Sonntag, 19. Mai 2024
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Reinhard Mey ist tot – zumindest musikalisch: Neues Album “Nach Haus”

Reinhard Mey ist tot – zumindest musikalisch: Neues Album “Nach Haus”

Reinhard Mey: In Würde gealtert – aber musste dieses Album sein? (Foto:Imago)

Reinhard Mey hat sein neunundzwanzigstes Studioalbum veröffentlicht. Das sollte eigentlich eine gute Nachricht sein. Doch leider ist der Lieblingsliedermacher der Deutschen musikalisch am Ende. Was mit 81 Jahren nichts Ehrenrühriges ist. Dennoch: Die Erkenntnis schmerzt, dass auch die Besten ihrer Zunft ein Verfallsdatum haben. Vielleicht auch, weil einen diese Erkenntnis mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert.

Reinhard Mey hat bis heute keine Autobiographie geschrieben. „Alles, was ich zu sagen habe, erzähle ich in meinen Liedern“, betont er gern. Da ist etwas dran. Sein Lied “Viertel vor sieben wirkte, als es 1998 erschien, noch ein bisschen wie Koketterie. Heute, im Rückblick, wirkt es, als wusste er schon damals, was 25 Jahre später geschehen wird:

Das Fell wird dünner und leerer der Becher
Der Zaubertrank wirkt nur noch schwer
Der Kummer ist tiefer, der Trost scheint schwächer
Und es heilt nicht alles mehr
Wo ist meine Sorglosigkeit geblieben
Was machte Erkenntnis daraus?
Manchmal wünscht’ ich, es wär nochmal viertel vor sieben
Und ich wünschte, ich käme nach Haus!

Schmallippiger Griesgram in Weltuntergangsstimmung

Der Zaubertrank, dank dem Mey seit den späten Sechziger Jahren seine Zuhörer betört, wirkt schon eine Weile nicht mehr so richtig. Meys Kunst bestand ja stets darin, wildfremde Menschen zu rühren, in seinen besten Momenten sogar zu Tränen; doch das ist vorbei. Seit drei, vier Alben sind seine Lieder  belanglos geworden. Das hat vielerlei Gründe. Sein einst einzigartiger Gesang ist oftmals zu einem gemurmelten Sprechgesang verkommen, von seinem Geschick, außergewöhnliche Reime zu dichten, ist kaum noch etwas übrig. Da reimt sich schon lang nichts mehr auf „Luftaufsichtsbaracke“, manches reimt sich überhaupt nicht mehr. Und die Geschichten, die er erzählt, sind im besten Fall uninteressant, im schlechtesten bereits wirr.

Das Drama mit seinem Album “Nach Haus” geht bereits mit dem Cover los, auf dem uns ein schmallippiger Griesgram in Weltuntergangsstimmung anglotzt. Aber gut, ein mieses Foto sollte unser geringstes Problem sein. Hören wir doch mal ein bisschen rein. Da ist zum Beispiel das Stück “Verschollen”, mit dem Mey endlich mal wieder ein Zeichen setzen wollte – gegen den Krieg. Seine Anhänger hofften auf eine Art neues „Es ist an der Zeit“, jenes grandiose, von Hannes Wader getextete Antikriegslied, das auf YouTube weit über acht Millionen Menschen zu Tränen gerührt hat. Doch was bekommen sie nun? Ein Lied in einem nervigen Leierkasten-Sound mit Textzeilen wie dieser: „Ich war ein schöner Kerl, ich wollte leben, lachen, lieben“.

Ist denn da keiner, der sagt: „Reinhard, das funktioniert so nicht!“?

Und es kommt noch schlimmer. In “Lagebericht” skizziert Mey ein krudes Endzeitszenario:

Räudige Tauben und ein Dutzend magere Möwen balgen sich lärmend
In der Ferne das versunkene Westerland
Die Vögel streiten sich um die Plastikflaschen in den Algen

Der Kritiker der “Westdeutschen Allgemeinen Zeitung” sieht die Nummer “Lagebericht” als sinnbildlich für das gesamte Album: „Vier Minuten lang stammelt Mey etwas davon, wie er sich die Republik am 21. Dezember 2042 vorstellt, singt von Liedern auf dem ,Regierungssender’ und von Wölfen, die Schafe unter Photovoltaikanlagen zerfleischen. Man mag gar nicht glauben, was man da hört.“ Tja. Ist denn da keiner, der ihm sagt: „Reinhard, das funktioniert so nicht!“? Sein Produzent, ein Begleitmusiker, seine Frau, seine Kinder? Augenscheinlich nicht. Sonst wäre „Nach Haus“ so nie erschienen.

Sicher, es gibt auch ein paar schöne Lieder auf Meys möglicherweise finalem Werk. “Du hast mich getragen” ist seine obligatorische Liebeserklärung an seine Frau Hella, “Du kannst fliegen” ein wehmütiger Ausflug in die Kindheit und “Das Raunen in den Bäumen” erinnert sogar ein bisschen an seine künstlerisch besseren Tage.

Trotz alledem: Reinhard Mey bleibt unantastbar

Besagter WAZ-Redakteur ließ sich zu der Überschrift „Reinhard Mey sägt an seinem Denkmal“ hinreißen. Am Denkmal sägen… du lieber Himmel, wie holprig, wie abgegriffen, und vor allem, wie falsch. Selbst wenn auf Meys neuen Album „Nach Haus“ nur Geräusche seiner Toilettenspülung nach’m Kacken zu hören gewesen wären, hätte er nicht an seinem „Denkmal gesägt“. Grund: Reinhard Mey ist unantastbar.

Vor genau 60 Jahren veröffentlichte der Berliner Junge mit „Ich wollte wie Orpheus singen“ sein erstes Meisterwerk. Seitdem schrieb und sang Mey um die 500 Lieder, von denen viele zum Besten gehören, was Deutschlands Musikgeschichte zu bieten hat. Und damit meine ich eben längst nicht nur die üblichen Verdächtigen, die jeder kennt, „Annabelle, ach Annabelle“, „Gute Nacht, Freunde“, „Über den Wolken“, die Frühwerke also. Oh nein, Kameraden, hört Euch mal „Elternabend“ an, „51er Kapitän“, „Maikäfer fliege“, „Kati und Sandy“, „Gib mir Musik“, „Viertel vor sieben“, „What A Lucky Man You Are“, „Ich bring’ dich durch die Nacht“ oder „Wir sind eins“. Geniestreiche allesamt – und es gibt noch so viele mehr. Wen diese Lieder nicht berühren, der hat nicht begriffen, worum es im Leben geht.

Und nun? War’s das jetzt? Oder kommt da noch was? Ein allerletztes Studioalbum vielleicht? Ich weiß es nicht. Vielleicht hat sich Reinhard Mey auch einfach auserzählt.

Manchmal wünscht’ ich, die Dinge wär’n so einfach geblieben
Und die Wege gingen nur gradeaus
Manchmal wünscht’ ich, es wär’ nochmal viertel vor sieben
Und ich wünschte, ich käme nach Haus!

18 Antworten

  1. Es gab auch einen unsympatischen Reinhard Mey , ber den Wolken . Ich wollte nicht sein Nachbar gewesen sein

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  2. na ja – soweit ich mich erinnere, hat er damals mit “Annabell” den Linken ordentlich auf die Füße getreten – und wurde dafür fertig gemacht. Fast so wie Gunter Gabriel nach seinem Lied “Deutschland ist …”
    Damals haben die Linken in den Medien schon klargestellt, wo es hingeht.
    Zerstöre einen – erziehe hunderte.
    Das waren die antideutschen Vorboten – schon lange her !
    Und heute ernten wir, was wir damals mit mangelndem Widerspruch bestellt haben !

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  3. In einem hat er recht. Das Fell wird dünner, die Wunden heilen nicht mehr und der Trost ist nur noch ganz schwach. Das hat nichts mit Griesgrämigkeit zu tun, sondern mit dem Leben und der oftmals nicht einmal mittelmäßigen Qualität der Mitmenschen und ihres Verhaltens.

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    1. Das Lied “Viertel vor sieben”, das Du zitierst hast, ist alt und zauberhaft. Hat nichts mit dem neuen Album zu tun.

  4. Muss man hier wirklich “einen Beitrag machen” – dazu noch mit einer derartigen Überschrift?
    Es sei ihm von Herzen und von vielen Bewunderern seiner Texte gegönnt, wenn er noch Schaffensfreude verspürt!
    Der Respekt vor seiner Lebensleistung hätte allemal – wenn schon nicht Wohlwollendes – dann eben “ein Schweigen verdient” – gerade wenn man mit seiner Musik nichts (mehr) anfangen kann …

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    1. Danke!

      Dann kann ich mir meinen Kommentar ja schenken.

      Was soll der Unsinn, Herr Flesch? Mit zwei drittel “Ihres Beitrags” treten Sie Reinhard Mey in die Tonne. Um dann im letzten Drittel doch noch so etwas wie ne Lobeshymne abzusondern.

      Herr Lesch, hätten Sie man bloss geschwiegen. So kann man Ihr Geschreibsel wirklich nicht Ernst nehmen. Da hat Ihnen ohne Frage der Neid die Feder geführt.

      Si tacuisses, philosophus fuisses!

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    2. Besser kann man es nicht formulieren. Niemand ist gezwungen, dass Album zu kaufen und im Mainstram Radio wird es kaum gespielt werden. „Kaspar“ war das erste Lied, mit dem ich vor inzwischen 45 Jahren meine ersten Gitarren-Akkorde geübt habe.

  5. Für mich war er einfach nur das Sandmännchen alt-Bundesrepublikanischer Wohlfühligkeit.

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    1. Sie haben schon verstanden, daß der in der Tat hervorragende Liedtextdichter
      “Ich bin Klempner von Beruf……………..”
      “Manchmal wünscht ich, ich wär mein Hund”
      “Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars”
      noch physisch lebt ?

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  6. Der Kritiker der WAZ war wahrscheinlich ein Ampel od. CDU Fan od. hat einfach nicht verstanden was im Lagebericht gesungen wurde. Und selbst wenn die Stimme nicht mehr die jüngste ist DER TEXT IST WESENTLICHER! Im Übrigen wurden die regierungskritischen Lieder wie z.B. DAS NARRENSCHIFF welches heute noch treffender ist als damals nicht erwähnt. Ich schätze R. Mey vor allem wegen seiner kritischen Sicht der deutschen Politik.

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  7. Natürlich hat man auch als jahrelangem Fan bei diesem Album etwas anderes vorgestellt aber auch bei Reinhard Mey hat das Leben Spuren hinterlassen und ein Sohn ist ja auch vor einigen Jahren gestorben. Ich denke man muss auch bei diesem Album genauer hinhören , habe es jetzt nur einmal gehört und man merkt, dass er älter geworden ist und seine Stimme nicht mehr so kräftig ist,wie man sie gekannt hat. Ich bleibe ein Fan .

  8. Noch einmal einen Nachtrag. Es wundert mich doch sehr, dass gerade in diesem Portal von Ansage, die immer sehr kritisch, kreativ und sehr aussagekräftig war und ist,so ein Artikel mit der Überschrift erscheinen ist . da Frage ich mich doch ob es nicht andere schwerwiegende Probleme in der Welt und auch in Deutschland gibt, wie zum Beispiel der Kalifat , der sich in unserem Land ausbreitet.

  9. Ich möchte mich Meinungsmeiner anschließen. Reinhard Mey hat ein großes Lebenswerk geschaffen und dafür kann man ihn würdigen oder in Ruhe lassen.

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  10. Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, dass Ihr musikalisches Empfinden nichts mit einer angeblich nachlassende Qualität von Meys Liedern zu tun hat, sondern mit der Stimmung, die sich seit Merkels Zeiten als linker, erstickender Mehltau über unser Land gelegt hat?
    In einer Zeit, in der jeden Tag neue Dystopien wahr werden, scheint mir Mey nach wie vor sehr hellsichtig.
    Ist es das was Sie stört? Das er ausspricht, was viele immer noch angstvoll verdrängen wollen, weil die Realität zu grässlich ist?

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  11. Naja, das Leben ist ziemlich anstrengend und wenn man die Nachrichten schaut, hat sich in den letzten fünfzig Jahren so viel nicht verändert auf diesem eigentlich wunderschönen Planeten. Überall Krieg, Mord und Totschlag, Verbrechen, Lüge und Betrug. Da kann man schon verzweifeln oder aber zumindest seinen damaligen jugendlich-forschen Geist des Aufbruchs, der Hoffnung und der Zuversicht in der Abfolge verlieren. Als Kind träumt man davon Präsident zu werden und die Welt zu einem Ort des Friedens zu machen, als Jugendlicher greifen die einen zur Klampfe, die anderen zur Droge oder zur Waffe, die meisten schweigen. Im Alter sieht man, daß sich leider nur allzuwenig geändert hat. Die Lieder von Reinhard Mey begleiten mich schon mein Leben lang und sie haben zumindest dazu beigetragen, meine Welt ein wenig bessergermacht zu haben. Daß er nun im Alter musikalisch im Rollator daherkommt, ja mei, mir wer´n halt alle nicht jünger. Was soll es, ihm Schwächen, Fehler oder Mißerfolge vorzuwerfen. Wir erwarten von einem alternden Sportler ja nun auch keine Rekorde mehr. Höflichkeit und Respekt sind neben Liedern auch wichtige Tugenden, die Lebensqualität ausmachen.

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  12. @Johannes Klaring

    Gut und treffend formuliert. Reinhard Mey ist einer der größten deutschen Liedermacher ( und kein sing a Song writer Dingsbums) Sollte er mal nicht mehr sein, so geht ein Teil Deutschlands unwiederbringlich.
    Er hat sich nicht verbiegen lassen und bleibt sich treu,( auch, wenn man vielleicht nicht mit jedem Text d’accord geht)im Gegensatz zu schleimenden Systemlingen wie Lindenberg, Gröhlemeier, Westernhagen, Ambros etc
    Gott schenke ihm noch viele Jahre und Gesundheit

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