Sonntag, 28. April 2024
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Reiseimpressionen: Sisteron müsste man erfinden, gäbe es die Stadt nicht

Reiseimpressionen: Sisteron müsste man erfinden, gäbe es die Stadt nicht

Sisteron mit Zitadelle im Tal der Durance im Departement Alpes-de-Haute-Provence (Foto:Imago)

Sisteron ist seit 1976 Partnerstadt meiner Heimatstadt Herbolzheim im Breisgau. Eine Partnerschaft nicht nur auf dem Papier, sondern ein gelebter Austausch unterschiedlicher „Menschenschläge“. Aber vereint im unbändigen Willen, nie wieder Krieg gegeneinander zu führen und aus den äußeren Gegebenheiten und dem Leben das Beste zu machen. Triebfeder sind nicht bezahlte Stadtoberhäupter, sondern ehrenamtliche Partnerschaftskomitees beider Städte. In Herbolzheim ist es „seit ewig“ ein Lehrer namens Baumann (der treffender “Baumstark” heißen könnte). Im jährlichen Wechsel besuchen sich ein Bus voll Menschen einmal hier und einmal dort. Zusätzlich gibt es Treffen zwischen einer Handvoll Sportvereinen. Die Besuchsprogramme sind vollgepackt mit „offiziellen“ Begegnungen, besonders aber mit Begegnungen befreundeter Familien, bei denen auch jeweils diniert und übernachtet wird.

Sisteron ist eine südostfranzösische Kleinstadt mit knapp 8.000 Einwohnern im Département Alpes-de-Haute-Provence und trägt den Beinamen „Tor zur Provence“ (Porte de Provence). Sie ist eine wichtige Station an der Route Napoléon. Diese Perle Frankreichs lässt sich kaum mit Worten beschreiben, bei jedem Besuch eröffnet sich bisher Unentdecktes. Dieser kurze Reisebericht jedoch soll eher einen politischen Schwerpunkt haben.

Ein Muslim mit Kippa

Beim ersten Stopp oberhalb der Pont de la Caille, gleich hinter der schweizerischen Grenze zu Frankreich, sprach ich den Fahrer an, der eine Kippa trug. Mitreisende der weiteren Partnerstadt Morawica (Polen) wunderten sich etwas: Ein weißbärtiger Holländer, der in Deutschland wohnt und sich hier als (übrigens sehr guter) Busfahrer den Lebensunterhalt verdient. Aber nein? Doch er war kein Jude, verwahrte er sich sogleich – sondern ein „rückkonvertierter“ Muslim; eine Art Sekte, deren Mitglieder ebenfalls solche Kopfbedeckungen tragen und das auch in der Öffentlichkeit, nicht speziell in Synagogen, auf Gedenkfeiern oder auf Friedhöfen, wie es gemäßigte Juden tun. Er trat als Christ zum Islam über, weil Islam „Friede“ heiße, und deshalb auch unser Jesus Christus ein Muslim war, so seine Logik. Ich kannte diese gewagte These bereits (und weiß natürlich auch, dass Islam nicht “Friede”, sondern “Unterwerfung” heißt –  unterließ es aber zu fragen, warum ausgerechnet sein Muhammad alles andere als friedlich gewesen sein soll). Dann ging es weiter über Grenoble auf die Route Napoleon über einen Pass hinab gen Sisteron.

Schon von Weitem sticht die unverkennbare Zitadelle ins Auge mit der besonderen Lage und ihrer wechselvollen Geschichte. Wie wäre die Weltgeschichte wohl verlaufen, wäre Napoleon im Jahr 1815 auf dem Marsch nach Paris an diesem Nadelöhr der Alpen mit seinen tausend Mannen aufgehalten worden? Aber auch durch Herbolzheim zog einst eine Prominente: Marie-Antoinette, im Jahr 1770 nämlich mit 350 Pferden, 235 Menschen und 57 Wagen, auf dem Weg zur Brautübergabe an ihren Gemahl Louis XVI. Jene spätere Königin ging leider zum “falschen Friseur” – den französischen Revolutionären. Diese schnitten ihre am 16. Oktober 1793 nicht nur die prächtige Frisur, sondern den ganzen Kopf ab.

Bewegte Geschichte der Zitadelle

Der Besuch dieser Zitadelle war ein Schwerpunkt meines diesjährigen Besuches von Sisteron. Im Ersten Weltkrieg waren in ihr deutsche Kriegsgefangene inhaftiert gewesen; ihr Zeppelin war in der Gegend abgestürzt. Im Zweiten Weltkrieg fiel Sisteron in der Zeit der deutschen Besetzung Frankreichs, unter die Bedingungen des Waffenstillstands von Compiègne ab 22. Juni 1940 und gehörte fortan zum „unbesetzten Frankreich“. Und wieder meinte es das Schicksal nicht gut…

Den höchsten Punkt der Zitadelle bildet eine große restaurierte Kapelle, die seit 1956 – wie das gesamte Gebäude – als Museum dient. Die Kapelle wurde im Zweiten Weltkrieg unnötigerweise bombardiert und zu zwei Dritteln zerstört. Doch wer auf den erklärenden Tafeln danach sucht, wer für diesen Zerstörungsakt verantwortlich war, wird enttäuscht; natürlich – so wird insinuiert – mussten es die Deutschen gewesen sein. Tatsächlich verhielt sich etwas anders: In der Zitadelle war ein Internierungszentrum für sogenannte „unerwünschte“ französische, politische und „Common Law“-Häftlinge eingerichtet. Das Lager Sisteron wurde zunächst von französischen Gefängniswärtern und ab dem Jahr 1944 von deutschen Soldaten bewacht.

Die rote Fahne weht noch

Im August 1944 wurde Sisteron daher von englischen und amerikanischen Fliegern bombardiert – und nicht nur die Zitadelle. Auch auf die lebenswichtige Brücke Pont de la Baume aus dem Jahr 1365 wurde keine Rücksicht genommen. Sie bekam ebenfalls den „Segen“ der Alliierten ab. Immerhin wurde sie gleich 1945 wiederaufgebaut. Die hundert umgekommenen Bewohner der Stadt konnten dabei nicht mehr helfen. Bilder und kurze Erläuterung zu Sisteron finden Interessierte hier.

Auf der Spitze der spektakulären Felsformation östlich der Stadt wehte noch immer die rote Fahne – obwohl Sisteron konservativ ist. Auch heute, unter dem entsprechenden Bürgermeister Daniel Spagnou, Ex-Abgeordneter in Paris, gibt weiterhin diese Tradition: Einer der Rekruten klettert am Vortag des 1. Mai die steilen Felsen hoch und hisst oben angekommen eine rote Fahne. Früher sollen junge Kletterer aus dem politisch anderen Lager die Fahne wieder entfernt haben, – doch bei meinem Besuch stand sie noch (die „Rechten“ sind dort auch nicht mehr, was sie einmal waren…). Nebenbei: Das exzellente „Sisteroner Lamm“ schmeckt auch Wölfen und wurde so zum Streitobjekt. Tierschützer wollten die grauen Vierbeiner zähmen!? Dazu meinte Monsieur Spagnou im Parlament: „Dann kann man genauso gut versuchen, einen Hai zu erziehen!” Könnten vielleicht auch „Rechte“ Recht haben?

Islamisierung und Energiewende…

Anders als bei uns in Deutschland fallen kaum Ausländer in Sisteron auf – zumindest nicht auf dem Land. Es dauerte lange, bis eine Frau mit Kopftuch zu sehen war. In meiner kleinen badischen Heimatstadt hingegen sieht man solche Muslima mittlerweile in jeder Straße, selten ohne zwei oder drei Kinder – die aber die Windel noch nicht am Kopf tragen. Die Unauffälligkeit in Sisteron hingegen liegt nicht nur daran, dass Frankreich mit 5,5 Millionen Muslimen etwas weniger “Islam” hat als Deutschland, sondern daran, dass die dortigen überwiegend aus den einstigen nordafrikanischen Kolonien der Maghreb-Staaten stammen, nicht aus den arabischen Ländern des Orients wie bei uns. Diese Muslime sind daher meist auch in Frankreich geboren und – jedenfalls in ihrer Mehrzahl – weniger verbohrt als die bei uns… Es sei denn, sie leben in großen Gruppen in den größeren Städten (immer wieder kommt es in den Banlieus zu massiven Problemen, die sich kürzlich erst wieder bei den großen Unruhen entluden). Den dortigen Parallelmilieus gilt alles als feindlich, was nicht muslimisch ist, insbesondere der Staat. Aber auch auf dem Land waren diesmal gesprühte Parolen zu sehen, die Polizisten als “Mörder” bezeichnen.

Die “Energiewende” lässt in Frankreich auf sich warten; nur an einer Raststätte war ein kleines Windrad zu sehen. Auch die Solarenergie wird weit weniger genutzt als bei uns, obwohl die südlichere Lage dafür noch besser geeignet wäre. Der Wind ist ebenfalls beständiger. Einen Analogbegriff für „Klimakrise“ oder „Klimakatastrophe“ gibt es im Französischen nicht, allenfalls als zwei separate Worte. Die Franzosen beziehen ihren Strom zu zwei Dritteln aus Atomkraftwerken, aber immerhin zu 8,6 Prozent aus Windkraft. Bei uns hingegen werden über ein Drittel der vielen Windräder „abgeregelt“, weil die Netzkapazität nicht ausreicht. Beachtlich ist ein Anteil von 7,8 Prozent der französischen Stromproduktion aus den vielen Flüssen und künstlichen Kanälen, die auch der Bewässerung der Landwirtschaft dienen.

Auf größerem Fuß

Ein Höhepunkt war der Abend des Nationalfeiertags am 14. Juli: Er bestand aus einem bunten Umzug von etwa einem Duzend Gruppen und Wagen; bunt in den Farben, nicht bunt bezüglich der Herkunft der Mitwirkenden. Von 8-jährigen bis 80-jährigen Aktiven war alles vertreten, moderne und traditionelle Musik mit tanzenden Trachtenträgern wurde geboten. Trotz des französischen Nationalstolzes keine Spur von revolutionärem Gehabe; die Feiern ähnelten eher einem hiesigen Fasnachtsumzug. Abschließend wurde noch kräftig geschossen: Ein Feuerwerk von der Zitadelle aus, wie wir es schon lange nicht mehr gesehen hatten. Die unzähligen akustischen “Wummse” kosteten sicher nicht wenig – doch Kanzler Scholzens “Doppel-Wummse” kommen uns definitiv teurer zu stehen.

Auch unsere Gastgeber gönnen sich, wie alle Franzosen, nicht nur üppigeres Essen und mehr Kultur. Sie leben auch sonst auf „größerem Fuß“: Ihre Häuser sehen zwar weniger modern aus als unsere, aber sie stehen auf so großen Grundstücken, wie sie bei uns nur wenige Villenbesitzer ihr Eigen nennen können. Logisch: Die Einwohnerdichte beträgt in Frankreich weniger als die Hälfte der unsrigen. Das Land ist zusammen mit den Überseedepartements flächenmäßig größer als die Ukraine (abzüglich der drei Oblaste, die dort schon lange nicht mehr dazugehören, weil sie sich für Autonomie entschieden hatten). Die Ukrainer führen einen Krieg gegen ihren Nachbarn Russland – die Franzosen gegen einen inneren Feind.

Wer wird diese Kriege gewinnen? Meine Prognose: Keiner. Noch nie wurden Kriege wirklich “gewonnen”. Die Devise kann nur lauten: Verständigung, so, wie sie zum Beispiel mit unserer Städtepartnerschaft praktiziert wird. Partnerschaft ist möglich, wenn beide Seiten sie wirklich wollen!


Dieser Artikel erschien auch auf der Webseite des Autors.

3 Antworten

  1. Ein wundervolles Städtchen. Und der Blick auf die Brücke über die Durance hin zum Baume-Felsen (Rocher de la Baume) ist einfach grandios. Ich mache auf der Fahrt in die Provence jedes Mal dort Halt, da ich mich nicht daran satt sehen kann.

  2. Ja. Sehr hübsch. Würde ich auch gerne mal besichtigen. Ist wahrscheinlich nichts für mein kaputtes Knie, aber gelebte Geschichte fasziniert mich immer wieder.

  3. Doch Kriege wurden gewonnen. Und Moslems wollen und können eben nicht so friedlich sein , sonst wären sies ja. Und einen Krieg führen die gegen uns. Unsere Antwort muß erst noch kommen. Die wichtigste ist Rechtstaat, Islamverbot und totale Remigration und Apartheitsrechte für Europäer im Sinne des Völkerrechts.