Nachbetrachtungen zur Wahl in Brandenburg

Nachbetrachtungen zur Wahl in Brandenburg

Operation gelungen, Patient tot? Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (Foto:Imago)

Die gestrige Wahl hat noch einmal besonders drastisch vor Augen geführt, worum es bei politischen Wahlen inzwischen gehen soll; besser gesagt, worum es keinesfalls gehen darf. Mit einem programmatischen Wettbewerb, Bürgernähe und Demokratie haben solche Agitprop-Shows jedenfalls kaum noch etwas zu tun. Kaum ein Satz war gestern Abend in den Interviews zu hören, der sich auf inhaltliche, landes- oder bundespolitische Weichenstellungen bezogen hätte. Stattdessen betonte Landesvater Dietmar Woidke unermüdlich vor den Kameras, dass es ihm gelungen sei, „braune Flecken von der Fahne“ und einen „braunen Stempel“ von der Mark(e) Brandenburg fernzuhalten. Nicht der Wirtschaftsfachmann, Sozialpolitiker oder gar Visionär Woidke wurde hier also nach eigenem Bekunden gewählt, sondern Dietmar, der Anbräuner. Gratulation! Offensichtlich haben ja die Brandenburger nicht vor Deindustriealisierung, hohen Energiepreisen, schwindender Kaufkraft und den Flüchtlingscontainern mit den herumstehenden Messerblöcken Angst, sondern vor der Wiedergeburt Hitlers und den plötzlich aus dem Boden schießenden Konzentrationslagern. Da erscheint es nur logisch, dass man der überaus erfolgreichen Kanzlerpartei erneut für Jahre das Vertrauen ausspricht.

Keine Rede jedenfalls davon, dass Brandenburg zu den entvölkertsten und nun ältesten Regionen der Welt gehört. Kein Wort darüber, dass die dortigen Bildungsergebnisse den bundesweit schlechten Durchschnitt nochmals deutlich unterbieten. Kein Thema war auch die gerade in Brandenburg überall verrottende Infrastruktur. Kein Thema war, dass der deutschlandweit skandalgeschütteltste unter den umstrittenen öffentlich-rechtlichen Sendern auf den Namen “Rundfunk Berlin-Brandenburg” hört. Nichts zu hören davon, dass ausgerechnet die im Brandenburgischen Grünheide angesiedelte Tesla-Giga-Factory eines „Rechtspopulisten“ und Trump-Unterstützers die ansonsten überaus mäßige Wirtschaftsbilanz des Ministerpräsidenten Woidke noch einigermaßen rettet. Kein Wort davon, dass ohne die analogen “Tagesschau”-Rentner der Generation Ü60 die AfD der klare Wahlsieger gewesen wäre. In der jubelnden TV-Aufarbeitung wurde als Störfaktor ebenfalls ausgeblendet, dass der angeblich so überaus beliebte Ministerpräsident seinen eigenen Stimmbezirk Wahlkreis Spree-Neiße I gegen den AfD Kandidaten Steffen Kubitzki verliert, der satte 41,5 Prozent auf sich vereinte.

Nicht stattgefundene Themen

Gut, um ökonomische, kulturelle und soziale Inhalte, um den Abstieg der Bundesrepublik, um Propaganda und Selbstbereicherung in Führungszirkeln, um das außerhalb der Bonzenhochburg Potsdam dahinsiechende Brandenburg, um einen riskierten Politikwechsel, wie er in ganz Europa längst stattgefunden hat, um all das geht es bei Wahlen in Deutschland also nicht. Noch immer nicht. Das war zu befürchten. Worum es hingegen geht, sind vertraute Gesichter: Väterliches Charisma. Vorabendunterhaltung. Um die unablässige Warnung der Regierung vor dem von Regierungsbehörden als “gesichert extrem” eingestuften Popanz. Um die Hintanstellung des demokratischen Wettbewerbs zugunsten einer inhaltsbefreiten Ausgrenzung eines zur Wahl stehenden Wettbewerbers. Um das Jetzterstnochmalweiterso. Um das Hoffen auf die Wiederkehr besserer Zeiten. Irgendwann.

Wer hat hier wie gewählt? Das Spezifikum: Im demografischen Notstandsgebiet Brandenburg wurde so deutlich wie nie zuvor das Schurkenstück „Woidke gegen das Böse“ inszeniert. In diesem trommelte man den Volkssturm zum letzten Ampelrettungsgefecht zusammen. Da wurde vom unabhängigen, staatsvertraglich wertneutralen Gebührenfunk noch kurz vor der Wahl zur Primetime spezielle AfD-Spielshows veranstaltet, in denen gecastete Statisten wie Halmafiguren auf einem Spielfeld in “linke” (Wohlgefühl!) und ”rechte” (Erklärungsnot!) Ecken gestellt wurden, von wo sie gefühlige Kommentare abgeben durften. Selbstverständlich ohne Beteiligung auch nur eines einzigen Insiders, der die überaus flachen Indoktrinationen hätte ad absurdum führen können. Überhaupt gelang es den Öffentlich-Rechtlichen, die konkurrierenden, in Umfragen über Monate haushoch führenden AfD-Kandidaten nahezu vollständig jeder Sichtbarkeit zu entziehen. Und so sah das staunende Wahlvolk, wie binnen acht Wochen ein 11-prozentiger Umfragerückstand der SPD in einen fast zweiprozentigen Vorsprung verwandelt wurde; ein Vorgang, der in der bundesdeutschen Demoskopie wohl einmalig sein dürfte. Grüne, Linke, Freie Wähler und die brandenburgische CDU wurden dafür mal eben auf dem Altar des “Weiter so” geopfert. Der trudelnde SPD-lastige Staatsfunk hat sich mit seiner konzertierten Kommandoaktion nochmal selbst aus der Grütze gezogen; er dürfte der eigentliche Gewinner dieser Wahl sein.

Bedingungsloser Opportunismus

Wie immer lohnt sich der Blick auf einige Details: Zum Beispiel den Vergleich des Urnen- zum Briefwahlergebnis. Wählten in den Wahllokalen noch fast 35 Prozent der Präsenzwähler die AfD, was ungefähr dem ganz zuletzt noch prognostizierten 4-Prozent-Vorsprung der AfD vor der SPD entsprach, so sackte die AfD bei den zigtausenden Briefwählern, mithin einer absolut repräsentativen Größenordnung, plötzlich auf nur noch die knappe Hälfte ab: Hier nur 17 Prozent! In keiner der vorherigen Umfragen gab es ein auch nur annähernd schwaches Abschneiden. Bei allen anderen Parteien dagegen blieben die Abweichungen der beiden Wählergruppen in den statistisch zu erwartenden engen Grenzen. Vermutlich wird auch diesmal die sich wiederholende Absurdität keine besondere Aufmerksamkeit erfahren. Das Versanden solcher Fragezeichen kennen Ostdeutsche noch von den Kandidaten der “Nationalen Front“, die nach menschlichem Ermessen keiner mehr wollte, die aber bis zuletzt beständig 95-prozentige Zustimmung einfuhren. Bis heute wurde die konkrete Organisation dieser Fälschungen nicht aufgedeckt. Man ahnt, warum. In Frankreich wurde die manipulationsanfällige Briefwahl verboten. Der deutsche Apparat aber weiß offensichtlich sehr genau, was er an ihr hat.

Last but not least reiste da der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer im Wahlkampf umher, entsorgte kurzerhand das soeben noch mit AfD-Kernkompetenzen angereicherte CDU-Wahlprogramm und sprach – das darf man sich auf der Zunge zergehen lassen – eine dringliche Wahlempfehlung für die Sozialdemokraten (!) aus. Für das Fernhalten der AfD von den Schalthebeln der Macht mussten die vollständig enteierten und nun sogar hinter das linke Kunstkonstrukt BSW zurückgefallenen Christdemokraten vor den Kameras eine ganze Kolonie von Kröten schlucken. Hinter den Kulissen allerdings dürfte es die Parteispitze nun mit einer revoltierenden Basis zu tun bekommen. Bei den versprengten Kollegen von der FDP könnten sich Kretschmer und Merz jedenfalls schon mal nach dem Preis ihres bedingungslosen Opportunismus erkundigen: Parteien, die ihre Zukunft als Mietcontainer für den herrschenden linken Zeitgeist sehen, verschwinden früher oder später. Rückstandsfrei. Selbst im chronisch verspäteten Deutschland.

Die Analysen der größeren Institute beschränken sich auf die bereits bekannten Trends: Die AfD wird von Frauen gemieden. Von den analogen Rentnern. Von den sich gegenüber Demoskopen als „gebildet“ bezeichnenden Besserverdienern aus Potsdam und dem Speckgürtel Berlins. Interessante Überlegung: Bisher wurde von den Altparteien, insbesondere der SPD, den Linken und den Grünen, massiv eine Herabsetzung des Wahlalters auf  16 oder gar 14 beworben. Schließlich, so hieß es unablässig, gehe es doch um die Zukunft! Inzwischen ist davon nirgends mehr die Rede. Kein Wunder: Hätte sich Rot-Rot-Grün nämlich mit ihrem Herzensprojekt durchgesetzt, und hätte man dazu noch den Senioren über 75 nicht nur eine Fahr-, sondern auch eine Politiktauglichkeitsprüfung ans Herz gelegt (eine, die im Versagensfall zum Entzug des Wahlrechts hätte führen können), dann würde Deutschland bereits jetzt auf dramatisch veränderte Kräfteverhältnisse blicken. Einfacher gesagt: Wer noch halbwegs bei Verstand, ostdeutsch, unter 60 Jahre alt, einigermaßen informiert ist, die tatsächliche gesellschaftliche Realität wahrnimmt und sich eine gesicherte Zukunft für sich, seine Kinder und Enkel wünscht, der wählt schon jetzt das politmediale Kartell in den Orkus.

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