Berliner Republik: Vom antiimperialistischen Schutzwall zum Reichstag-Burggraben

Berliner Republik: Vom antiimperialistischen Schutzwall zum Reichstag-Burggraben

Abwehr gegen den Pöbel und seine „Grundrechte“ (Symbolbild:Pixabay)

Vierzig Jahre nach der kalendarischen Entsprechung von „1984“ hat sich unsere Demokratie entscheidend weiterentwickelt: Meinungsfreiheit wird heute als Befreiung von einer unerwünschten Meinung verstanden, die ja eigentlich von der sie ablehnenden Mehrheit geschützt werden sollte. Und die Schutztruppe der Grundrechte unseres Bonner Grundgesetzes beabsichtigt heute offenbar, die gewählte Regierung vor der Ausübung derselben durch den staatstragenden Souverän schützen. Leonard Cohen, der düstere Song-Poet, hatte scheinbar prophetisch einstmals über den eigenartigen Durchblick einer gewissen Nancy getextet: „It seems so long ago – Nancy was alone – Looking at the late, late show – Through a semi-precious stone.” Obwohl, im Gegenteil, unsere Nancy ist gar nicht so allein… denn sie hat ja schließlich ihren Paladin Thomas Haldenwang, der aber wiederum den eigenartigen Durchblick mit Cohens Nancy zu teilen scheint und es mit seiner diesbezüglichen Öffentlichkeitsarbeit als „Zuteilung von Stigmata“ sogar bis auf Wikipedia geschafft hat.

Aber nochmal ganz von vorne: Die überwiegende Mehrheit der 68er-Generation hatte bei ihrem „Marsch durchs Berufsleben“, durch die „Institutionen„, fest zum GG der Bonner Republik gestanden und dabei insbesondere die von Erhard entwickelte Soziale Marktwirtschaft steuerlastmäßig getragen und weiter ausgebaut – wofür sie heute vom postdemokratischen Mainstream als „alte weiße Männer“ (beziehungsweise Frauen) verleumdet wird. Dagegen hatte sich die medienpräsente, linksradikale und teils steinewerfende Resterampe dieser 68er-Generation vollalimentiert ihrer politischen Ideologie hingegeben und sich schließlich – zusammen mit Erichs Enterbten – diesen Staat zur Beute gemacht, als sie ihren Amtseid auf ein Land ablegten, mit dem sie noch nie etwas anzufangen gewusst hatten. Allen 68ern gemeinsam ist lediglich ihre hochmoralisierende Schuldzuweisung an ihre Elterngeneration mit der anklagenden Frage, wie sie denn damals das Dritte Reich hatten geschehen lassen können.

68er-Resterampe und Erichs Enterbte

Heute, ein halbes Jahrhundert später, werden wir erneut mit einem weiteren Geschehenlassen konfrontiert. Diesmal allerdings nicht mit dem der vorigen, sondern dem der nächsten Generation gegenüber den gendergerecht quotierten politischen Nachfolgern unserer 68er-Resterampe und Erichs Enterbten. Der Zweck heiligt die Mittel. Die Meinungsfreiheit ist das höchste Gut einer Demokratie – so heilig, dass sie nun anscheinend vor den Regierungskritikern in Sicherheit gebracht werden muss, um die „Klimademokratie“ errichten zu können. Am sinnfälligen 1. April 2024 meldete „Focus“ unter der sibyllinischen Überschrift, „Die Demokratie in unserem Land war selten so in Gefahr wie heute“ dies: „Thomas Haldenwang hat Kritik an seiner Behörde als ‚Gesinnungspolizei‘ oder einem ‚Regierungsschutz‘ zurückgewiesen. In einem Gastbeitrag für die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ (Dienstagsausgabe) schrieb der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), es sei gut, dass in Deutschland Meinungsfreiheit herrsche – aber auch diese habe ihre Grenzen. Die äußersten Grenzen ziehe das Strafrecht. ‚Jedoch auch unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität können Meinungsäußerungen verfassungsschutzrechtlich von Belang sein.‘“

Lassen Sie sich einfach mal den Haldenwang-Satz „Jedoch auch unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität können Meinungsäußerungen verfassungsschutzrechtlich von Belang sein“ auf der Zunge zergehen! Schmecken Sie ihn jetzt auch, den Hautgout einer regierungsgetragenen Entdemokratisierung? Der real existierende Regierungsschutz präsentiert sich hier wie selbstverständlich als verfassungsgebendes Organ, indem er sich zielgerichtet an Volk und Parlament vorbei ermächtigt, seinen Tätigkeitsbereich entgegen den im zweiten Absatz des Grundgesetzartikels 5 festgelegten Beschränkungen der Meinungsfreiheit durch allgemeine Gesetze, gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre mal eben so mir nichts, dir nichts- –  kraft des eigenen Kommissbrots – auf „Äußerungen unterhalb der strafrechtlichen Grenzen“ zu erweitern.

Emotional-moralisierender Meinungsbrei

Und das alles – Sie erinnern sich an die Kritik an unserer Elterngeneration – ganz ohne irgendein Empörungsgeschrei von Staatsvolk oder Medien. Ganz im Gegenteil: Für ein solches Demokratieverständnis waren doch gerade noch Millionen von „Bürgern gegen rechts“ auf die Straße gegangen; man könnte auch bildhaft sagen, die Mehrheit in unserem Lande hat so viel Angst vor ihren Rechten, dass sie gerne auf selbige verzichten würde. Dazu passend ist ein Burggraben vor dem Berliner Reichstag geplant. Aber wäre eine Mauer nicht vielleicht ein viel besser verständliches Symbol für eine planwirtschaftliche „Klimademokratie“?

Für solche widerspruchslos gebliebenen demokratiezersetzenden Spielchen durch Verschiebung der Grenzen des GG bedarf es zwingend der choreografischen Steuerung einer medialen Einheitsmeinung. Bereits Ende der 1970er Jahre begann ein Massensterben örtlicher Tageszeitungen, die sich dann bis Ende der 1980er bestenfalls noch als Beilage im Lokalteil konzentrierter Regionalmedien wiederfanden. Diese regionalen Medien wuchsen wiederum zu überregionalen Konglomeraten zusammen – und endeten später in einigen wenigen nationalen Medienverlagen. Wo man also als mündiger Bürger der Bonner Republik noch durch Informationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln einen eigenen Standpunkt entwickeln konnte, können wir heute meist nur noch zielgerichtet emotional-moralisierenden Meinungsbrei erwarten. Denn was die DDR konnte, das kann der Berliner Leviathan schon lange.

Aufschlussreiche Vergleiche

Vergleichen Sie doch einfach mal die nachfolgende Passage aus dem Strafgesetzbuch der DDR, wo es unter Paragraph 106 („Staatsfeindliche Hetze„) hieß.:

Wer mit dem Ziel, die sozialistische Staats- oder Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik zu schädigen oder gegen sie aufzuwiegeln,
1. Schriften, Gegenstände oder Symbole, die die staatlichen, politischen, ökonomischen oder anderen gesellschaftlichen Verhältnisse der Deutschen Demokratischen Republik diskriminieren, einführt, herstellt, verbreitet oder anbringt;
2. Verbrechen gegen den Staat androht oder dazu auffordert, Widerstand gegen die sozialistische Staats- oder Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik zu leisten;
3. Repräsentanten oder andere Bürger der Deutschen Demokratischen Republik oder die Tätigkeit staatlicher oder gesellschaftlicher Organe und Einrichtungen diskriminiert;
4. den Faschismus oder Militarismus verherrlicht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

Und nun lesen Sie das Strafgesetzbuch (StGB) der Bundesrepublik Deutschland, Paragraph 188 in seiner aktuellen Fassung („Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung”):

(1) Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) eine Beleidigung (§ 185) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Das politische Leben des Volkes reicht bis hin zur kommunalen Ebene.
(2) Unter den gleichen Voraussetzungen wird eine üble Nachrede (§ 186) mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren und eine Verleumdung (§ 187) mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Wahrheit kommt nur stückweise ans Licht

Die Meinungsfreiheit des Bonner GG wird lediglich durch allgemeine Gesetze sowie den Schutz von Jugend und Ehre begrenzt. Spezielle Gesetze gegen die Meinungsfreiheit stellen dagegen einen Bruch der Verfassung zu Lasten der unveräußerlichen Menschenrechte dar und sind allein dem Berliner Leviathan vorbehalten. Und da die Wahrheit üblicherweise nur stückweise ans Licht kommt, zitiert „Welt“ vom 2. April 2024 unter dem Titel „Meinungsfreiheit kein Freibrief‘ – Haldenwang weist Kritik zurück“ ebenfalls aus dessen FAZ-Gastbeitrag: „Die Meinungsfreiheit ist von daher kein Freibrief, sich der – gerichtlich kontrollierten – verfassungsschutzrechtlichen Beobachtung und Bewertung entziehen zu können, wenn tatsächliche Anhaltspunkte etwa für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen vorliegen.

Sollte Haldenwang das wirklich ernst meinen, dann würde sich aus einer solch frechen Selbstermächtigung zu einem „GEWARE“ („Geheimer Wachschutz der Regierung”) sofort die Frage herleiten, seit wann denn wohl unter der Kontrolle deutscher Gerichte verfassungsschutzrechtliche Beobachtung und Bewertung unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet von deren Legalität stattfinden dürfen. Das Bonner GG enthält nämlich gar keine Selbstermächtigung für einen Wachschutz der Regierung, sondern schützt im Gegenteil den Bundesrepublikanischen Bürger vor deren Übergriffigkeit! Angeblich soll der oben genannte Regierungswachschutz-Anführer dann der „Welt“ zufolge sinngemäß weiter phantasiert haben: „Wenn etwa Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung attackiert würden, könnten diese Äußerungen als gegen die Grundordnung gerichtet gewertet werden. Als Beispiele nannte der 63-jährige Jurist eine Verletzung der Menschenwürde von Angehörigen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen oder politischer Akteure oder eine Eskalation demokratischer Proteste zu aggressiver, systematischer Delegitimierung staatlichen Handelns bis hin zu Gewaltaufrufen.

Bizarre Grundgesetzinterpretationen

Nun sind einerseits die Grundrechte des GG Abwehrrechte des Bürgers gegen einen übergriffigen Staat und seine Organe, andererseits werden und wurden Gewaltaufrufe niemals durch das GG geschützt und stehen auch heute schon unter Strafandrohung. Der Anführer des Geheimen Wachschutzes der Regierung will also angeblich den Grundrechten des GG im individuellen Konflikt zwischen Bürgern unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen Geltung verschaffen, während er gleichzeitig die korrekte individuelle Ausübung selbiger Grundrechte für eine mögliche Gefahr für die Verfassung hält. Man könnte solche bizarren Interpretationen des GG vielleicht als totales Organversagen abtun, wen mit dieser regierungsseitig geduldeten Einhegung der verfassungsmäßig garantierten Meinungsfreiheit nicht zeitgleich eine staatliche Freigabe des „Kiffens für die Schafherde“ einherginge. Was für eine Art „1984“ will man uns eigentlich unterschieben, wenn wir alle völlig zugedröhnt sind?

Mannomann… Solchen feuchten nordkoreanischen Träumen folgte jedenfalls keinerlei Aufheulen sogenannter „Leitmedien“ oder gar der bürgerseitig zwangsbeatmeten Öffentlich-Rechtlichen, keine „spontanen“ Demonstrationen für unsere Demokratie mit Millionen von Bürgerrechtlern und von gendergerecht-feministischer Innenpolitik war auch keine Spur zu sehen; es herrschte vielmehr einfach nur dumpfes Schweigen im langsam vermodernden deutschen Medienwald. Rückblickend hat die Elterngeneration uns 68ern sehr viel zu verzeihen, denn diese Elterngeneration hatte zu ihrer Zeit, wie einst FDP-Röslers Frosch im langsam erhitzten Kochtopf, schlichtweg nicht bemerkt, wie sich das demokratisch gewählte Böse unmerklich und langsam in ihren Alltag eingeschlichen hatte; und als es sich schließlich in eine monströsen Normalität verwandelt hatte, war es längst zu spät. Unsere Kinder werden sich dereinst im mittelalterlich-vollerneuerbaren Ökoparadies der 15-Minuten-Städte ähnlich lautenden Fragen unserer Enkel stellen müssen: Wie konntet Ihr nur zulassen, dass Euch die Bonner Demokratie ganz langsam, Stück für Stück, unterm Arsch weggezogen worden ist? Und die selbstklebende Generation vom „Allerletzten Freitag“ mag sich dann selbst mal an die Nase packen…

7 Antworten

  1. Ein Spruch der in Stein gemeißelt und jedem Aufmüpfigem eingebläut werden muss:
    „Jedoch auch unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität können Meinungsäußerungen verfassungsschutzrechtlich von Belang sein.“ – Das Nähere regelt Ihre Aufsichtsbehörde (veraltete Firmierung: Verfassungsschutz)!

    Wer so etwas zu denken vermag, vermag auch ein ein fremdveranlasstes Versterbenlassen unterhalb des gesetzlich festgelegtenTötungstatbestandes zwar als straffrei, aber gleichwohl für erwähnenswert halten!
    Aber hat dieser Herr als Regierungsschützer überhaupt das Copyright an diesem Ausspruch – oder wird er hinsichtlich der Originalität seines Ausspruchs einfach überschätzt? – Fürs Denken allein ist das Copyright ja schon längst vergeben. Ich meine, dass da schon früher eine Frau Faeser im Gleichklang mit einer Frau Paus genau diese fundamentale Verfassungs- und Rechtsinterpretation in die Öffentlichkeit getragen hätten, oder doch nicht? – Ehre, wem Ehre in diesem Land gebührt!

    Weiteres Zitat aus dem Text: „Solchen feuchten nordkoreanischen Träumen folgte jedenfalls keinerlei Aufheulen sogenannter „Leitmedien“ oder gar der bürgerseitig zwangsbeatmeten Öffentlich-Rechtlichen, …“ – Warum sollte das? Die Schreiber sind doch froh, wenn sie vorgefertigte Texte abschreiben dürfen und sich eigene Nachforschungen oder gar eigenes Denken somit ersparen können.

    Das Bild passt allerdings nicht!
    Wenn sich die Herrschaften aus verständlichen Gründen hinter Burgmauern oder Wassergräben zurückziehen und dort verbleiben würden, wäre dies ein zu begrüßender „demokratischer Landgewinn“. Aber hier geht es ja um den „Einfall“ (wie erkannt: übergriffiger Staat!) in „demokratisches Gelände“ – so also korrekturbedürftig!

  2. Ich plädiere schon seit langem für einen neuen antifaschistischen Schutzwall diesmal um ganz Berlin und wieder an seiner alten Stelle queer durch Dummland. So wie jetzt geht es nicht mehr weiter.

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    1. Ich plädiere dagegen für ein Bündnis mit den Mitteldeutschen, die man fälschlich Ossis nennt. [Berlin und Passau liegen ungefähr am gleichen Breitengrad.]
      Und einen energischen Kampf gegen ideologischen Blödsinn.

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  3. @“BERLINER REPUBLIK: VOM ANTIIMPERIALISTISCHEM SCHUTZWALL ZUM REICHSTAG-BURGGRABEN“
    Schutzwall mit Graben und Reichstag mit Graben. Die Raubritter greifen nun mal gerne immer zu den gleichen Mitteln um sich zu schützen.

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    1. Offenbar erwarten und befürchten die Reichstagsinsassen eine Revolution!
      Dann besteht aber zwischen deren Denken und Handeln ideologischer Vorsatz.

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  4. Bürgernähe.
    Vor dem Bundeskanzleramt steht ein übermannshoher Stahlzaun.
    Vor der Neuen Reichskanzlei (eingeweiht Januar 1939) befindet sich ein Bürgersteig.

  5. „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“
    ―Jean-Claude Juncker
    Da hat Haldenwang doch einen guten Lehrmeister!