Linksradikalismus von rechts: Die falsche Antwort auf die Krise der liberalen Demokratie

Linksradikalismus von rechts: Die falsche Antwort auf die Krise der liberalen Demokratie

Heikle Suche nach Ausweg und Lösung aus dem Dilemma (Symbolbild:Pixabay)

Die These, dass die liberale Demokratie in unseren Tagen in einer tiefen Krise steckt, bedarf kaum noch einer Begründung. Das Gefüge der sogenannten etablierten Parteien verschwimmt zu einem Einheitsbrei, der eindeutige Alternativen und damit die Option klarer politischer Richtungsentscheidungen durch Wahlen nicht mehr zulässt. Angesichts dieser Kartellbildung verschwinden zunehmend auch Kritik und kontroverse Diskussionen aus den Mainstream-Medien. Diese können somit keine politische Öffentlichkeit mehr herstellen, die als Voraussetzung für lebendige Demokratie unerlässlich ist. Auch als Korrekturfaktor in Gestalt einer „vierten Staatsgewalt“ fallen diese Medien weitgehend aus, was umso schlimmer ist, da auch schon die klassische Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Rechtsprechung kaum noch funktioniert. Alle diese Gewalten sind nämlich zur Beute von allmächtigen Parteien geworden, die – wie wir schon gesehen haben – zu einem Kartell verschmolzen sind und sich deshalb nicht mehr gegenseitig kontrollieren können. Die Bürger haben zunehmend das Bewusstsein, dass sie keinen Einfluss mehr auf politische Entscheidungen besitzen, sodass von Demokratie („Volksherrschaft“) im Wortsinne nicht mehr gesprochen werden kann. Seinen Gipfelpunkt erreicht dies dort, wo putschartige, mit Notstandssituationen begründete Entscheidungen offensichtlich das Staatsganze schädigen, und damit automatisch auch das gesamte Staatsvolk: Bankenrettung, unkontrollierte Masseneinwanderung, Corona, Energiewende und die Hochrisikostrategie gegenüber Russland.

Diese Problematik ist keineswegs auf Deutschland beschränkt, sondern findet sich mit leichten Akzentverschiebungen in vielen Demokratien des Westens. Es greift viel zu kurz, rein inländische Ursachen etwa in der Person Angela Merkel, der Ampelregierung oder einer nicht wirklich vorhandenen staatlichen Souveränität der Bundesrepublik zu suchen. Vielmehr sehen wir in den USA, dem Vereinigten Königreich und in Frankreich Zustände unserer eigenen Krise, die in den genannten Staaten lediglich schon weiter fortgeschritten ist und auch bei uns böse Ahnungen von einem mittelfristig bevorstehenden Kollaps des politischen Systems weckt. In allen genannten Ländern existieren aber auch starke Gegenkräfte in Gestalt von Gegenöffentlichkeit und insbesondere von sogenannten „Rechtspopulisten“, die immerhin nach Alternativen zur vom Mainstream propagierten Alternativlosigkeit von aus der Not geborenen politischen Entscheidungen suchen.

Suche nach überzeugenden Lösungsansätzen

In diesem Artikel will ich mich mit der Frage beschäftigen, ob es aus der politischen Richtung des Rechtspopulismus überzeugende Lösungsansätze für die Krise der liberalen Demokratie gibt. Wir werden dabei leider sehen, dass dies nicht so ist und uns in Wirklichkeit von Trump, Le Pen, Farage, Höcke und Co. nur ein zweiter Aufguss von in der Praxis längst katastrophal gescheiterten marxistischen Ideen serviert wird. Diese Erkenntnis soll nicht als Anbiederung an den polit-medialen Mainstream missverstanden werden, sondern als Warnung der Opposition vor Irrwegen und als Aufruf zur Suche nach besseren Ideen.

Der populistische Lösungsansatz läuft darauf hinaus, dass in einer erneuerten Demokratie die Politik endlich wieder vom Volkswillen bestimmt sein müsste. Das hört sich zunächst sehr vernünftig an, ist aber mit großen Fragezeichen verbunden. Bei den meisten politischen Fragen kann das Volk nämlich gar keinen einheitlichen Willen besitzen, weil es sich in unterschiedliche Interessengruppen und Grundhaltungen aufteilt. Es ist etwa völlig sinnlos, sich beim Thema „Bürgergeld“ auf einen Volkswillen zu beziehen. Das Volk muss sich hier in Leistungsempfänger und Leistungserbringer mit einander widerstreitenden Interessen spalten, zwischen denen ein Kompromiss gefunden werden muss. Es gibt zwar die bereits genannte Situation, in der es bei politischen Fragen um Interessen des Gesamtstaates geht, und damit zwangsläufig auch um Interessen des gesamten Staatsvolkes. Auch hier gibt es aber – Stichwort „Massenmigration“ – sehr unterschiedliche Interessen und Ansichten darüber, wie etwa das übergeordnete Ziel einer Einwanderungsbegrenzung umgesetzt und gestaltet werden sollte. Auch dabei existiert zunächst kein klar definierbarer Volkswille.

Tendenz zur Tyrannei

Wenn man diese Problematik tiefer theoretisch durchdringen will, landet man fast zwangsläufig bei dem Demokratiemodell des Aufklärungsphilosophen Jean-Jacques Rousseau (1712-1778). In diesem Bild muss eine demokratische Regierung durch eine Instanz ausgeübt werden, die den „allgemeinen (Volks-)Willen“ (volonté générale) sehr viel besser erkennen kann als das – zumindest zu Rousseaus Zeiten – in der Regel ungebildete und abergläubische Volk selbst. Es ist völlig klar, dass diese Vorstellung sehr leicht zum Einfallstor für eine totalitäre Diktatur werden kann. Tatsächlich rechtfertigten im 20. Jahrhundert kommunistische Diktatoren mit genau dieser bei Rousseau entliehenen Begründung ihre absolute Herrschaft als demokratisch. In der „Deutschen Demokratischen Republik“ waren in diesem Weltbild institutionalisierte Machtkontrolle und politische Opposition weder notwendig noch akzeptabel, weil ja die unfehlbare Einheitspartei SED automatisch den Volkswillen verkörperte. Heute stellt sich die AfD als eine Partei dar, die quasi von selbst das deutsche Volk vertreten würde, sodass allen anderen Parteien eine wirkliche demokratische Legitimation fehle. Wenn es noch keine absoluten AfD-Mehrheiten gibt, dann liegt das in dieser Sicht der Dinge entweder an einer Benachteiligung der Partei durch die Mainstream-Medien oder gar an Wahlbetrug.

In anderen Formen des Populismus werden Personen wie Donald Trump, Wladimir Putin oder Viktor Orbán zu Verkörperungen ihrer Völker. Dies knüpft an die Vorstellung des Geschichtsphilosophen Oswald Spengler (1880-1936) an, der für das 21. Jahrhundert in Analogie zur altrömischen Kaiserzeit eine Herrschaft moderner „Cäsaren“ als nahezu gesetzmäßig vorhersagte. In Extremformen des heutigen Populismus kommt es, wie etwa bei den „Freien Sachsen“ oder den „Reichsbürgern“, zu einer Beschwörung der Monarchie als quasi-natürlicher Staatsform. Hier wird ebenfalls eine Einzelperson zur Verkörperung des gesamten Volkes erklärt. Auch bei Cäsarismus und Monarchie wird aber in Orientierung an Rousseau eine Instanz proklamiert, welche den allgemeinen Volkswillen erkennen und verkörpern soll. Die Tendenz zur Tyrannei ist bei solchen Personenherrschaften sogar noch stärker ausgeprägt als bei den Ein-Parteien-Diktaturen des Sowjetkommunismus. Man sieht überdeutlich, dass hier auf der rechten Seite des politischen Spektrums typisch linksradikale und marxistische Denkmuster auftauchen, wobei sich die Protagonisten solcher Ansichten dieses Umstandes zumeist gar nicht bewusst sind. Bessere Zukunftsentwürfe müssen unbedingt politischen Pluralismus und institutionelle Machtkontrolle beinhalten und sich vor allem der Tatsache bewusst sein, dass es auch nach einem Ende der Vorherrschaft des heutigen polit-medialen Machtkartells Interessenkonflikte und unterschiedliche politische Grundhaltungen geben wird und auch geben muss.

Vollkommene Erkenntnis der “Wahrheit”?

Die Analogie zwischen Rechtspopulismus und Linksradikalismus lässt sich sogar noch sehr viel weiter treiben, als es mit dem Verweis auf das beiden gemeinsame Demokratiemodell von Jean-Jacques Rousseau schon geschehen ist. Beiden ist nämlich ebenfalls gemeinsam, dass sie Politik auf eine reine Machtfrage reduzieren, die auf dem Weg einer Revolution entschieden werden müsse. Marxisten sehen die gesamte Weltgeschichte als einen – nur in seiner Form aber nicht in seinem Wesen veränderlichen – ökonomischen Konflikt zwischen besitzenden und ausgebeuteten „Klassen“. Der Rechtspopulismus nimmt diese Sichtweise in seiner bestimmenden Vorstellung von einem Grundkonflikt zwischen „Volk“ und „Eliten“ wieder auf. Eine keineswegs nebensächliche Konsequenz daraus ist, dass in beiden Ideologien Wahrheit zu einer reinen Machtfrage werden muss. Der Marxismus setzt seine eigene Propaganda den – tatsächlichen oder vorgeblichen – Lügen der herrschenden Klassen entgegen. Mit seiner eigenen revolutionären Machtübernahme wird er dann selbst zur unanfechtbaren Wahrheit erklärt. Genauso ist es auch im heutigen Rechtspopulismus zu einer fast schon dogmatischen Überzeugung geworden, dass der polit-mediale Machtkomplex ein einziges Lügengebilde darstellt, das angesichts des Wahrheitsanspruches der Gegenöffentlichkeit keine Existenzberechtigung mehr besitzt. Zwischentöne und sachliche Abwägungen werden bei Themen wie Corona, Klima oder Ukraine, aber auch auf anderen Politikfeldern zunehmend unmöglich.

Dies führte in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt allzu viele Oppositionelle in die Denkfalle des Antisemitismus. Weil ja der polit-mediale Mainstream definitionsgemäß nur lügen kann, musste in diesem Weltbild das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 zwangsläufig die Schuld Israels sein. Die Folgen dieser Verirrung entzweien und schwächen die politische Opposition bis heute.
Aus der fragwürdigen Reduzierung von Politikinhalten und Wahrheitssuche auf Machtfragen folgt unmittelbar eine weitere Analogie zwischen Marxismus und Rechtspopulismus. Die Lösung aller Probleme kann in diesen Weltbildern nur eine Revolution sein, die auf fast schon magische Weise sowohl zur vollkommenen Erkenntnis der Wahrheit als auch zu einem Ende des gesellschaftlichen Unterdrückungsmechanismus führt. Unter „Revolution“ verstehe ich hier nicht unbedingt einen gewaltsamen Umsturz der politischen Verhältnisse. Auch Wahlsiege mit einem – tatsächlichen oder nur angenommenen – Wählerauftrag zu einer radikalen, das politische System erschütternden Politikwende können als „revolutionär“ bezeichnet werden. Der revolutionäre Impuls ist in den Jahrzehnten nach dem Umbruch von 1989/90 immer mehr von links nach rechts gerückt. Die Linken haben mehrheitlich Lehren aus den Kommunismus-Katastrophen des 20. Jahrhunderts gezogen und sich deshalb von Revolutionären zu spießig-konservativen Verteidigern des ökonomischen und politischen status quo entwickelt.

Vermeidung des rechtspopulistischen “Revoluzzertums”

Die Rechten laufen aber mit ihrer neo-revolutionären Haltung genau in dieselben marxistischen Denkfallen hinein, die George Orwell (1903-1950) in seiner Fabel “Animal Farm” literarisch meisterhaft beschrieben hat: Die Revolution führt nicht zu einer Idealgesellschaft, in der alle Unterdrückung verschwindet – von rechts gesehen wird hier meistens eine idealisierte Marktgesellschaft an die Stelle des utopischen Kommunismus gesetzt – sondern zu einer neuen Gewaltherrschaft, die schlimmer ist als die alte. Um dies zu kaschieren, muss das revolutionäre Regime immer neue Sündenböcke identifizieren und schließlich physisch ausrotten. Heute drohen noch keine massenhaften „Liquidierungen“, aber die Sündenböcke sind schon da: Juden, Freimaurer, sexuelle Minderheiten, die Pharmazie, politische Exponenten des „tiefen Staates“ et cetera. Ebenso wenig wie Gerechtigkeit schafft die populistische Revolution von „uns hier unten“ gegen „die da oben“ Wahrheit, sondern setzt nur neue Formen dogmatischer Lügen – etwa die Leugnung eines Wirkungszusammenhanges zwischen der chemischen Zusammensetzung einer Atmosphäre und ihrem Wärmehaushalt – an die Stelle alter Lügen wie der Wirksamkeit und Sicherheit von “Corona-Impfstoffen“.

Es ist aus meiner Sicht entscheidend wichtig, das hier beschriebene Phänomen eines „Linksradikalismus von rechts“ zu erkennen, damit die daraus zwangsläufig resultierenden Folgen eines rechtspopulistischen „Revoluzzertums“ noch rechtzeitig vermieden werden können. Das bedeutet keineswegs, den gegenwärtigen Zustand der liberalen Demokratie zu beschönigen oder gar die sich immer mehr zu einem neuen Totalitarismus entwickelnde Vorherrschaft des polit-medialen Kartells („unsere Demokratie“) zu rechtfertigen. Man darf nur nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben und unter Berufung auf den „Volkswillen“ auf dem Umweg über Rousseaus Demokratiemodell seine eigene Diktatur mit gleichfalls unanfechtbaren Macht- und Wahrheitsansprüchen errichten wollen. Von der unbedingten Notwendigkeit von Pluralismus und institutioneller Machtkontrolle auch nach einem Sieg der heutigen Opposition habe ich schon gesprochen. Dazu muss sich noch eine weitere Erkenntnis gesellen: Die zähe und geduldige Suche nach der Wahrheit ist sehr viel wichtiger als reine Machtfragen.

Ergebnisoffene Diskussionen

Die heute zu Unrecht Mächtigen können ihre falsche Dominanz nur verlieren, wenn ihr Anspruch, mit Macht Wahrheit zu begründen, immer wieder von neuem infrage gestellt wird. Dabei darf man aber diesen Fehler nicht kopieren und neue fragwürdige Dogmen errichten. Stattdessen muss man sich bewusst machen, dass Wahrheit niemals und für niemanden ein endgültiger Besitz sein kann, sondern immer nur in ergebnisoffenen, argumentativen Auseinandersetzungen angenähert werden kann, die in der Lage sind, Richtiges von Falschem zu unterscheiden. Dies geht auf die Wissenschaftstheorie des liberal-skeptischen Philosophen Karl Popper (1902-1994) zurück, dessen Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ für jeden heutigen Oppositionellen Pflichtlektüre sein sollte. In diesem Sinne sollten Alternativmedien Foren für Wahrheitssuche und lebendige Diskussionen sein, aber nie selbst Propaganda betreiben. Anderenfalls müssen sie leider vom „Westfernsehen“ zu einer bloßen Variante des „Ostfernsehens“ werden.

Wenn auf dem beschriebenen Wege erst einmal eine klare Sicht auf die uns betreffenden Probleme erreicht worden ist, müssen ergebnisoffene Diskussionen über Lösungen folgen. Demokratischer Pluralismus kann hier zu vollkommen neuen Denkansätzen führen, die Auswege aus den scheinbar ausweglosen Sackgassen unserer Gegenwart weisen könnten. Es besteht dabei allerdings die Gefahr, dass eine ungefilterte Sicht auf die Größe der Bedrohungen zu Angstreflexen führen kann, die dann wiederum eine Flucht in die Diktatur begünstigen. In einer solchen Situation wären wir nicht die Probleme los, aber immerhin die Verantwortung für sie. Vor dieser Versuchung sollte man sich hüten. Die liberale Demokratie ist nicht tot, sondern ist trotz allen unvermeidlich mit ihr verbundenen Mängeln immer noch die beste Staatsform, die Menschen je hervorgebracht haben. Es geht nicht darum, sie abzuschaffen, sondern sie zu erneuern.

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