Wenn Brüder zu Zielscheiben werden: Ein mythopsychologischer Blick auf die Taurus-Lieferung

Wenn Brüder zu Zielscheiben werden: Ein mythopsychologischer Blick auf die Taurus-Lieferung

In Scherben gehende zeitlose Bande (Symbolbild:Pixar)

Ein deutsches Projektil, gelenkt von westlicher Technik, trifft russischen Boden. Die Entfernung ist groß, der Schatten lang. Es ist kein taktisches Detail mehr, sondern ein Akt. Und jeder Akt trägt Symbol, trägt Tiefe, trägt Schuld. Seit Friedrich Merz die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ankündigte und zugleich die Reichweitenbegrenzung aufhob, steht nicht nur eine Waffe im Raum. Es steht ein Bild im Raum. Ein Bruch. Ein Echo. Eine Rückkopplung an alte Wunden. Was heißt es, wenn deutsche Technologie russisches Land trifft? Nicht im abstrakten Sinne, sondern im Konkreten. In den Tiefen der kollektiven Erinnerung. In jener Schicht, die nicht vergisst, auch wenn sie schweigt. Es heißt: Der Sohn kehrt mit dem Schwert zurück. Nicht um zu versöhnen, sondern um zu spalten. Der Krieg, der dort geführt wird, ist mehr als geopolitisch. Er ist mythologisch.

Deutschland und Russland sind keine Fremden. Sie sind Geschwister im Schatten Europas. Ihre Seelenstrukturen, so verschieden sie wirken, sind verwandt. Beide tragen eine Neigung zum Großen, zum Ganzheitlichen, zum Tragischen. Deutschland als das Land der Innerlichkeit, der Philosophie, der Tiefe. Russland als das Land der Weite, der Passion, des Leidens. Und zwischen ihnen: ein Band, das oft zerrissen, nie ganz zerstört war. Was uns verbindet, ist nicht Diplomatie, es ist Seelengeschichte. Von Dostojewski bis Hölderlin, von Tolstoi bis Novalis. In der Tiefe wollten beide Völker das Gleiche: Sinn. Ordnung. Resonanz mit dem Ewigen. Und nun: Taurus. Die Verlängerung eines Geistes, der nicht fragt, was verbindet, sondern was zerstört. Der Angriff, der jetzt vorbereitet wird, ist nicht einfach militärisch. Er ist archetypisch. Er aktiviert Bilder von Schuld, von Verrat, von Brudermord. Der Kain-Mythos öffnet sich. Nicht als Gleichnis, sondern als Struktur. Und wer die Krim-Brücke ins Visier nimmt, nimmt nicht nur ein Bauwerk. Er zielt auf das Symbol der Verbindung. Auf das, was einst trug.

Weder transparent noch wahrhaft europäisch

Die Brücke ist mehr als Architektur. Sie ist Schwelle. Bindung. Geste. Wenn sie fällt, fällt mehr als Beton. Dann fällt der Versuch, dass etwas zwischen diesen Völkern bleibt, das nicht nur aus Asche besteht. Und dieser Bruch ist nicht neu. 1941. Operation Barbarossa. Deutsche Truppen überschreiten die Grenze. Der Osten brennt. Millionen sterben. Städte versinken. Seelen brechen. Was wir heute Taurus nennen, ist ein Echo. Eine Spirale. Und wer glaubt, man könne aus der Geschichte heraustreten, indem man sie ignoriert, verkennt ihre Tiefe. Das kollektive Gedächtnis speichert nicht in Büchern, sondern in Bildern. Und dieses Bild wird bleiben.

Was heißt es, wenn Deutschland Waffen liefert, die andere Völker mit deutscher Hilfe treffen? Es heißt: Die Erbschuld wird aktualisiert. Die Aufarbeitung der Geschichte wird zur Reinszenierung. Man spricht von Verantwortung und verkehrt sie in Kontrolle. Man sagt: „Nie wieder Krieg“, und meint: „Wenn, dann richtig.“ Der Bruch mit der Geschichte ist nicht nur semantisch. Er ist geistig. Cui bono? Wer profitiert von dieser Trennung, dieser Eskalation, diesem Entgleisen? Zbigniew Brzeziński schrieb bereits in den 1990ern: „Ein geostrategisches Ziel der USA muss sein, ein Zusammengehen von Deutschland und Russland zu verhindern.“ Weil ein solches Bündnis zu stark wäre. Zu eigen. Zu unkontrollierbar. Und genau das erleben wir. Die Spaltung wird nicht verhindert, sie wird betrieben. Unsere Politiker, so müsste man fragen, dienen nicht dem Volk. Denn das Volk will Frieden. Will Sicherheit. Will Sinn. Sie dienen einer Agenda, die weder transparent noch wahrhaft europäisch ist. Sie sprechen von Werten, aber meinen Interessen. Sie berufen sich auf Moral, aber handeln wie Verwalter eines fremden Willens. Wenn ein deutscher Kanzler den Boden Russlands treffen lässt, lässt er auch die deutsche Seele treffen. Und das Herz des Volkes beginnt zu bluten.

Der Schatten weicht nicht

Was geschieht, wenn der Westen den Osten mit seinen Waffen bekämpft? Er bekämpft einen Teil seiner eigenen Seele. Das Abendland, das sich von der Tiefe trennt, wird zur Fassade. Und wer auf die Fassade schießt, trifft am Ende sich selbst. Die archetypische Konstellation ist klar: Der verletzte Bruder wird zum Feind. Der Gedemütigte wird zum Schatten. Der Schatten wird nicht integriert, er wird bekämpft. Doch der Schatten weicht nicht. Er wandert. Und wenn wir ihn nicht im eigenen Bewusstsein tragen, wird er uns von außen gegenübertreten. Als “Putin”, als “Russland”, als „Barbarei“. Doch es ist unsere eigene Ignoranz, die dort Gestalt annimmt. Der Mythos Europas stirbt. Der Mythos der Versöhnung, der Einheit, der inneren Heilung. Taurus ist kein Flugkörper, er ist ein Spiegel. Und in diesem Spiegel sehen wir uns selbst. Entzweit. Verleugnet. Verwundet.

Was wir bräuchten, wäre kein Marschflugkörper, sondern ein Aufbruch zur Wahrheit. Was wir bräuchten, wäre kein Technologietransfer, sondern ein Seelenruf. Was wir bräuchten, wären nicht mehr Waffen, sondern mehr Mut, das eigene Dunkel zu sehen. Brücken wurden schon viele zerstört. Die Brücke zwischen Herz und Geschichte. Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Zwischen Völkern, die sich einst die Hand reichten. Doch Brücken kann man auch bauen. Nicht aus Stahl. Sondern aus Gesten. Aus Lauschen. Aus Licht. Und vielleicht wird man eines Tages zurückschauen und sagen: Hier war der Punkt, an dem alles fiel. Und einige wenige standen. Standen nicht in Protest, sondern in Würde. Standen nicht mit Plakaten, sondern mit Klarheit. Standen, weil sie wussten: Wer jetzt schweigt, spricht für den Krieg. Wer jetzt redet, riskiert den Frieden. Aber wer jetzt lauscht: rettet die Seele. Der Taurus trifft kein Ziel. Er trifft ein Echo. Und dieses Echo klingt tief. Und lang.


Der Autor publiziert auch auf seinem X-Kanal.

12 Antworten

  1. Im Westen hat man sich nie vorstellen können, in welcher Welt V. Putin lebt. V. Putin, wie auch zum grossen Teil Russland, ist gesellschaftlich mindestens 50 Jahre hinter dem Westen.
    Wie die eigene Nation betrachtet wird, Einflusssphären und Stärke ist völlig überholt.
    Das ist es, warum V. Putin als vermeintlicher Taktiker den Westen überrumpelt hat. Die Ukrainer sind allerdings auch noch ein paar Jahre in in der Vergangenheit. Ihre Waffen aber nicht. Dagegen kann V. Putin nur verlieren.

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  2. . . . und „mein spezieller“ POLIT-„künstler“ >FriedensArm SchMerzensReich< will doch nur den FRIEDEN eng-STIER-nig hin-„kriegen“ !!??!! – nun ja – Er handelt wohl auch nur als „GeschäftsFührer“ – kontrolliert von „meinen“ anglo-armeeri-khasarischen Protagonisten !?! 😉

    . . . und seit OLYMPIA (Paris) – schneller-höher-weiter-„gesünder“ – habe Ich den gegenteiligen Begriff (Antonym) „ge/erfunden“: – Z O M B I A D E – !?! – und Ver-Anstalter der >KAPUTT-Macher- und TOT-Schläger-EVENTs< nenne Ich folglich > ZomBIOten < !?! – und die „unsäglich verlogene u. verdrehte“ >Gegner-Ver-Teufelungs-Propaganda< läuft bei Mir unter > ZoMbIoTeN-„hirn“-EiTeR < !?! :-///

    P. S.: – TAURUS bedeutet ja STIER / „Friedensreich Hundertwasser“ – echter Künstler (Wiki gucken)

  3. Leider ist der Taurus notwendig, um uns von derzeitigem Elend zu befreien! Nur über diesen Kriegseinstieg können wir Deutschen (Biodeutschen!) wieder befreien von unserer derzeitigen Tyrranei!

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    1. Ja. Und gleichzeitig „befreit“ er uns auch von unserem pysischen Dasein!
      Meine Fresse! Ehrlich? 🤦‍♂️

    2. Auch CPAC läßt hoffen wie auch die aktuelle Wahl eines konservativen Präsidenten in Polen, der Tusk bremsen wird.
      Allerdings ist die Frage, ob angesichts der Kriegstreiberei
      des Widerlings Selenskyj sowie der Mehrzahl der europäischen Staatenlenker (die in einem kürzlich gelesenen Interview bezeichnenderweise als „Chihuahuas“ bezeichnet wurden) noch die Zeit bleibt, durch die sich in Budapest abzeichnenden positiven Kräfte noch eine Richtungsänderung zum Frieden in Europa zu bewirken.
      Dazu müßten allerdings erst einmal die Deutschen aufwachen, die sich laut Patrik Baab „in den Untergang dösen“.

    3. Das bedeutet nicht, dass ich das gut finde 😉
      Aber es ist der einzige Weg. Oder wie habt ihr es geplant???
      Ich will weder Krieg, noch dass irgendjemnd Waffen von uns bekommt. Aber es gibt keine Alternative mehr, oder wie bekommt ihr jetzt mal in Kürze eine friedliche AfD an die Macht? Ihr werdet nunmal von Kriegstreibern regiert. Ich will es alles nur schnell hinter mich bringen, was unvermeidbar ist!

  4. @Ein deutsches Projektil, gelenkt von westlicher Technik,
    so – wem gehört die Firma, wer liefert die Bauteile ? Das Triebwerk soll aus USA kommen und wurde in Deutschland nur zusammengeschraubt !

  5. Ich würde auch sagen,mein lieber Fritz,fasse deinen Mut zusammen und liefere den Taurus gesammt Mannschaft in die Ukraine um Putin ein für allemal zu zeigen das wir Deutschen ein wenig Genugtuung von vor 80 Jahre haben mögen.Diese bittere Niederlage Quält uns seit den Untergang in Stalingrad.

    1. Ich hoffe, das soll ein (mißlungener) Scherz sein!

      Auf anti-spiegel.ru erschien kürzlich ein Artikel, in dem Russen ihr tiefes Bedauern darüber ausdrücken, daß die erneut aufgebaute Freundschaft zwischen Rußland und Deutschland nach dem WK2 nun auf diese Weise endet.
      Mir geht es genauso.

  6. Bei mir hat es so richtig „eingeschlagen“, als ich den Artikel mit diesem Foto entdeckt habe:

    https://rtnewsde.online/international/246380-moskau-sind-bei-einsatz-von-taurus-bereit-vergeltungsschlag-deutschland/

    ANDREI KARTAPOLOW, hochdekorierter Vorsitzender des Verteidigungsausschusses der RUSSISCHEN STAATSDUMA und ehemaliger Stellvertretender Verteidigungsminister, vor der Vollversammlung der Staatsduma…

    Ein MANN mit hoher Intelligenz, einem weichen Herz, aber Stärke für sein Land. Er strahlt für mich Vertrauen und Zuverlässigkeit aus.

    ER ZEIGT UNS SEIN GESICHT UND VERSTECKT SICH NICHT HINTER HOHLEN PHRASEN, wie man es in D leider von vielen Politikern gewohnt ist. Meine Intuition sagt: Die Menschen in Deutschland sollten es endlich 100% ernst nehmen, was dieser Mann sagt! Er ist in Weimar geboren, kennt beide Kulturen und Mentalitäten aus eigener Lebenserfahrung.

    Die Russen wissen ganz genau, daß hier u.a. in Bayern, u.a. in sogen. „Tech-Start-Ups“ tödliche Waffen für den Einsatz gegen sie produziert werden.

    Mit welchem Grund? Was ist aus der deutsch-russischen Freundschaft geworden?
    Weshalb mischen sich die Deutschen in diesen Krieg ein und unterstützen die Ukraine (weder EU- noch NATO-Mitglied) mit Milliardenbeträgen ungeachtet der „Baustellen“ im eigenen Land?

    Und was noch unerklärlicher ist – weshalb wird der tiefsitzende Haß der Ukrainer gegen ihr Russisches Brudervolk (!) von den Deutschen übernommen und in deren Namen ausgefochten? Mit welchem Grund? Nur, um sich durch Waffengeschäfte zu bereichern?

  7. Ja, Merz beteiligt Deutschland am Krieg gegen Russland oder hat schon.

    Abartig und verabscheuungswürdig. 27 Millionen von Deutschen getötete Russen stehen «zu Buche» auf dem unauslöschbaren Schuldkonto Deutschlands.

    Merz hat offenbar keinerlei Geschichtskenntnisse, keinerlei Moral…nichts! Das ist widerlich!!

    Nun ja, die Nato-Waffenstandorte haben mich in Deutschland schon immer gestört.

    Russland sollte sich allerdings vor endgültigen Entscheidungen (die ich verstehe und auch erwarte!

    Manche lernen nur aus konkreten realen ERfahrungen! noch einmal die aktuelle politischen Landkarte in Deutschland ansehen.

    Alles, was blau (die Mehrheit) ist, ist für Frieden mit Russland, gegen Feindschaft mit Russland, ganz zu schweigen für einen Krieg gegen Russland.

    Alles das,was blau ist, will vernünftige diplomatische und Handelsbeziehungen mit Russland, will sich aus dieser korrupten Nazi-geführten Ukraine vollständig heraushalten.

    Alles das, was blau ist, ist die komplette Alternative zu dieser kranken, kriegsgeilen und dummen politischen Elite in Deutschland, der EU, die nach dem Peter-Prinzip offenbar zur Macht gelangt sind!

    Alles das, was blau ist, ist in Freundschaft zu dem russischen Volk aufgewachsen.

    Diese Freundschaft wurde praktisch in die Wiege gelegt.

    Es wurden Brieffreundschaften gepflegt, gemeinsame Aktionen/Treffen/Schüleraustausche organisiert, es wurde die russische Sprache gelernt.

    Das verbindet tief innen für immer! Die russische Seele ist für diejenigen ein tiefes Verständnis.

  8. „Russland wird für immer ein Feind für uns bleiben“, sagte Johann Wadephul. Welcher böse Geist reitet ihn eigentlich? Und der Kerl ist der amtierende Außenminister der Bundesrepublik Deutschland ! Genau von diesem Geist spricht André Knips in seinem Text. Über Putins Politik kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber mit dieser Bemerkung übertrifft Wadephul noch Baerbocks Inkompetenz, das ist Hass & Hetze, der die Zukunft egal ist.

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