Freitag, 13. September 2024
Suche
Close this search box.

Das Kompliment

Das Kompliment

Frauen im Netz: Missverständliche Signale (Symbolbild:Imago)

Beim Studium der Weltbefindlichkeiten stoße ich in sozialen Netzwerken regelmäßig auf folgende Situation: Irgendeine Honigtopfseite mit Phantasienamen stellt eine nach empirischen Überzeugungen als attraktiv geltende Dame ins Netz und einen kurzen Text darunter, in dem sich das bezaubernde Geschöpf mit einer überraschend geerdeten Tätigkeit outet. Die über alle Maßen Schöne erweist sich als Busfahrerin, Schäferin, arbeitet in der Kantine oder an der Supermarktkasse. Sie befindet sich damit auf einer für alle erreichbaren Ebene. Nach wenigen Sekunden erscheint der erste Kommentar. Der kommt vom Wilfried. Wilfried ist knapp über Sechzig und trägt eine Brille in Tropfenform. Sein nach unten aus dem Kreisausschnitt rutschendes Profilbild grisselt etwas, lässt einen Unterbau von etwa 130 Kilogramm vermuten, glänzt im Gegenlicht und lässt oben reichlich Raum für den Hintergrund mit Gelsenkirchener Barock, Katze und Topfpflanze. „Du bist eine wunderschöne attraktive Frau!“, lautet seine einleitende öffentliche Expertise, der zumeist noch einige weitere mit Herzchen akzentuierte Einschätzungen folgen.

Unterhalb vom schnellen Wilfried versammeln sich dann – exakt wie vom Ersteller der Bildbotschaft erhofft – dreihundert oder auch mal 30.000 deckungsgleiche sabbernde Ergüsse. Die treue Gefolgschaft weist nicht wenige sogenannte „Top-Fans“ auf, die in ihrem Hoffen auf irgendeine Reaktion nicht müde werden, in einen intensiven Dialog einzutreten, der immer und ausnahmslos als Monolog versandet. Die Antworten der Schönen wollen einfach nicht kommen; selbst dann nicht, wenn es sich bei der Dame um ein tatsächlich existierendes Exemplar handelt, das, gestylt wie fürs “Harpers Bazaar”, ihrem täglich spontan aufgekommenen Bedürfnis nachgeht, allen – also auch Wilfried – mit keck herausgestrecktem Hintern einfach einen schönen Tag zu wünschen. „Dir auch, meine Schöne!“ schallt es dann zurück. „Ich wäre nächste Woche in Deiner Gegend (Herzchen) und würde mich freuen (Engelchen)…

Pheromone und nonverbale Botschaften

Diese digital gestützten Vorgänge unterscheiden sich natürlich nur unerheblich von den Begegnungen in freier Wildbahn, wo Beziehungen noch nicht durch KI oder Rechtswisch/Linkswisch vorselektiert werden, sondern noch Pheromone und nonverbale Botschaften in Lichtgeschwindigkeit über Balzerfolge entscheiden. Dort hat immer noch ein altes Anbahnungsinstrument seinen Platz: Das Kompliment. Zu einem an eine Frau gerichteten Kompliment habe ich grundsätzlich kein romantisches, sondern ein diffiziles Verhältnis; möglicherweise muss ich das noch therapeutisch aufarbeiten. Bis heute verteile ich jedenfalls nur sehr ungern Komplimente und begegne routiniert komplimentierenden Männern mit einer unwillkürlichen Skepsis. Ich selbst lasse mich höchst ungern triggern (früher hätte man “verführen” gesagt), zu einer Zeit, in der ich noch nicht wusste, dass Frauen Männer nicht der Liebe wegen verführen, sondern die Dinge etwas anders zusammenhängen. Oder, besser gesagt: ich lasse mich natürlich triggern; man hat ja nicht jede Biochemie selbst in der Hand, möchte aber unter Beweis stellen, dass ich dem Entwicklungsstadium des Neandertalers etwas hinzugefügt habe.

Wann immer ich also Zeuge einer unaufgeforderten Huldigung eines Mannes an eine Frau werde, verspüre ich das latente Bedürfnis, den in Bereitschaftshaltung dräuenden Schwengel irgendwie ironisch in die zivilisierte Sphäre zurückzustopfen. Was mitunter, da völlig vom Ritual abweichend, zu Irritationen führt. Nun liegt das weniger daran, dass mir die Omnipräsenz der Jagd des Mannes auf die Objekte der Begierde und der mir dabei zustehende Platz in der Rotte nicht bewusst wären, sondern an meiner schon sehr alten Überzeugung, dass solche vorauseilenden Signale als Zudringlichkeiten für die Adressatin schnell unangenehm werden könnten. Zu meinem Erstaunen ist dies aber nur selten der Fall. Das Kompliment an sich scheint eine narkotisierende Wirkung am Zielort zu entfalten.

Herausheben von Äußerlichkeiten

Ich erinnere mich an Jugendfreunde, Kommilitonen und Mitarbeiter, die mit so hochnotpeinlichen wie siegessicheren Anmachsprüchen auf ihre Opfer zuhielten und zu meinem Erstaunen kurz darauf unübersehbare Erfolge feierten; Ergebnisse, an die ich in meiner intellektuell verbrämten Schüchternheit, wenn überhaupt, nur auf ellenlangen Umwegen gelangte. Meine innere Überzeugung, dass ein komplimentbereinigtes, also nachhaltig entsexualisiertes Umkreisen des Gegenübers im Vergleich zum fordernden Testballon die sinnvollere Kommunikation darstellt, also die Maxime „Was länger währt, wird vermutlich irgendwie besser!“, erwies sich als verdammt trügerisch. Zu Recht!, werden nicht wenige Leserinnen an dieser Stelle denken.

Ich bin mir natürlich der Tatsache bewusst, dass zwischen einem kurzentschlossen anerkennenden „Zu dir oder zu mir?“ und der Würdigung des stilsicheren Outfits oder auch einem charmant-beiläufigen Einwurf Welten liegen können; aber das Herausheben von Äußerlichkeiten bezieht sich ja grundsätzlich auf Gegebenheiten, die man zwar optimieren aber nicht grundsätzlich beeinflussen kann. Von Style, Sport, Ernährung, der Bodenseeklinik und den berühmten “inneren Werten” mal abgesehen: Man, also vor allem frau, ist entweder schön geboren, etwas weniger schön oder eben hin und wieder auch als bedauernswerte optische Baustelle. Ich will mich nicht gleich zur Argumentation von Hengameh Yaghoobifarah herablassen, die als Angehörige der dritten Kategorie einst Schönheitswettbewerbe für weniger Schöne gefordert hatte… aber impliziert ein Kompliment nicht immer auch eine Diskriminierung der nicht oder der hörbar weniger Komplimentierten? Wäre ich als Frau mit einer Hasenscharte gesegnet, würde ich es vorziehen, wenn das Model neben mir an der Bar nicht permanent und haarscharf an mir vorbei angeschmachtet wird. Eine schöne Frau wiederum weiß in der Regel, dass sie schön ist, und bedarf nach meiner naiven Vorstellung schon deshalb nicht der andauernden Erinnerung an ihre Vorzüge. Dachte ich jedenfalls lange. Aber natürlich ist es völlig anders, will eine Orchidee doch jeden Tag gegossen und bewundert werden. Ich rede überhaupt viel zu wenig mit meinen Pflanzen.

4 Antworten

  1. Na ja, heutzutage machen es sich wohl nicht wenige Herren der Schöpfung auf Grund teils doch sehr verwöhnter oder biestiger Dämchen oft lieber etwas weniger anstrengend: Sie machen einen auf folklore-schwul oder machen es sich grundsätzlich sowieso gleich selbst.

    Das schöne Geschlecht bekommt gelegentlich fast das Heulen, wenn “Er” dann anstatt auf “Sie” lieber auf sein Handy starrt. Einfach mal heimlich in Bus oder Bahn darauf achten.

    Heutigen Frauen fehlt – mir aus Männersicht – nahezu immer das Niedliche, das Beschützenswerte. Wenn die Dame dann auch noch womöglich wie ein Krieger der Azteken tätowiert daherkommt, macht es das erst recht nicht besser …

    15
  2. Mei, wir leben im “Zeitalter des Narzissmus” Christopher Lasch, das super Virale hilfts hypigst beim Selbtsverkauf … Wie Roge Köppelr von Weltwoche so schön sagte: “das Nein der Frau ist das Ja zur Liebe”. In diesem Sinne dürfen Mann und Frau TROTZdem taktvoll sinnig sein, Halt die, bei denen innere Würde vorhanden ist.

  3. @”Wenn die Dame dann auch noch womöglich wie ein Krieger der Azteken tätowiert daherkommt, macht es das erst recht nicht besser …”
    Hier läuft eine rum da sind Arme und Beine soweit der Blick reicht zu tätowiert. Dann kommen noch dazu ca. 5 Hunde von groß bis Schoßhündchen und 3 Katzen dazu. Wenn die die ausführt schaut die einem auch noch recht auffordernd an, ich grüße aber nicht. Aus meiner Zeit als Dienstleister, wo ich in viele Wohnungen kam, habe ich eine Vorstellung wie es dann in der Wohnung aussieht und riecht Die scheint auch noch im medizinischen Bereich tätig zu sein.