Samstag, 27. April 2024
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Sehnsucht nach dem Lebendigen: Mit Goethe in Zeiten des Denkverbots

Sehnsucht nach dem Lebendigen: Mit Goethe in Zeiten des Denkverbots

Inspiration und Erhellung in finsterer Gegenwart: Johann Wolfgang von Goethe (hier auf dem bekanntesten Porträt von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein)

Kulturelle Aneignung? Ja, bitte! Wir sollten die Werke von Goethe, Schiller, Nietzsche nicht den Intellektuellen überlassen, sondern sollten uns unsere eigene Hochkultur wieder neu aneignen – gerade in diesen verrückten Zeiten. Jetzt, da der Wahn-Sinn überhand nimmt, ist es eine Frage der Würde, sich dem Lebens-Sinn zuzuwenden. Wenn nur Schwarz oder Weiß zählt und das Vielschichtige ins verschwommene Reich der Esoterik gestoßen wird, wenn das eigene Denken nicht mehr opportun ist und wenn das früher einmal positive Querdenken unversehens „rechtsextrem“ geworden ist, tut es zuweilen gut, mit einem Goethe-Gedicht auf den Lippen spazieren zu gehen.

Vom Gedicht Selige Sehnsucht, zu finden in seiner Gedichtsammlung West-östlicher Diwan,  ist vor allem der letzte Vers bekannt; der Rest sei schwierig zu interpretieren, liest man immer wieder. Doch so schwierig ist es nicht: Wenn man es vor sich hinsagt und wenn man mit dem Herzen hineinhört, schließt es sich nach und nach auf und gibt in einzelnen Tropfen seine tiefere Weisheit preis. Das Gedicht beginnt wie folgt:

Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet,
Das Lebend’ge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.

Nachdenken verlangt einen Schutzraum

Weisheit ist also nur von jenen zu verstehen ist, die darauf lauschen. Von der Menge wird alles verhöhnt, dessen Substanz nur unter der Oberfläche gefunden werden kann. Das Nachdenken verlangt einen Schutzraum, damit es nicht von der Öffentlichkeit ins Lächerliche gezogen werden kann. In diesem Sinn mag das Gedicht zeitgemäß sein. Wenn man unsere Epoche mit der Goethes vergleicht, könnte man schon auf die Idee kommen, dass das eigenständige Denken heute verpönt, ja fast verboten ist.

Die Wahrheit beginnt zu zweit“, sagt Platon. Sie ist also nicht feststehend und muss ständig im Dialog errungen werden. Wo haben wir heute freie Räume des gemeinsamen Nachdenkens? So etwa, wie es früher die Salons gewesen sind? Oder auch die Universitäten?

Das Lebend’ge will ich preisen, das nach Flammentod sich sehnet” erscheint als ein merkwürdiger Gedanke; er ist die Vorausschau, die Überschrift, deren Erklärung in den nächsten Zeilen folgt:

In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.

Sehnsucht nach Licht

Die Worte beschreiben die dumpfe Welt der Motten, deren einziger Daseinszweck es ist, im Dunkeln eine Generation an die andere zu reihen. Doch ab und zu erwacht in einer von Tausenden eine Sehnsucht danach, über sich hinaus zu wachsen – und diese Sehnsucht ist ein Sog, dem sich diese Einzelne nicht entziehen kann. Sie fliegt, vom hellen Licht der Kerze angezogen – und verbrennt darin.

Nicht mehr bleibest du umfangen
In der Finsternis Beschattung,
Und dich reißet neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.

Liegt nicht in uns allen die Sehnsucht, über uns hinauszuwachsen, ohne die ständige Vorsicht um Leib um Leben? Aufzubrechen und unsere Bestimmung zu leben, ohne darauf zu achten, ob man dafür in der Luft zerrissen wird? Ohne Angst, dass man medial oder gar wirtschaftlich vernichtet wird, wenn man dieses und jenes erwägt, was nicht innerhalb des heute sehr engen Flaschenhalses des Erlaubten liegt?

Wir spüren diese Sehnsucht nicht mehr, weil wir zu sehr am Vorgegebenen hängen, an dem, was man uns als „richtig“, als „solidarisch“, als „gut“ verkauft. Wir hängen an unserem Leben, an unserem Ruf, an unserem trauten Kreis, an unserer materiellen Existenz. Die heutige atheistische Wissenschaft hält uns gefangen in der Materie. Über sich hinauszuwachsen braucht aber ein Bild von sich selbst, das über das Materielle hinaus geht ins Transzendente.

Trübe Gäste in der dunklen Welt der Motten

Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du Schmetterling verbrannt.

Goethes Gedicht endet mit einem seiner wohl bekanntesten Verse, dem Gedanken des Stirb und Werde, dem wir unterliegen, das wir aber selten „haben“. Wir bleiben lieber trübe Gäste in der dunklen Welt der Motten. Lebendig sind wir doch nur, wenn wir der Sehnsucht unserer Herzen folgen ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Angst vor Einkommensverlust oder dem Verlust von materieller Sicherheit, Ruf und Ehre. Ist es nicht auch die Sehnsucht nach der Transzendenz, die uns lebendig macht, das Streben nach dem Höheren? Nach der Freiheit, zu dem zu werden, was wir sind: Strahlen der göttlichen Sonne?

Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.

Van Gogh, Nietzsche, Mozart, Hölderlin, Kleist und viele andere sind ihrem Genie gefolgt, ohne Rücksicht darauf, daran zugrunde zu gehen. Sie sind daran zugrunde gegangen und haben uns die größten Kulturschätze hinterlassen, von denen die ganze Welt bis heute zehrt. Auch Giordano Bruno war so ein Nachtfalter des Geistes. Als einer der größten Denker der Menschheitsgeschichte hat er sich weit über das damals Erlaubte hinausgewagt, und ist im wahrsten Sinn des Wortes lebendig verbrannt. Und hat Nietzsche mit seinem Übermenschen nicht genau das gemeint? Einzelne, die über sich und ihre Ängste hinauswachsen und in Kauf nehmen, daran zugrunde zu gehen?

Nietzsches “Letzter Mensch”

Heute werden wir noch nicht mit dem physischen Tod bedroht. Keiner wird mehr bei lebendigem Leib verbrannt. Auf dem Scheiterhaufen der Medien wird man jedoch schnell eingeäschert. Auch die materielle Existenz steht sofort auf der Kippe, wenn man einige Zentimeter über das Erlaubte hinausdenkt und dabei eine gewisse Reichweite erringt. Beispiele in der Gegenwart sind schnell gefunden: Sucharit Bakhdi, Ulrike Guerot, Daniele Ganser. Es gibt noch viele.

Nietzsche, der ja auch von Goethe inspiriert war, hat einen schönen Gegensatz zu seinem Übermenschen geschaffen: Der letzte Mensch. Mit Nietzsches Beschreibung des letzten Menschen lässt sich die Erläuterung des Goethegedichts gut abschließen. Die letzten Menschen sind die, die lieber im warmem Sumpf der Motten bleiben; ein Schelm, der da an unsere heutigen Zeiten denkt. In Also sprach Zarathustra schreibt Nietzsche:

Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern? – So fragt der letzte Mensch und blinzelt. Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar wie der Erdfloh; der letzte Mensch lebt am längsten. (…) Wir haben das Glück erfunden» – sagen die letzten Menschen und blinzeln. (…) Ein wenig Gift ab und zu, das macht angenehme Träume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben. (…) Man ist klug und weiß alles, was geschehen ist: so hat man kein Ende zu spotten. (…) Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit.”


Zur Autorin: Lea Söhner, Jahrgang 1958, ist Romanautorin aus der Schweiz und betreibt einen Blog zur kulturellen Aneignung unserer eigenen Kultur. Sie bietet dort auch einen wöchentlichen Rundbrief (auf Deutsch: “Newsletter”) unter dem Titel “Worte wirken” an.

7 Antworten

  1. Corona-Regime: Lauterbach fordert wieder Maskentragen! | Ein Kommentar von Alexander von Wrese (AfD)

    https://media.deutschlandkurier.de/2023/KW48/wrese2.mp4

    Wer nimmt einen Psychopathen Pharmalobbyist, Menschen Verachter und Volksgegner noch für voll?
    Klagen soll es zuhauf ./. diesen Typen geben !
    Gibt Politiker, die sind im Volk so „beliebt“, das sie auf eine gepanzerte Limousine angewiesen sind.
    Es wird die Zeit kommen, wo es keine Limousine und schon gar keine Panzerung mehr gibt !

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  2. Das selbstständige Denken wird in diesem geistig verkümmerten Land vermutlich bald Waffenschein-pflichtig werden!

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  3. Die Polit-Figuren erzählen ja auch etwas davon, dass Schiller den Text der “Europa-Hymne” gerschrieben habe. Wenn man sich die Mühe macht und den Text genauer studiert, so ist ein Passus darin zu finden, der die aktuellen Verhältnisse in Europa deutlich besser spiegelt:
    “Festen Mut in schwerem Leiden,
    Hülfe, wo die Unschuld weint,
    Ewigkeit geschwornen Eiden,
    Wahrheit gegen Freund und Feind,
    Männerstolz vor Königstronen, –
    Brüder, gält’ es Gut und Blut –
    Dem Verdienste seine Kronen,
    Untergang der Lügenbrut!”

  4. Goethe? Recherchieren Sie mal nach Goethe und Islam. Selbst einen Stammbaum soll es geben.
    Den Goetheinstituten haben wir es übrigens zu verdanken dass viele ” wichtige” islamische Netzwerke entstanden sind.
    Ob Goethe nun selber zur Eroberung ” mißbraucht” wird ist die andere Seite.
    Gehen Sie in die 20er Jahre des 20.Jahrhunderts.Interessante Einblicke.
    Es gibt übrigens andere deutsche Größen unserer Vergangenheit. Aber Goethe wurde immer schon hochstilusiert. Ist wie mit der angeblichen Punk Band ” Die Ärzte”

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