Abgesang auf den politischen Liberalismus

Abgesang auf den politischen Liberalismus

Noch irgendjemand zuhause oder ist die Freiheit unbekannt verzogen, FDP? (Symbolbild:Imago)

Der Untergang der FDP bei den letzten Wahlen in den östlichen Ländern ist spektakulär, und er besagt nichts anderes, als dass die Partei tot ist. Mausetot. Und das ist ganz eindeutig nicht das Verschulden eines politischen Konzepts, das sich überlebt hätte, sondern die Konsequenz eines permanenten Verrats der derzeitigen Parteiführung, besonders in Person des Herrn Lindner, an den Grundprinzipien der liberalen Idee. Daher eine kleine Rekapitulation davon, was es mit der liberalen Idee auf sich hat, und wie diese Idee heute im Rahmen des Parteiensystems fruchtbar zu machen wäre – und wie nicht.

Die Idee des Liberalismus ist bekanntlich ein Kind der Aufklärung und entstand zu Zeiten des Absolutismus in England, Frankreich und Deutschland. Den miteinander verschränkten Mächten Kirche und Krone erschienen die Bürger als bloße Untertanen, als Objekte obrigkeitlicher Willkür. Es war in England, wo sich der erste Widerstand dagegen regte. Der Krieg der Barone gegen den englischen König zu Beginn des 13. Jahrhunderts endete mit der Besiegelung der Magna Carta, in welcher der englische Adel dem König eine Reihe von Privilegien abtrotzte. Ein zweiter Bürgerkrieg in England führte zu der vorübergehenden Einführung einer Republik unter Lordprotector Oliver Cromwell von 1649 bis 1660. Allerdings wurde unmittelbar danach das Königtum wieder restauriert.

Ursprünglich ging es um Emanzipation vom Absolutismus

John Locke, geboren 1632, war Zeitzeuge dieser Ereignisse und gilt als Vater des Liberalismus in England. Die frühen Liberalisten gingen davon aus, dass der Mensch mit natürlichen Rechten ausgestattet ist, welche aus der von Gott gerecht eingerichteten Weltordnung ableitbar sind. Für Locke sind dies vor allem das Recht auf Leben, Freiheit und Eigentum (hier: Landbesitz). Der Rechtsstaat mit Gewaltenteilung (zunächst nur in Legislative und Exekutive/Judikative) sollte der Willkür des Monarchen einen Riegel vorschieben. Weitere Rechte umfassten die Meinungsfreiheit, die freie Berufswahl, die Bewegungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Recht auf individuelle Verteidigung und auf Privateigentum. All dies waren emanzipatorische Forderungen gegen das absolutistische System, und kulminierten zum ersten Mal in der Deklaration der Menschenrechte in den Anfängen der französischen Revolution sowie in der amerikanischen Verfassung. Der Zentralbegriff der Freiheit ist hier zunächst ausschließlich in seiner negativen Definition verstanden: Als Freiheit von etwas, nämlich staatlichem Zwang und willkürlichen obrigkeitlichen Eingriffen.

Ein weiterer Begriff ist im Liberalismus von hoher Bedeutung: Der Individualismus. Die UN-Deklaration der Menschenrechte von 1948 ist durch und durch getränkt von diesem Konzept. Er steht im Widerspruch zu allen kollektivistischen Formen, seien diese vom Ursprung her traditionell (Asien), religiös (Islam) oder politisch-ideologisch (Sozialismus). Im Liberalismus ist das Individuum Träger natürlicher, unveräußerlicher Rechte und der Ausgangspunkt der Gesellschaft. Gesellschaft ist in liberalistischer Auffassung das “Spätere”. Dies bildet sich schon ab in den diversen Vertragstheorien, welche die liberalistischen Denker von Hobbes über Locke und Rousseau bis Rawls hervorgebracht haben: Gesellschaft wird verstanden als ein freiwilliger Zusammenschluss freier Individuen, welche gewisse persönliche Rechte in die Hände einer kollektiven Macht legen – zum höheren Nutzen aller.

Freie und selbstbestimmte Bürger – in der Theorie

Dieser Nutzen besteht ursprünglich in Sicherheit (vor Gewalt) nach innen wie nach außen sowie der Sicherheit im Wirtschaftsverkehr (Vertragssicherheit). In einer weiter entwickelten Gesellschaft tritt zu dem Gemeinschaftsprojekt noch der Aufbau und Erhalt einer funktionierenden Infrastruktur hinzu, nach heutigen Maßstäben etwa: Verkehrswege, Kommunikation, Energieversorgung, Bildungssystem und Gesundheitsversorgung.
In seiner Lebensgestaltung, seinen Prioritäten und Überzeugungen bleibt der Bürger im Liberalismus frei und selbstbestimmt und unbehelligt vom Staat. Seine Freiheit findet einzig seine Grenze an der Stelle, wo der Gebrauch der eigenen Freiheit die Freiheit des Nächsten beeinträchtigt.

Nun ist klar, dass dies in Reinform so nicht umsetzbar ist, und schon gar nicht in einem überbevölkerten Staat. Entsprechend hat die reine ursprüngliche Lehre auch viele Korrekturen und Varianten hervorgebracht, bei denen allerdings Freiheit, Individualismus und Rechtsstaatlichkeit als zentrale Gedanken nicht zur Disposition standen. Nimmt man nur diese einfachsten Grundgedanken des Liberalismus und wendet sie auf unsere politische Gegenwart an, dann zeigt sich ein riesiger Bedarf für die Förderung und Durchsetzung genau dieser Konzepte! Nie in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die Meinungsfreiheit so unter Druck wie heute, nie wurde die Versammlungsfreiheit so mit Füßen getreten (im Wortsinne!) wie zu Corona-Zeiten, nie das verbürgte Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit im eigenen Land so eingeschränkt, ganz zu schweigen von weiteren schwerwiegenden Verstößen gegen die Grundrechte und die Menschwürde, begangen von einer Politikerkaste im Machtrausch.

Die FDP zieht bei allen freiheitsfeindlichen Maßnahmen mit

Hier hätte die liberale Stimme unerbittlichen Widerstand leisten müssen und müsste es weiterhin tun, und auch nach Corona hätte sie die Angriffe auf die Meinungsfreiheit durch Staat und EU anprangern und zurückdrängen müssen, die mit Digital Services Act (DSA) und “Trusted Flagger”-Verpetzerplattformen, mit linksdominierten formal externen, aber staatlich finanzierten Zensurbehörden zur Überwachung der sozialen Medien, mit staatlich geförderten „Faktencheckern“ daherkommen, deren einziges Anliegen es ist, den Linksstaat rhetorisch zu munitionieren. Aber die FDP zieht mit. Nicht nur während Corona, sondern auch schon davor beim unsäglichen Netzwerkdurchsetzungsgesetz eines Heiko Maas – und auch jetzt beim DSA, das Herr Wissmann von der FDP ausdrücklich begrüßt. Hier ist keine liberale Gesinnung mehr erkennbar.

Dem Liberalismus wird auch eine Variante zugeordnet, die den Namen “sozialliberal” oder “linksliberal” trägt. Hier geht der klassische Liberalismus allerdings eine Hochzeit mit politischen Konzepten ein, die seinen Grundgedanken konterkarieren. Während der klassischer Liberalismus das sogenannte negative Freiheitskonzept vertritt, also das Nicht-Einmischen, das Nicht-Belästigen, das Nicht-Gängeln und das Nicht-Verbieten propagiert, ist der Linksliberalismus seine Erweiterung um Aspekte eines positiven Freiheitsbegriffs. Positiver Freiheitsbegriff: Das ist laut Definition „die Freiheit zu…“. Das gemeinte “Zu” ist hier die Chancengleichheit. Der heranwachsenden Bürger soll also von Staats wegen zu einem höchstmöglichen Maß an Egalität gebildet werden, was bei dem einen sicherlich mehr Aufwand erfordert als beim anderen. Wir reden hier also von einer Bringschuld des Staats. Auf die Herstellung dieser Egalität soll ein Anspruch bestehen, analog zum Anspruch auf freie Meinungsäußerung.

Aufgegangen in der großen West-Einheitspartei

Damit sind wir natürlich bereits mitten in der gesellschaftlichen Umverteilung. Der einflussreichste Theoretiker des liberalen Egalitarismus der letzten Jahrzehnte war ohne Zweifel John Rawls, und hier wird bereits ein höchst anderes Menschenbild vorgetragen als dies etwa in John Stuart Mills „Über die Freiheit“ der Fall war. Die moderne FDP macht so gut wie nirgends mehr genuin liberale Positionen geltend, sondern ist aufgegangen in der großen linkslastigen West-Einheitspartei – mit nur wenigen Akzenten in Hinsicht auf Wirtschaftsfreundlichkeit. Aber ihre Vertreter zucken sofort zurück, wenn die originär liberale Idee in Konflikt gerät mit ihren real existierenden Macht- und Karriereoptionen. Der Liberalismus hat seinen einstigen Gegner, den Absolutismus hinter sich gelassen, der längst untergegangen ist; aber er steht vor neuen Bedrohungen, gegen die er die einstige Geradlinigkeit und das Rückgrat vermissen lässt.

Da ist zum einen der nicht totzukriegende Marxismus/Sozialismus, dieses totalitär-kollektivistische Gespenst, das, in der Geschichte x-fach gescheitert, in vielen Köpfen immer noch herumgeistert. Und zum anderen ist da der sich anbahnende anonym-bürokratische Totalitarismus von EU, WHO, UNO und nicht zuletzt der deutschen Regierung selbst, der sich über Hunderte und Tausende von Verordnungen und Gängeleien, massiven Eingriffen in die Grundrechte und in das Recht auf Selbstbestimmung (etwa in Gesundheitsfragen) unseres Lebens bemächtigt und uns immer weiter einschränkt in unserer Freiheit und unseren Wahlmöglichkeiten.

Lindner nimmt den finalen Untergang in Kauf

Hier hätte die FDP eine originäre Aufgabe gehabt – und hätte sie noch. Aber sie hat die “Energiewende” mitgetragen, die Abschaltung der Kernkraftwerke, sie hat nur mäßig und relativierenden Einspruch gegen das Verbrennerverbot erhoben, sie hat das Heizungsgesetz von Robert Habeck mitgetragen. Manchmal steckt ein Herr Kubicki kurz mal den Kopf heraus, um dann schnell wieder in der Versenkung zu verschwinden. Wo ist der liberale Gedanke, wo ist hier der “Kampf für Freiheit”, Selbstbestimmung und Abwesenheit von staatlicher Willkür?

Dass eine solche Partei komplett überflüssig ist, das haben die Wähler im Osten erkannt. Wahrscheinlich ist dort wenig dazu bekannt, was die Idee des Liberalismus überhaupt war; aber die Bürger dort können sehr wohl erkennen, was eine Partei tut oder nicht tut. Mir kommen allerdings Zweifel, ob auch Herr Lindner überhaupt weiß, was Liberalismus bedeutet. Wenn er es denn weiß, dann ist es noch unsäglicher, wie schamlos er diese große Idee mit Füßen tritt und sogar den kompletten Untergang der Partei in Kauf nimmt – für ein paar weitere Monate mehr an der Macht. Denn diesmal ist klar: Wenn die FDP bei den nächsten Wahlen aus dem Bundestag fliegt, dann kommt sie nie mehr zurück. Dann hat die liberale Idee im deutschen Bundestag keine Stimme mehr.

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