Re.: Deine Bewerbung als Redaktionsleiterin…

Re.: Deine Bewerbung als Redaktionsleiterin…

Zeitgeistaffin und haltungsstark: Deutsche Nachwuchsjournalistin im Mainstream (Symbolbild:Imago)

Herzlichen Dank für die Teilnahme am Assessmentcenter, die wir wie folgt auswerten:
Du hast neun Jahre mit Unterbrechungen an verschiedenen Universitäten in mehreren Studiengängen studiert, wohnst grundsätzlich in Wohngemeinschaften, arbeitest vorzugsweise unterwegs, am Strand oder im Coworking Space. Du engagierst dich gegen Rechts, Straßenbau, Atomenergie und konventionelle Landwirtschaft sowie in der Seenotrettung und bei den Erneuerbaren. Populisten, Schwurbler und Querdenker haben bei dir keine Chance. Du bist bei Corona zuhause geblieben und geboostert. Du lebst nachhaltig, isst kein Fleisch, heizt dein Zimmer lediglich bis zur empfohlenen Höchsttemperatur und duschst nur, wenn es unbedingt nötig ist.

Dir ist klar, dass Heteronormativität, bürgerliche Kleinfamilien, Diskriminierung von Frauen und Minderheiten noch immer die Regel sind und queerfeministischer Widerstand daher unverzichtbar ist. Du kämpfst für Gleichstellung, die Frauenquote und das Wahlrecht ab 14. Du weißt, dass ein Leben außerhalb Deutschlands nur sehr selten mit den Menschenrechten vereinbar ist und wir aus historischen Gründen eine Verantwortung für die gesamte unterentwickelte Welt tragen.

Maximale Punktzahl

Du bist für den Islam in Deutschland mit Kopftuch und Muezzinruf, aber gegen den in Katar und dem Iran. Du findest, dass christliche Symbole und Bibelinschriften in einer säkularen Gesellschaft nicht in den öffentlichen Raum gehören. Zum Zuckerfest gratulierst du. Zucker in Lebensmitteln findest du schlecht. Work & Travel in Neuseeland, Peru und Laos liegen hinter dir, aber du hast jetzt Flugscham entwickelt und setzt dich für Tempo 100 und die Vermögenssteuer ein. Du hast verstanden, dass es nicht um Wohlstand und Wachstum, sondern um Gleichheit und Gerechtigkeit geht. Kapitalismus, Konkurrenz und Profit sähest du daher gern auf dem Müllhaufen der Geschichte.

Durchsetzen willst du dagegen das bedingungslose Grundeinkommen, das Bürgergeld, einen höheren Mindestlohn, die 25-Stunden-Woche, Wohngeld, Gasdeckel, Mietendeckel, das Sabbatical und das 9-Euro-Ticket. Du magst die Letzte Generation, die Toten Hosen, Böhmermann und Cannabis. Trump, Orban, Netanjahu, Nena, Nuhr und Oktoberfest lehnst du ab. Du bist nonbinär und bisexuell, willst keine eigenen Kinder, bist aber grundsätzlich für staatliche Kinderbetreuung. Du kennst dich in der geschlechtergerechten Sprache und den hierbei zu verwendenden Codes aus. Du lehnst es ab, in eine Schublade gesteckt zu werden.

Herzlichen Glückwunsch: Du hast damit die maximale Punktzahl erreicht! Da (bis auf einen) sämtliche BewerberInnen die volle Punktzahl erreicht haben, haben wir uns aus Gründen der Diversifizierung für den Bewerber mit der niedrigsten Punktzahl entschieden. Wir hoffen auf dein Verständnis und verbleiben mit demokratischen Grüßen…

10 Antworten

  1. Das ist echte, hintergründige, humorvolle Satire, als gelungener Gegensatz zu Böhmermann, Heute Show oder Scholz, Habeck, Baerbock, Faeser und v.a. Lauterbach. Es ist jedoch zu bezweifeln ob verfettete Synapsen wie die lang- oder rothschen zu gleicher Erkenntnis kommen werden.

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  2. Huch, zuerst dachte ich, was soll das? Ich hab mich doch gar nicht beworben. Bein Lesen war ich anfangs ziemlich irritiert, dachte, was ist das denn? Bin ich auf einer verkehrten Seite? Doch dann dämmerte es mir. Satire. Satire. Köstliche Satire. Werde ich auf meiner Homepage veröffentlichen. Lach. Ich denke, das ist erlaubt.

  3. Hervorragend geschrieben. Manchmal kann man (!) doch noch über den ganzen Wahnsinn lachen.
    Dass ich die minimale Punktzahl erreicht hätte, sagt ja schon mein Benutzername.

  4. Hervorragend geschrieben. Manchmal kann man doch noch über den ganzen Wahnsinn lachen.
    Dass ich die minimale Punktzahl erreicht hätte, sagt ja schon mein Benutzername.

  5. Genau so sehen sie aus – die (meist) jungen, woken Schoenen (und auch die nicht ganz so huebschen, in Batik-Schlabber-Shirts, Flip-Flops und Ethnofetzen Gewandeten) wie man sie in Suedostasien, so z. B. in der „Scandinavian Bakery“ in Vientiane (Laos – passt!), den „Co-Working-Spaces“ von Chiang Mai zumindest praepandemisch traf. Was erstaunlich treffend herausgearbeitet, vielen als Satire erscheinen soll und muss – fuer mich ist dies eine seit Jahren in unseren hippen, den sich der Jugendreisekultur verschrieben habenden Zentren der „digital Nomads“, den fuer zwei Wochen gutes tuenden „Social Travellers“ (die dann in Kinderheimen mal kurz Malkurse geben um sich danach zuegig „vom Acker zu machen) die taeglich beobachtete Realitaet. Satire – ja… – …aber mit soviel „echtem Leben“ gefuellt, dass es fast weh tut. Manchmal – wie bei einer guten Massage – ist Schmerz wohltuend. Danke dafuer!