Mittwoch, 11. September 2024
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Mein Kampf oder: Neulich, im Massagestudio…

Mein Kampf oder: Neulich, im Massagestudio…

Gutschein für eine Stunde Körperverletzung (Symbolbild:Pixabay)

Beim Aufräumen vor ein paar Tagen fiel er mir in die Hände: Ein fast verjährter Massagegutschein. Man gönnt sich ja sonst nichts, dachte ich mir – und reservierte einen Termin für gestern um zehn Uhr. Zwischen Börsencrash, Regenbogenaliens und Weltkrieg nochmal fallen lassen… das wär‘s doch! Ein knappes Dutzend Mal hatte ich den nach Ingwer duftenden Salon um die Ecke schon aufgesucht, war in einem der vier Abteile bereitwillig in den für eventuelle Kundenmissverständnisse bereitgehaltenen Keuschheitsgürtel gestiegen und dann zwei, drei Mal sogar unter den Händen einer kundigen Thai sanft entschlummert. Zumeist war man da vormittags allein, erhielt einen Tee, wurde bei Fahrstuhlmusik durchgeknetet und verließ die Verrichtungsstätte mit dem Wunsch nach Wiederholung. Bei Gelegenheit.

Den Kopf voller Alltagsmüll machte ich mich also auf den Weg zu einer der letzten noch denkbaren Oasen des Wohlbefindens. Vor Ort eingetroffen, übergab ich das Wertpapier. Dieses setzte die Entspannungsfachfrauen erst einmal hörbar in Stress. Ob es nun an den lediglich wegzumassierenden Altschulden lag, die keinerlei Änderung der Kassenlage mehr versprachen, oder daran, dass der vermerkte Wert für die inzwischen massiv angestiegene Stundenkalkulation nicht mehr auskömmlich erschien? Jedenfalls erhob sich ein nicht enden wollendes Geschnatter zwischen der bebrillten Empfangsdame am Tresen und einer Fachkraft hinter dem Vorhang. Nach einer Viertelstunde des Austauschs in kulturell bedingtem Falsett hatte die Belegschaft entschieden, dass das Vertragswerk über die 60-minütige Handarbeit doch seine Gültigkeit hatte. Die koordinierende Mitsechzigerin im Vestibül hieß mich vom Wartesessel aufstehen, und als Zeichen, dass es nun losgehen könne, wurde der Vorhang in der Zimmerecke von innen einen Spalt weit geöffnet.

“Imane” mit den donnernden Schlägen

Im spärlich beleuchteten Verschlag erwartete mich ein Geschöpf, dessen Gesichtszüge bereits nach wenigen Millisekunden die Aura der zur olympischen Berühmtheit aufgestiegenen Imane Khelif als geradezu liebreizend weiblich erscheinen ließen. Auch der taxierende Blick erinnerte stark an das robuste Ritual, das für gewöhnlich zwischen Schwergewichtlern beim Wiegen vollzogen wird. Ich musste mich beim Entkleiden unter Aufbietung aller rationalen Kräfte daran erinnern, dass in der gebuchten Dienstleitung keine, nicht mal die leisesten Erotikfaktoren enthalten waren. Bevor ich meine Liegeposition einnahm, hatte ich mich selbstverständlich nach dem Keuschheitsgürtel umgesehen. Doch der war nirgends aufzufinden; mir schwante, warum. Glück im sich anbahnenden Unglück war, dass ich bei der Vorzimmerdame nicht noch die Hardcore-Variante als Gangart angekreuzt hatte, sondern die mit dem warmen Öl. Ob freilich ”Imane” den Unterschied kannte, blieb unklar – denn sie ging übergangslos, mit donnernden Schlägen auf die Rückenpartie, in die Offensive. Mein so bearbeiteter Körper beantwortete den Überfall mit reflexhafter muskulärer Gegenwehr, was allerdings erst recht in dem Versuch endete, die Rückfront durch noch intensivere Fausthiebe irgendwie windelweich zu prügeln.

Im Nachbarkabuff, so viel hatte ich trotz des tobenden Kampfes noch mitbekommen, hatte indes eine Dame in ihren frühen Vierzigern Platz genommen und die dort nunmehr handgreiflich werdende Empfangsdame in intensive Gespräche über das Leben im Allgemeinen und im Besonderen verwickelt. Sie hätte „eigentlich keine Zeit“, denn ihr Alltag sei „durchgetaktet“. Deswegen hätte sie ihren Mann „beim Frühstück“ angewiesen, den Termin übermorgen auf nächste Woche zu verschieben. Man wisse ja: „Die Kinder! In dem Alter! Und die Wäsche! Ja, gut so, sehr angenehm. Sehr angenehm! Ich bin so verspannt! Hier! Und Da!“ Die mit der deutschen Sprache nur sehr unzureichend vertraute Adressatin versuchte am Diskurs teilzunehmen, in dem sie alle 30 Sekunden ein weiteres „Gutso?“ einstreute. “Angenehm! Wirklich sehr angenehm!“ schallte es daraufhin stets quer durch den Raum.

Spontanes feuchtes Prusten

Mir entfuhr angesichts dieser Loriotschen Szenerie ein spontanes feuchtes Prusten – in Bauchlage, mitten durch das Guckloch am oberen Liegenende und auf Imanes schlecht lackierte, in Temulatschen gequetschte Zehen. Immerhin ging wenigstens diese Peinlichkeit im lautstarken Trommelfeuer rechter und linker Haken unter. Der Tonfall des an mich gerichteten vergifteten Angebots „Wenntutwehbescheid!“ ließ klar werden, dass ein solcher Bescheid unabsehbare Folgen haben würde. Ich überlegte, angesichts meiner beiden auf Nierenhöhe gefühlten Kniescheiben, dann aber doch kurz, das weiße Handtuch unter meinem Kopf hervor zu zerren und in den Ring zu werfen. Dieser Gedankengang wurde jäh unterbrochen, weil sich die hyperaktive Fachkraft nunmehr überraschend den Ohrläppchen zu widmen begann; also: meinen Ohrläppchen. Zwischen Daumen und Zeigefinger wurden beide synchron gezwirbelt, bis sie sich anfühlten, als seien sie in ein Waffeleisen geraten. Zum Abschluss des Vorgangs bohrte “Imane” mir kurzentschlossen zwei ihrer Knubbelfinger in die Ohren, so dass selbst mein verzweifelter Versuch, mich irgendwie mit dem heiteren Plausch nebenan abzulenken, fehlschlagen musste.

Während es oben arbeitete, zerrte, kniff und drückte, versuchte ich, als wehrlose Verfügungsmasse, zu analysieren, anhand welcher Merkmale man eigentlich professionelle von amateurhaften Massagen unterscheiden könnte – und ob es vielleicht meiner mangelnden Fachkenntnis geschuldet war, dass ich gutes und schlechtes horizontales Gewerbe nicht voneinander zu trennen imstande war, oder aber mich gar fürderhin als Weichei einstufen lassen müsse. Da ”Imane”, nach wie vor auf mir kniend, inzwischen damit beschäftigt war, mir die Arme auszukugeln, besiegelte der mühsam unterdrückte Schmerzensschrei meine Erkenntnis, das laufende Geschehen für eine Art göttliche Prüfung zu halten. Irgendwer wollte mir da etwas sagen.

Herzhafter Hieb auf die Stirn

Die südostasiatische Kampfmaschine, sie hatte mich inzwischen kurzerhand in die Rückenlage befohlen, stand wie der Schnitter am Kopfende des Totenbetts und schien nun eine Art Lifting zu simulieren. Hierfür zerrte sie die Haut am Hinterkopf zusammen, bis es an Augenbrauen und Nase zog. Als Aufgebahrter war ich mir gewiss, dass das auf dem Gesicht platzierte Handtuch zweifellos dazu dienen sollte, bleibende Schäden an der Physiognomie für die Nachwelt unsichtbar zu machen. „Angenehm! Sehr angenehm!“ drang es aus der Nachbarkabine herüber. Grotesk, weil die dortige Bearbeiterin gerade eine Pause eingelegt hatte, um am Tresen einen Termin mit einer Kundin am Telefon zu besprechen. Ich grübelte, ob der Lustruf der omniverspannten Dame nebenan nun der Arbeitspause galt, dem aktuell kinderlosen Allgemeinbefinden oder irgendeinem anderen orgiastischen Zustand. Auch das blieb unbeantwortet, denn ein abschließender herzhafter Hieb auf meine Stirn beendete mein komatöses Sinnieren. Ich fühlte mich spontan an ein Video erinnert, in dem ein bärtiger Muselmann auf exakt diese Weise reihenweise verschleierte Frauen züchtigte.

Wie auch immer: Ich verzichtete darauf, ”Imane” nach verdächtigem Bartwuchs abzusuchen. Ich hatte überlebt. Das musste genügen. Nachdem mir das Stündlein geschlagen hatte, wankte ich aus der Oase des Daseins, atmete tief ein und erkannte noch auf dem Weg zurück ins Büro den tieferen Sinn. Mich. Wirft. Ganz sicher. Nichts mehr um.

8 Antworten

  1. Dieses ganze Durchgeknete erinnert mich an meine Reha. Bei einer suche nach einer Diagnose fand man dann endlich was, nach dem man alle zur Verfügung stehenden Geräte benutzt hatte. Man entschied sich für die Therapie die am meisten Geld brachte. Dabei musste ich auch erleben wie hilflos die Ärzte und Pfleger bei anderen Patienten waren und die wieder nach kurzer Zeit nach Hause schickten. Einen fast blinden Zuckerkranken. Bei der Ergotherapeutin sagte ich was eigentlich gar nicht mag, denn meine Birne war ja in Ordnung. Logopädie wurde anfänglich abgerechnet, steht im Arztbrief, aber nicht durchgeführt. Egal die Klinik wollte ja Geld verdienen. Die für mich zuständige Physiotherapeutin zerrte und knetete brutal an einem herum, da ich nicht brüllte behauptete die das ich wohl kein Gefühl in den Gliedmaßen hätte. Bei anderen Patienten hätte die sich wohl schon eine Anzeige eingefangen, wie sie mal kleinlaut nebenbei bemerkte. Als ich dann sagte das ich schon vor Jahrzehnten eine Diagnose, Morbus Scheuermann, bekam und das mich schon ewig quälte, wurde die hellhörig und ich konnte mir meine Physiotherapie selber zusammenstellen. Dann kam irgendwann mal die Bemerkung, „man sollte doch öfter mal auf die Patienten hören“. So viel zu unseren medizinischen Fachkräften. Zu mir kam nach der Reha keine ambulante Therapeutin ins Haus. Selber die ganze Hauswirtschaft und das drum herum machen ist die beste Therapie.

  2. War gerade letztens im Moorbad in Bad Freienwalde (östliches Land Brandenburg) drei Wochen auf Reha – war super!

    Außer Massagen und weiteren medizinischen Anwendungen gab es dort auch tolle Landschaft, eine Quelle aus dem Berg und leckeres Essen. Mehrfach auch herrliche Bäder im warmen schwarzen Moorschlamm.

    Eines steht für mich fest: Im nächsten Leben werde ich Lurch! Aber haltet mir die Störche vom Leibe!

  3. Sehr witzig…Habe ich selber in sehr ähnlicher Form ebenso erlebt , als ich eines Tages mit extrem verspannter Nackenmuskulatur in meiner Not einen Thai Massagesalon aufsuchte und 45 Minuten buchte…Hinterher fragte ich mich ,wie solch zarte Händchen solch Schmerzen bereiten konnten und ob man nicht wenigstens einen Grundwortschatz Englisch oder Deutsch erwarten sollte , wenn jemand sein Folterhandwerk hier verrichten darf. Nun gut , es war noch kein Fall für Amnesty ,eher für den Notruf ,denn hinterher tat nicht nur der Nacken noch mehr weh ,sondern auch sämtliche verdrehten Gliedmaße..Ein Fall für Masochisten…
    Ganz anders die aktuelle Erfahrung mit einer chinesischen Masseuse …Die Sprachbarriere war nicht schlimm , diese Frau beherrscht ihr Handwerk wie ein Win Chu Meister …Göttliche Hände bei entspannter Musik …Wunderbar.
    Wenn ich im nächsten Leben zu Reichtum kommen sollte , wäre es mein einziger Luxus ,mir 2 mal die Woche solch eine Massage zu gönnen und den Masseur dafür fürstlich zu belohnen . Wer braucht schon einen Sportwagen oder anderen Schnickschnack….? Lieber 3 Frauen und 2 davon Masseusen…..Allahuuuuu