Was zwang Heinrich Heine in seine „Matratzengruft“?

Was zwang Heinrich Heine in seine „Matratzengruft“?

Heinrich Heine: Todesursache war wohl nicht Syphilis, sondern eine Bleivergiftung (Repro:Imago)

Nach mehr als siebenjährigem Martyrium verstarb Heinrich Heine am 17. Februar 1856 in seiner „Matratzengruft“ – gehunfähig und mit gelähmten Augenlidern. Bis heute gilt eine Syphilis als Ursache seines Siechtums. Dabei ist dieses Narrativ bereits vor fast drei Jahrzehnten zerplatzt. 1997, zum 200. Geburtstag des Dichters, hatte die Heinrich-Heine-Gesellschaft eine toxikologische Haaranalyse in Auftrag gegeben. Durch den Nachweis von Quecksilber – der zu Heines Lebzeiten üblichen Therapie – sollte eine Syphilis indirekt bestätigt werden. Allerdings fand der Göttinger Rechtsmediziner Harald Kijewski nicht Quecksilber, sondern Blei in sehr hoher Konzentration. Dabei hätten alle Symptome, an denen Heine litt, auch schon früher den Verdacht auf Blei als Ursache lenken müssen. Heine selbst lieferte in seinem Gedicht „Das Vermächtnis“ die Beschreibung der bereits aus dem Altertum bekannten „Colica pictonum“, wie man eine Bleivergiftung nannte:

Ich vermach‘ euch die Koliken,
die den Bauch wie Zangen zwicken,
Harnbeschwerden, die perfiden
Preußischen Hämorrhoiden.

Meine Krämpfe sollt ihr haben,
Speichelfluss und Gliederzucken,
Knochendarre in dem Rücken,
lauter schöne Gottesgaben.

Dennoch haben Gralshüter von Heines Erbe und seine Biographen die diagnostische Wende bis heute nicht vollzogen. Die Syphilis geistert weiterhin durch Heines Leben, obwohl selbst die Befürworter dieser Diagnose nie erklären konnten, warum Heinrich Heine bis zuletzt geistig klar und arbeitsfähig blieb. Die Herkunft der hohen Bleikonzentration in seinen Haaren wird dabei meist ignoriert.

Blei – ein bekanntes Nervengift

1696 hatte der Ulmer Stadtphysicus Eberhard Gockel (1636-1703) den Zusammenhang zwischen Blei und einschlägigen Gesundheitsbeschwerden bereits erkannt:Für die Führungselite eines Klosters konnte er den Konsum von Wein, der mit bleihaltigem Most „aufgebessert“ war, als Ursache ihrer Darmkoliken ermitteln. Die einfachen Mönche, die einen saureren Wein und mehr Wasser zu sich genommen hatten, waren nicht betroffen. In der Tat ist Blei ist ein Nervengift, das sowohl Heines Lähmungen beider Beine und der Augenlider als auch seinen schleichenden Krankheitsverlauf erklärt. In meinem 2022 erschienenen Buch „Letzte Tage. Verkannte und vertuschte Todesursachen bekannter Persönlichkeiten” zeige ich die frappierenden Parallelen zur Leidensgeschichte von Ludwig van Beethoven (abgesehen von dessen Ertaubung) auf.

Schon vor seinem 30. Lebensjahr litt Heine in Göttingen und Berlin immer wieder an starken Kopfschmerzen, Bauchkoliken und beklagte Stimmungsschwankungen. Frühzeitig beklagte er auch eine Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen. 1831 traten erstmals Lähmungen und Sehstörungen auf. Lange vor seinem körperlichen Zusammenbruch 1848 zeichnete ihn eine Rastlosigkeit aus, die ihn veranlasste, in seinen 17 Jahren, in denen er in Paris körperlich mobil war, mehr als 20-mal die Wohnung zu wechseln. Auch darin gleicht er Beethoven. Auffallend war Heines ausgeprägte Blässe durch die hemmende Wirkung von Blei auf drei Enzyme für die Synthese des roten Blutfarbstoffes. Wenige Wochen vor seinem Tod bemerkte die Schriftstellerin Elise Krinitz alias Camille Selden, die ihn zuletzt literarisch unterstützte, dass selbst seine Lippen ihre rote Farbe verloren hatten.

Woher kam das Blei?

Wie aber konnte es zu der offenbar jahrzehntelangen Bleibelastung kommen? Eine chronische Vergiftung durch Wasser oder Lebensmittel scheidet aus. Dafür hat Heinrich Heine einerseits zu oft den Wohnsitz gewechselt, andererseits wären auch mit ihm zusammenlebende Personen wie in Paris seine Ehefrau erkrankt; Heines Leiden aber blieb ein Einzelfall. Eine spezielle individuelle Vorliebe für mit Bleizucker aufgebesserten Wein wie bei Ludwig van Beethoven ist nicht bekannt. Die immer wieder ins Spiel gebrachte Vergiftung durch preußische Geheimdienstagenten, die ihm in Paris wahrscheinlich nachspionierten, scheidet ebenfalls aus, hätten diese für die langjährige niedrigdosierte Bleiverabreichung doch einen Komplizen gebraucht. Über Heinrich Heine wachte allerdings eine handverlesene „Geheimpolizei“ aus engen Vertrauten. Seine Ehefrau Mathilde war dafür bekannt, im wahrsten Sinne des Wortes keiner Fliege etwas zu Leide tun zu können. Sie hätte auch gar keinen ökonomischen Grund gehabt, da sie von Heines einträglicher Produktion sehr gut lebte.

Plausibel ist eigentlich nur, dass Heinrich Heine Bleisalze einnahm, um sich vor einer Syphilis zu schützen, die er jedoch nie hatte! Harry Heine war kein Kind von Traurigkeit und als junger Mann immer wieder in Bordellen unterwegs gewesen. Jedenfalls berichtete Heine bereits in den 1820er Jahren über Geschlechtskrankheiten. Obwohl es sich dabei sehr wahrscheinlich um eine Gonorrhoe oder einen weichen Schanker gehandelt haben dürfte, scheint er selbst von einer Syphilis ausgegangen zu sein. Wie ein Damoklesschwert hing seit der mutmaßlichen Einschleppung des Treponema pallidum mit der Wiederentdeckung Amerikas 1492 die Syphilis über jeglicher promiskuitiven Sexualität.

Fixposition zur Unterdrückung sexueller Bedürfnisse

Unwahrscheinlich, dass Heine bei der seinerzeit verbreiteten Panik nichts gegen seine Befürchtung unternommen hat. Bleisalze galten schon länger als probates Mittel gegen die Folgen von Geschlechtskrankheiten und zur Abschwächung sexueller Bedürfnisse. Schon Paracelsus (1493/94–1541) hatte Bleisalze gegen eine „Tollheit von überreiztem Geschlechtstriebe“ empfohlen. Seither waren bleihaltige Präparate eine Fixposition zur Unterdrückung sexueller Bedürfnisse. Essigsaures Blei wurde gegen die Onanie verschrieben. Ob der Rat von seiner lebensklugen dominanten Mutter oder einem befreundeten Arzt stammte, wissen wir nicht; der stetig progrediente Verlauf legt jedenfalls nahe, dass Heine die Medikation bis zu seinem Lebensende unkritisch nach eigenem Ermessen beibehielt.

Wer aber hätte Heines Überzeugung damals widerlegen sollen? Ärzte differenzierten zu dieser Zeit die verschiedenen Geschlechtskrankheiten noch nicht. Die Pariser Spezialklinik von Philippe Ricord (1800-89) war europaweit die erste, die eine Differentialdiagnose zu entwickeln versuchte. Der Erreger der Syphilis, besagtes Treponema pallidum, wurde erst 1905 identifiziert. Spezifische Organveränderungen waren unbekannt und die Krankheitssymptome ließen keine sichere Diagnose zu; die Syphilis galt medizinisch als eine Art Chamäleon. Zwar hat Heinrich Heine behauptet, dass er außer „verschiedenartigen Bädern“ nur „Jodkali gebraucht“ hätte, aber dies ist mit Vorsicht zu genießen.

Unbekannte Risiken

Heines Überleben als Berufsschriftsteller hing entscheidend von Kontakten zu wichtigen Persönlichkeiten des Literaturmarktes ab. Eine Geschlechtskrankheit wie die Syphilis, auf die auch bestimmte Medikamente hindeuteten, diskreditierte damals eine Person als unheilbar krank und weckte antisemitische Emotionen, da die Syphilis ohne jeden Beweis mit Juden in Zusammenhang gebracht wurde. Obwohl nur wenige Dokumente zu Heines Arztbesuchen überliefert sind, da Heine vieles – wenn nicht alles – vernichtet, verschwiegen und verwirrt hat, dürften ihm während seiner wiederholten Klinikaufenthalte keine Bleisalze verschrieben worden sein.

An materiellen Belegen liegen neben einem Rezept für Kaliumjodid und einer Honorarforderung eines Ärztekonsils aus einer Außenstelle des großen Krankenhauses für Geschlechtskrankheiten in Paris nur drei weitere Opiumrezepte und eine Rechnung des dubiosen Metallotherapeuten Victor Burq (1822–1884) vor. Letzterer empfahl die Einnahme von Kupfer wegen dessen antibakteriellen Eigenschaften. Von den Pariser Ärzten ist jedenfalls nicht bekannt, dass diese Bleisalze im Portfolio hatten. Die hohen Risiken von Schwermetallen waren Heine, wie vielen seiner Zeitgenossen, unbekannt oder er hat sie verdrängt. Sein lebenslang kritischer Geist versagte kläglich, als es um seine eigene Gesundheit ging. Ängste vor einem übermächtigen Sexualtrieb und der Syphilis lähmten sein Denken, bevor ihn das Blei in die Matratzengruft zwang. Heines Siechtum ist allerdings auch ein Armutszeugnis für Heines Behandler. Keiner diagnostizierte rechtzeitig seine „Colica pictonum“.

7 Antworten

  1. @Blei in sehr hoher Konzentration
    wenn ich mich recht erinnere – schon lange her, das ich mich dafür interessiere – haben die Engländer damals auch bei Napoleon in seinem Asyl die Wände mit Bleifarbe gestrichen. Damals war die Frage gestellt, ob es ein perfider Mordanschlag der Engländer war – das sie also wußten, was sie mit der Bleifarbe machten.

  2. Es ist schon erstaunlich wie viele der Dichter und Denker körperlich und geistig eine große Zeit ihres Lebens kaputt waren. Deswegen tue ich mich auch schwer mit Zitaten zu protzen. Man muss immer die ganze Person der Dichter und Denker betrachten und da relativieren sich deren Leistungen schon erheblich. Als Vorbilder taugen da viele schon überhaupt nicht.

    1. Zu Berthold Brecht, der von den Linkschen und Linken in den Himmel gehoben und als gleichsam heiliger linker Dichter und Denker gehandelt wird, gibt es in dem Archiv der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Haus 1, Unter den Linden, Berlin-Mitte) eine fotografische Abbildung: Brecht in einem damals supermodernen PKW, auf der Avus stehend und mit Hitler plaudernd.

      Genau so wird von den Linken und Linkschen gern und freundlicherweise „übersehen“, ja toleriert, dass Brecht Zeit seines Lebens ständig fremd ging.

  3. Wie Udo Pollmer darlegt, ist der Skorbut kein Symptom von Vitamin-C-Mangel, sondern auch ein Bleivergiftung.
    Die Konservendosen auf den Schiffen wurden mit Blei verlötet. Als das aufhörte, hörte auch der Skorbut auf.

    Schon interessant. Denn das Märchen des Vitamin-C-Mangels und Skorbut hält sich bis heute.

    8
    4
  4. „Die neue deutsche Regierung ist linkslastig, schuldenlustig, kriegslüstern und freiheitsfeindlich und VERLOGEN. Das ist keine gute Nachricht“…..“Regierung“ sollte man das Ganze nicht mehr nennen. Denn regieren hieße ja doch auch, dass man einen Plan von und für irgendetwas hätte. Das ist aber definitiv nicht der Fall. Der Begriff „Krisenverwaltung“ trifft es also schon wesentlich besser. Und dass Angela Merkel jetzt über das Gewurschtel ihres alten Erz-Parteifreundes Merz jubelt, sagt wirklich alles! Ganz nebenbei auch darüber, was sie und ihre Union von Demokratie und Wählerwillen hält. Nichts! Deutschland fließt zur Zeit bachab!

    Ich sehe nur noch mit Entsetzen auf dieses Lügenkonstrukt. Eine Wende sieht anders aus. Wir brauchen keine Quoten. Wir brauchen Eignungstests für Regierungsmitglieder….!

    1. „Wir brauchen Eignungstests für Regierungsmitglieder….!“

      Ob jemand was taugt oder nicht, weiß man ja nie vorher.
      Aber man könnte die Politiker doch endlich mal zur Verantwortung ziehen, wenn sie die Interessen des deutschen Volkes mit Füßen treten. Wenn sie die Staatsflagge mit angewidertem Gesicht in die Ecke pfeffern, wie es Merkel tat. Und ihre CDU klatschte dazu Beifall.
      Man könnte die Politiker ins Gefängnis stecken, wenn sie ihre Wahlversprechen nicht halten. Und generell sollten sie in Arbeitslager kommen, wenn sie ihren Amtseid brechen.
      Euer Amtseid ist dem Deutschen Volk zu dienen, es zu schützen und es glücklich zu machen.
      Und nicht zu terrorisieren, schikanieren und zu verarmen.

      Ich denke, das würde schon sehr viel Bewegung in die Politik bringen.

  5. Fehldiagnosen und -therapien oder Fehltherapien ohne Diagnose sind mir aus meinem beruflichen Alltag, Verwandten-, Freundes- und Bekanntekreisen in großer Zahl bekannt, so dass ich ein Buch darüber schreiben könnte. Die Injektion eines Gengiftes in wahrscheinlich Milliarden Menschen und das Festhalten daran, trotz erwiesener Giftwirkung, stellt jedoch alle summierten ärztlichen Unfähigkeiten der Menschheitsgeschichte in den Schatten. Dabei ist im Gegensatz zu Heines Zeit, in der viele Ärzte noch im Dunkeln tappten, der Mechanismus der Giftwirkung der Gengiftinjektionen basaler Teil der Medizinerausbildung weltweit.

Beiträge via Mail erhalten

[jetpack_subscription_form show_subscribers_total="false" button_on_newline="false" custom_font_size="16px" custom_border_radius="0" custom_border_weight="1" custom_padding="5" custom_spacing="0" submit_button_classes="" email_field_classes="" show_only_email_and_button="true" success_message="Sehr schön! Es wurde gerade eine E-Mail versandt, um dein Abonnement zu bestätigen. Bitte öffne diese E-Mail jetzt und klicke auf „Folgen bestätigen“, um dein Abonnement zu starten."]