es in dem Brief. „Signal“: dieser Begriff ist die perfekte Währung der Gegenwart. Er behauptet Wirkung, ohne Wirkung zeigen zu müssen. Er verlangt Handlung, ohne Verantwortung für Folgen zu übernehmen. Ein „falsches Signal“ ist rhetorisch unergründlich: Niemand kann es beweisen, jeder kann es fühlen; und gerade weil es unmessbar ist, taugt es als Hebel für Ausladungen, Absagen und Siege des Verdachts.

Ein Staat, der das „Deliktsphantom“ – die Vorstellung, ein nicht belegter Vorwurf müsse sozial wie ein Faktum behandelt werden – zur Norm erhebt, erzieht seine Bürger zur Denunziationsvernunft. Wer hier das Etikett „Täter-Ball“ verteilt, betreibt keine Zivilcourage, sondern moralische Vorverurteilung. “Till Lindemann kommt zum Leipziger Opernball. Was halten Sie davon?”, fragt voreinnehmend online die LVZ – und nur noch 47,6 % der knapp 20.000 Stimmen finden das in Ordnung. Ein gutes Drittel findet das problematisch, dem Rest ist es egal. Dass nun ausgerechnet sonst selbst nicht zimperliche linke Mainstream-Medien wie der “Stern” – durch Phil Göbel unter der bezeichnenden Schlagzeile “Darf dieser Mann denn nie mehr ein normales Leben führen?” – daran erinnern, dass Lindemann kein verurteilter Täter und der Rechtsstaat keine Dekoration ist, zeigt, wie prekär diese Grundlagen geworden sind. Insofern stimmt zunächst hoffnungsvoll, dass Landtagspräsident Alexander Diercks, Tourismusministerin Barbara Klepsch oder Kultusminister Conrad Clemens (alle CDU) an ihrem Opernball-Besuch festhalten.

Prüfstein des Gemeinwesens

Der angekündigte Protest testet nicht die Leidensfähigkeit eines Festes, sondern die Tragfähigkeit unserer Regeln. Kann eine Stadt ein gesellschaftliches Ereignis durchführen, das eine Vielzahl prominenter und nichtprominenter Gäste empfängt – oder setzt sich die Logik des Prangers durch, nach der Einladung und Indiz unter Bruch des Siegels der Unschuldsvermutung unvereinbar sind? Wird Ministerinnen-Politik künftig berechenbar, indem man einfach nur die Lautstärke auf der Empörungsskala erhöht? Zu Klarstellung: Konservativ sein heißt hier nicht, den Festsaal gegen jede Kritik abzuschirmen. Es heißt, an einem zivilisatorischen Minimum festzuhalten: Keine Strafe ohne Gesetz, kein Ausschluss ohne Urteil, keine Verwechslung von Ansehen und Anschuldigung. Wer dieses Minimum, diesen Grundanstand aufgibt, schafft keinen „sichereren“ Kulturraum, sondern einen unsicheren öffentlichen Raum, in dem die kräftigste und leidenschaftlichste moralische Entrüstung jede Evidenz, und sei sie noch so dünn oder gar nicht vorhanden, übertönt.

Der Leipziger Opernball wird heute stattfinden, die Empörung sicher auch. Unter dem Motto „Bienvenidos, Andalucía“ wird das 30. Balljubiläum gefeiert mit rund 2.000 Besuchern. Die VIP-Riege von etwa 40 Personen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft umfasst den Promi-Geiger David Garrett, den Reality-Star Claudia Obert, die Schauspieler Jenny Elvers, Richy Müller sowie Jördis Triebel – und eben Lindemann, den gebürtigen Leipziger. Vielleicht werden einige Gäste fehlen, andere werden umso trotziger erscheinen – von “Polarisierung” schreibt die “B.Z.”. Was jedoch bleiben sollte, ist die Erinnerung an eine simple Reihenfolge: Zuerst das Recht, dann die Moral – oder anders gesagt: Zuerst die Regeln, dann die Rituale. Das sollten sich auch die Stadtoberen in Leipzig hinter die Ohren schreiben: Nur wenn die Stadt den Rechtsstaat nicht nur im Gerichtssaal, sondern auch im Foyer verteidigt, kann sie es sich leisten, Feste zu feiern, die mehr sind als ein „Signal“. Übrigens: Trotz der Attacken erfreut sich Lindemann weiterhin großer Beliebtheit – sein Konzert am nächsten Mittwoch in der Arena Leipzig ist ausverkauft.

8 Antworten

  1. Pressing & Hysterisierung

    Wikipedia schreibt über Pressing (Fußball): „Die Grundidee ist, dem Gegner möglichst wenig Zeit zu geben, sein Spiel ruhig und kontrolliert aufzubauen, und ihn so zu Fehlern oder in bestimmte ungefährliche Räume zu zwingen. “ Das ist die Taktik (z.B. im Kontext Stadtbild oder Lindemann). Die Strategie ist die Hysterisierung, die ein altes Mittel der Kommunisten ist. Man unterstellt dem Gegner, er habe etwas Unerhörtes gesagt und echauffiert sich heftig darüber. Das geschieht freilich auch dann, wenn der Gegner nichts dergleichen gesagt oder getan hat (Spionage durch kleine Anfragen der AfD oder siehe oben: Fall Lindemann)

    Vorteil dieser Methoden: Der Gegner (wir) sind mit uns selbst und der Widerlegung der Vorwürfe beschäftigt, während die Machthaber einfach weitermachen.

    Frage: Warum benutzen wir nicht ähnliche Methoden?

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  2. Diese verdammte Cancel Culture ist nur dazu da, um Angst zu schaffen und diejenigen zu schützen, die keine Toleranz verdienen!

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  3. Die werden von Tag zu Tag hysterischer und blöder. Hoffentlich ist dieser Spuk bald
    zu Ende.

    Übrigens Herr Kretschmer verteidigt die Hausdurchsuchung von Norbert Bolz
    Kretschmer: „Naziparolen dürfen wir nicht dulden“, sagte der Christdemokrat der Bild-Zeitung. „

    Was soll man dazu noch sagen ???? 🤨

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  4. Typisch neubraune Rotfront-Linksfaschisten.
    Einmal Sozialismus-Faschisten, immer Sozialismus-Faschisten.

    Nationalgalerie – Sofort Entmaterialisieren

  5. Die CDU meldet sich und findet Razzia bei Bolz völlig richtig

    Kretschmer (CDU) verteidigt Hausdurchsuchung bei Bolz
    Auch zahlreiche Linke verurteilen den Polizeieinsatz bei dem Publizisten Norbert Bolz. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sieht es anders – und verweist darauf, daß man in Deutschland auch keinen Hitlergruß zeigen dürfe.
    https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2025/kretschmer-verteidigt-hausdurchsuchung-bei-bolz

  6. Lindemann selbst ist ja zu DDR-Zeiten linksalternativ gewesen und hat sich laut eigenen Aussagen mit Fascho-Skins geprügelt. Rammsteins Küchentruppe hat Schürzen mit Rote Gourmet Fraktion an habe ich mal bei einer Doku gesehen und der bekannte Titel Links, zwo, drei, vier mein Herz schlägt Links ist eine Andeutung an Lafontaines Buch. Nur weil Lindemann und seine Jungs noch vom alten Schlage sind genau deswegen sind sie Feindbild. Würden sie richtig Nazis Raus und Gegen Rassismus Texte haben und auch deren Symbolik auf den Veröffentlichungen da wären sie voll okay. Es ist wie bei den Böhsen Onkelz die man heutzutage kritisiert nicht hart genug sich zu distanzieren gegen Rechts weil sie 1981-1985 eine Skinheadband waren wo das 84er Debütalbum bis jetzt debattiert wird als Vorzeigeplatte des Rechtsrocks, wo aber Ragnaröck die Mauer muss weg von 1979 der wahre RAC waren im deutschsprachigen Raum. Damals in den 80ern da waren Skrewdriwer, Brutal Attack, Endstufe, Kahlkopf und KDF die waren Urgesteine des Rechtsrocks. Die Frankfurter waren gemäßigte Patrioten und keine Anhänger der NS-Ideologie, Soldatentums und auch des Reiches. Sie waren stolz auf ihre regionalen Sportmannschaften und Rassenüberlegenheit sowie FAP, WJ oder NPD-Verbindungen wurden strikt abgelehnt. Das Danke für Nichts Buch ist empfehlenswert zu diesem Thema. mfg

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