Freitag, 29. März 2024
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Wer Städte baut…

Wer Städte baut…

(Symbolbild:Imago)

Vor vierzig Jahren studierte ich Architektur und Städtebau. Seitdem arbeite ich freiberuflich. Seit mindestens vierzig Jahren verfolge ich nun – zunehmend passiv – die Debatten um die moderne, lebenswerte und menschengerechte Stadt. Aus den heute so bewunderten, mittelalterlich geprägten, oft auf agrarischen Parzellenstrukturen und mit dem Engagement der bürgerlichen Grundstückseigentümer entstandenen, europäischen Städten (mit ihren gern übersehenen, hygienischen Unzulänglichkeiten) wurden durch Brände, Kriegszerstörungen und dem stets folgenden, mehr oder weniger rigorosen Neuaufbau, die heute bekannten, immer gleichen, konzentrisch aufgebauten Agglomerationen. Unästhetische Zwitterwesen, aus jeweils verbliebenen, mehr oder weniger museal aufbereiteten Stadtkernen und riesigen gesichtslosen Speckgürteln, die von den Touristenscharen durchquert werden müssen, um zum angepeilten Selfiestandort vorzudringen.

Das Jahrzehnte währende Träumen und Ringen um den menschlichen Maßstab im Urbanen, um die autofreie, fahrrad- und fußgängergerechte Stadt steht in unauflösbarem Widerspruch zur Realität der handelnden Investoren, die mit milliardenschweren Spekulationen und korruptem Wildwuchs die gesamte Bauwirtschaft von einem Exzess in den nächsten treiben. Investmentfonds verpacken den Immobilienmüll und vertreiben ihn, bunt verpackt in Großmärkten.

Korrupter Wildwuchs

Wenn Architekten, Städtebauer und Wohnungs- und Verkehrspolitiker von “lebenswerter Stadt” sprechen, dann sind heute ausnahmslos kleine Oasen für solvente Bewohnerschaften inmitten einer Realität gemeint, deren flächendeckende Tristheit man nur resigniert zur Kenntnis nehmen kann. Es gibt heute keinen Städtebau mehr, der geeignet wäre, an diesem Zustand irgendetwas Relevantes zu ändern. Die Werkzeuge fehlen. Grund und Boden, finanzielle Mittel und das Know How wirtschaftlichen Bauens liegen in den Händen weniger, und deren Interesse hat Qualität nur insoweit im Auge, als diese die den Verkaufsgewinn zu steigert vermag. Das Haus ist Ware.

In regelmäßigen Abständen platzen die so entstehenden Spekulationsblasen und hinterlassen millionenfache Tragödien in den untersten, kreditfinanzierten Chargen des Monopolys. Es ist aber beileibe keine Lösung diese Werkzeuge erneut in die Hände des Staates zu geben. Behörden verfügen weder über Grund und Boden und ausreichende finanzielle Möglichkeiten noch über nur rudimentäre Kenntnisse im marktwirtschaftlichen Agieren. Und Apparate sind auch nicht geeignet, die menschlichen Bedürfnisse nach Individualität nachzuvollziehen. Sie denken schematisch und dort wo man sie lässt, lassen sie Schematisches bauen. Wer also von Enteignung und sozialem Wohnungsbau spricht und das Bauen bei den öffentlichen, in zugleich sicheren Händen wähnt, sollte sich lieber einen Wohnwagen zulegen.

Verzweifelte Typisierungsversuche

Wenn heute also von Popup-Fahrradwegen in Tübingen die Rede ist, sehe ich gleichzeitig das ikonografische Bild der Betonregale von Evergrande. Vor Windrädern im weiten Grünraum. Was niemandem mehr aufzufallen scheint – die lebenswerte Stadt ist das Gegenteil. Wohnen im Grünen und Energierzeugung im flächensparenden Betonwürfel. Ich kann mit der städtebaulichen Symbolpolitik, die sich stets im Kleinen begnügt, nicht viel anfangen. Die Probleme sind systemischer, globaler Natur und nur dort lassen sie sich lösen. Menschenwürdiges Leben funktioniert nicht mit Millionenzuwanderungen in bereits komprimierte, inzwischen nahezu rechtsfreie Metropolen einerseits und einer flächenverbrauchenden Energieerzeugung andererseits.

Es lässt sich nicht mit verzweifelten Typisierungsversuchen von Behausung und Bewohner in den westeuropäischen Ballungszentren herbeischaffen, sondern die Würde des Menschen beginnt mit gezielten Investitionen in Infrastruktur und Bildung in den rückständigen Regionen der Welt. Menschen müssen in vernünftiger Reproduktion, basierend auf ihrem Wissen zur Nutzung regionaler Ressourcen und auf allen Kontinenten in Würde leben können.