
Am 11. Juni startet die Netflix-Dokumentation “Titan: Die OceanGate-Katastrophe”, die das tragische Unglück des Titan-U-Bootes im Juni 2023 beleuchtet. Unter der Regie von Mark Monroe widmet sich der Film der verhängnisvollen Expedition zum Titanic-Wrack, bei der alle fünf Passagiere, einschließlich OceanGate-CEO Stockton Rush, ums Leben kamen. Der Film verspricht, durch exklusive Aufnahmen, Whistleblower-Aussagen und Archivmaterial die Hintergründe der Katastrophe aufzudecken.
Die Dokumentation zeichnet die Ereignisse vor und während der Titan-Expedition detailliert nach. Durch Interviews mit ehemaligen OceanGate-Mitarbeitern wie Tony Nissen, Bonnie Carl und David Lochridge sowie Experten wie Rob McCallum wird ein facettenreiches Bild der Katastrophe gezeichnet. Die Verwendung von Audioaufnahmen und frühem Filmmaterial verleiht dem Film Authentizität und Nähe zu den Ereignissen. Besonders eindrucksvoll ist die Darstellung des Moments, in dem Wendy Rush, die Witwe von Stockton Rush, einen lauten Knall hört – vermutlich die Implosion des U-Bootes. Der Film gliedert sich in drei zentrale Themen: die technische Konstruktion der Titan, die Unternehmenskultur bei OceanGate und die Persönlichkeit von Stockton Rush. Monroe gelingt es, diese Aspekte zu verknüpfen und ein komplexes Bild der Ereignisse zu zeichnen. Die klare narrative Struktur sorgt dafür, dass auch Zuschauer ohne technisches Vorwissen die Problematik nachvollziehen können, insbesondere die umstrittene Entscheidung, Kohlefaser für den Rumpf des U-Bootes zu verwenden.
Hybris und Verantwortungslosigkeit
Stockton Rush, der visionäre Kopf hinter OceanGate, wird in der Dokumentation als charismatischer, aber zutiefst fehlgeleiteter Anführer porträtiert. Seine Hybris zeigt sich in seinem unerschütterlichen Glauben an die Machbarkeit seines Projekts, trotz wiederholter Warnungen von Experten. Ehemalige Mitarbeiter wie David Lochridge, der nach Sicherheitsbedenken entlassen wurde, beschreiben Rush als jemanden, der „Ruhm“ suchte, um „sein Ego zu nähren“. Diese Aussagen, gepaart mit dem Vorwurf, er sei ein „grenzwertiger Psychopath“, zeichnen ein Bild von einem Mann, der Risiken bewusst ignorierte.
Rushs Führungsstil war geprägt von einem autoritären Ansatz, der wenig Raum für Kritik ließ. Die Dokumentation zeigt, wie er Sicherheitsbedenken abtat und Mitarbeiter wie Bonnie Carl, eine Buchhalterin, scherzhaft als potenzielle U-Boot-Pilotin vorschlug – ein Zeichen für seine sorglose Haltung gegenüber Qualifikationen und Verantwortung. Seine Entscheidung, Kohlefaser für den Rumpf zu verwenden, obwohl Experten wie Karl Stanley vor den Gefahren warnten, war ein fataler Fehler. Die Dokumentation legt nahe, dass Rushs Drang, die Tiefsee für den Massentourismus zu öffnen, ihn blind für die Risiken machte, was letztlich zum Tod von Hamish Harding, Shahzada und Suleman Dawood, Paul-Henri Nargeolet und ihm selbst führte.
Lob für Mut und Forschungsgeist
Trotz der berechtigten Kritik verdient Rush Anerkennung für seinen Mut und seinen Innovationsgeist. Er war ein Pionier, der die Tiefsee-Erkundung demokratisieren wollte. Seine Vision, den Zugang zum Titanic-Wrack für zahlende Kunden zu ermöglichen, war ambitioniert und zeigte einen unerschütterlichen Glauben an technologischen Fortschritt. Interviews in der Dokumentation betonen, dass Rush fest an die Sicherheit der Titan glaubte, was, wenn auch tragisch fehlgeleitet, von einer tiefen Leidenschaft für die Erforschung des Unbekannten zeugt. Seine Bereitschaft, selbst an Bord zu gehen, unterstreicht seinen Mut, auch wenn dieser durch seine Hybris überschattet wurde.
Die Dokumentation würdigt Rushs Forschungsgeist, indem sie frühe Aufnahmen zeigt, die seine Begeisterung für die Tiefsee vermitteln. Seine Idee, Kohlefaser zu verwenden, war ein Versuch, die Kosten zu senken und die Technologie zu revolutionieren. Obwohl dieser Ansatz scheiterte, zeigt er Rushs Bereitschaft, konventionelle Grenzen zu überschreiten – ein Merkmal, das in der Geschichte großer Entdecker oft zu finden ist.
Tiefgang und Objektivität
“Titan: Die OceanGate-Katastrophe” besticht durch seine gründliche Recherche und die Vielfalt der Perspektiven. Die Einbindung von Whistleblower-Aussagen und die Analyse technischer Details, wie der unkonventionelle Einsatz von Kohlefaser, machen den Film zu einer fundierten Fallstudie. Monroe vermeidet eine sensationslüsterne Darstellung und fokussiert sich stattdessen auf die komplexen Ursachen der Katastrophe. Die emotionale Tiefe, insbesondere durch die Perspektive von Wendy Rush, verleiht dem Film eine menschliche Dimension, die über bloße Fakten hinausgeht. Ein Kritikpunkt ist, dass die Dokumentation die rechtlichen und regulatorischen Konsequenzen der Katastrophe nur oberflächlich behandelt. Zwar wird die Klage der Familie von Paul-Henri Nargeolet erwähnt, doch bleibt unklar, wie die laufenden Untersuchungen in den USA und Kanada die Tiefsee-Erkundung langfristig beeinflussen könnten. Auch die Frage, wer neben Rush Verantwortung trägt – etwa Investoren oder Mitarbeiter, die Warnungen ignorierten – wird angeschnitten, aber nicht vertieft. Dies hinterlässt einen Eindruck von Unvollständigkeit, da die größeren Implikationen der Tragödie nur am Rande diskutiert werden.
Ich sehe gut gemachte Dokumentationen inzwischen fast lieber als fiktionale Filme und Serien. Nicht, weil das Leben ja angeblich die besten Geschichten schreibt, sondern weil ich mit zunehmendem Alter Probleme habe, in erdachte Stoffe reinzukommen. Wenn’s mir dann doch mal gelinkt, ist es großartig, fast wie in alten Zeiten, aber leider gelingt mir das viel zu selten. Oft schalte ich Filme und Serien bereits nach ein paar Minuten aus. Hochwertige Dokus dagegen enttäuschen mich fast nie. “Titan: Die OceanGate-Katastrophe” gehört für mich zu diesen hochwertigen und gut gemachten Dokumentationen.
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2 Antworten
„Der Film verspricht, durch exklusive Aufnahmen, Whistleblower-Aussagen und Archivmaterial die Hintergründe der Katastrophe aufzudecken.“
Ach so … Ist halt abgesoffen. Kommt vor. Habe davon noch nie was gehört.
Und ich dachte, es soll die Wahrheit über die „Titanic“ zeigen, dass es eben keine Titanic ist.
Am 11.06. erscheint die Film-Doku. Heute ist aber der 07.06. Schon gesehen?