Europa verschweizern!

Europa verschweizern!

Guter Rat für Europa ist nicht teuer: Mehr Schweiz wagen! (Symbolbild:Imago)

Die Ukraine soll EU-Mitglied werden, ohne dass die Bürger etwas zu sagen haben. Das kann nicht gutgehen. Europa hat nur eine Chance: Die EU muss verschweizern”, schreibt der deutsche Autor Wolfgang Koydl in der „Weltwoche”. Er meint damit mehr Föderalismus, weniger Zentralismus – und vor allem die Beteiligung der Bürger.

Die Schweiz, die er beschreibt, ist aber bedroht – und zwar von innen: Aufgrund von Amerikas intelligentem „Stellvertreterkrieg gegen Russland, ohne Soldaten zu verlieren“ auf ukrainischem Boden (zehn Flugstunden weit weg von seinen eigenen Grenzen) und des ohrenbetäubenden Kriegsgeschreis des Westens könnten sich führende Schweizer Politiker unter Druck gesetzt gefühlt oder einen Vorteil für sich gesehen haben, sich dem umfassenden Wirtschaftskrieg Amerikas und seiner europäischen „Koalition der Willigen” gegen Russland anzuschließen. Als wäre die Schweiz ein EU-Mitglied, hat die Schweizer Regierung (Bundesrat) sich verpflichtet, alle EU-Sanktionen sklavisch zu übernehmen.

Willfährig auf die Seite der USA geschlagen

Artikel 185, Absatz 1 der Schweizer Bundesverfassung nennt folgende Zielsetzung des Bundes: „Der Bundesrat trifft Maßnahmen zur Wahrung der äußeren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz.“ Dass dieser Schritt vor allem den einfachen Schweizer Bürgern schadet und nicht den russischen Eliten, schien die Politiker nicht zu stören. Selbst Washington war überrascht, als sich die neutrale Schweiz willfährig auf die Seite der USA gegen Russland schlug. Die Politiker in Bern scherten sich nicht mehr um die Verfassungsgarantie der „umfassenden, bewaffneten Neutralität”, jene jahrhundertealte Überlebensstrategie eines kleinen Staates, der von europäischen Großmächten umgeben ist. Sie scheinen auch vergessen zu haben, dass diese Neutralität eine Spaltung zwischen den deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Sprachgruppen verhindert, aus denen sich die Willensnation Schweiz zusammensetzt – gerade im Falle von Konfliktsituationen unter den großen Nachbarn Deutschland, Frankreich und Italien.

Irene Kälin, Präsidentin des Schweizer Nationalrats (rechts), eine Politikerin der Grünen-Partei (jetzt NATO-grün), trat die Verfassung mit Füßen, als sie selbst nach Kiew reiste, um ihre aufrichtige „Solidarität“ mit der Ukraine, einer Kriegspartei, zu bekunden. Nach ihrer Rückkehr schämte sie sich nicht, sich an der Seite der aserbaidschanischen Parlamentspräsidentin fotografieren zu lassen und diese mit herzlichen Worten im Schweizer Parlament zu begrüßen:

Irene Kälin (r.) mit abserbaidschanischem Gast (Foto:Shutterstock/keystone)

Kälin war hingegen nicht nach Berg-Karabach gereist, um ihre “Solidarität” auszudrücken, als Aserbeidschan dort einen schmutzigen Krieg führte, Streubomben einsetzte and andere Kriegsverbrechen verübte; sie hat nicht einmal ein Wort der Missbilligung darüber gegenüber der Vertreterin Aserbeidschans verloren. Die grüne Spitzenpolitikerin hat damit nicht nur die Neutralität verraten, sondern auch das letzte Fünkchen Glaubwürdigkeit eingebüßt.

Neutral zu sein bedeutet, sich in Zurückhaltung, Distanz und Bescheidenheit zu üben. Diese Tugenden eines unparteiischen Landes widersprechen aber dem Drang vieler Politiker und Regierungsvertreter, auch als große Spieler auf der internationalen Bühne im Scheinwerferlicht zu stehen. Die politische Klasse der Schweiz hat auch Freude am internationalen Herumreisen auf Staatskosten, was sich beispielsweise in der erhöhten Reisetätigkeit der Parlamentarier der letzten Jahre und der dadurch entstandenen Bürokratie zeigt.

Etliche Schweizer Politiker liebäugeln auch mit dem Gedanken, der zunehmend kriegslüsternen und vermehrt amerikanischen Interessen dienenden Europäischen Union beizutreten. Dies würde ihnen neue Karrieremöglichkeiten als Eurokraten im fernen Brüssel eröffnen. Sie erhoffen sich mehr Macht und Prestige, ein höheres Einkommen und viel weniger Rechenschaftspflicht als in ihrem Heimatland, das sich durch politische Neutralität und Unabhängigkeit, Föderalismus und direkte Demokratie einschließlich des Verhältniswahlrechts auszeichnet. Letzteres gibt den Schweizer Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, die Politiker zu zügeln, was diese als störend empfinden.

Direkte Demokratie

Die Schweizer Bürgerinnen und Bürger stimmen drei- bis viermal im Jahr über eine Vielzahl von nationalen, kantonalen (also auf Länderebene) und kommunalen Themen ab. Auf kommunaler Ebene entscheiden sie beispielsweise über das Bildungswesen (Kindergarten und Grundschule), die Abfallentsorgung, die Gemeindestraßen, die lokale Infrastruktur, die Kultur- und Sportzentren, die Gemeindepolizei, die Raumplanung und die Waldbewirtschaftung, das Bürgerrecht und die Gemeindesteuern. Die Schweizerinnen und Schweizer haben auch das Recht auf ein Referendum, mit dem sie Beschlüsse des Parlaments bestätigen oder aufheben können, und mit dem zusätzlichen Recht der Volksinitiative können sie Verfassungsänderungen durchsetzen. So wurde kürzlich eine Volksinitiative zum Verbot von Tabakwerbung an Orten, an denen diese für Kinder und Jugendliche sichtbar ist, mit 56 Prozent angenommen. Diese beiden zentralen politischen Bürgerrechte in der Schweiz ermöglichen es den Bürgerinnen und Bürgern, direkten Einfluss auf die Politik zu nehmen, indem sie Gesetzesänderungen verhindern oder erwirken. Zudem muss jede vom Parlament vorgeschlagene Verfassungsänderung von einer Mehrheit des Volkes und der Kantone angenommen werden, damit sie in Kraft treten kann.

Die direkte Demokratie hat die Zentralisierung und die Anhäufung von Macht begrenzt und zu moderaten und gezielteren öffentlichen Ausgaben sowie zu einer kleinen, bürgerfreundlicheren Bürokratie geführt. Das Ergebnis einer neuen großen Studie zeigt, dass sich in der Schweiz – so wie noch in einem weiteren, asiatischen Land – die Bürger durch ihr Regierungssystem besser demokratisch vertreten fühlen als die Bürger jeder anderen Nation durch das ihre.

Kira Rudik ist die Vorsitzende einer ukrainischen Partei und Mitglied des ukrainischen Parlamentes. Auf Twitter erklärte ich ihr, dass die Schweiz verfassungsrechtlich neutral sei und dass ihre Verfassung nicht mit einem Federstrich gekippt werden kann, egal wie viel Druck führende Politiker in der Ukraine auf die Eidgenossenschaft ausüben. Die Schweiz ist kein Land, das von Oligarchen regiert wird!  (Screenshot:Twitter)

Noch haben es eigennützige Politiker nicht geschafft, die Schweizer zu überreden, EU-Bürger zu werden. Dabei geht es nicht nur um die Furcht der Schweizer vor Milliardenkosten, einer höheren Staatsquote und –verschuldung, viel höheren Steuern, höheren Arbeitslosenquoten oder einem erheblich tieferen Pro-Kopf-Einkommen, sondern auch um die Sorge vor Fremd- statt Selbstbestimmung, vor Zentralismus statt föderalistischer Vielfalt, vor der Preisgabe der Neutralität und vor dem massiven Abbau der Volksrechte und der direkten Demokratie.

Aber die Reise muss nicht zwingend in die falsche Richtung gehen. Im Gegenteil: Was sich für die Schweiz bewährt hat und wozu die große Mehrheit ihrer Bürger steht, könnte sich auch für Deutschland und andere europäische Länder lohnen. Wie der Fall der Eidgenossenschaft zeigt, hat die Neutralität die Erwartungen der Bürger voll erfüllt, weil sie das Land vor Kriegen verschonte. Sie garantiert die Sicherheit des neutralen Staates und ihrer Einwohner. Deutschland könnte die Vorreiterrolle übernehmen für ein föderales und neutrales Europa – als Pufferzone zwischen den grossen Blöcken USA, China und Russland – mit wesentlich mehr demokratischen Rechten für die Bürger. “Mehr Demokratie wagen” war vor Jahrzehnten einmal ein Wahlversprechen in Deutschland, das nicht eingehalten wurde. Stattdessen wurde die Demokratie abgebaut zu Gunsten nicht vom Volk gewählter Eurokraten in ihrem Glaspalast zu Brüssel. Es ist aber nicht zu spät, Demokratie „nachzuholen”. Wenn die Europäische Union verschweizert würde, könnten die Mitgliedsländer und ihre Bürger die Rechte genauso genießen und von diesen profitieren wie die Schweizer Kantone und ihre Bürger.

 

 

Zum Autor

Felix Abt ist Schweizer Unternehmer und Autor von “A Capitalist in North Korea: My Seven Years in the Hermit Kingdom” und von “A Land of Prison Camps, Starving Slaves and Nuclear Bombs?

 

 

https://latana.com/democracy-perception-index/

3 Antworten

  1. Nach meinem Gefühl treffen Frauen in der Politik immer absurdere Entscheidungen – und es werden immer mehr dort an den Schalthebeln der Macht. Männer sind in ihren Handlungen rational, Frauen emotional. Da kommt dann eben bei den meisten der größte Mist raus.

  2. Verschweizern. Neben mehr Bürgerbeteiligung vor allem mehr Neutralität. Aber genau da liegt der Hase im Pfeffer, wenn man sich die Figuren ansieht, die in Brüssel, in Berlin, in Paris, in Rom, in Wien und leider auch immer mehr in Skandinavien das Sagen haben. Besonders in Deutschland ist Neutralität gar nicht möglich gegenüber dem Rest der Welt, denn die Deutschen haben mit ihrer unsäglichen Mentalität weder die Kraft, noch das Format, sich um ihren eigenen Scheissdreck zu kümmern, statt ihre Nasen in die Angelegenheit der Welt zu stecken. Ausserdem verbieten ihre Minderwertigkeitskomplexe dies ebenfalls, denn sie sind berufen, die Welt zu retten. Wie Lauterbach, der gegen Windmühlen kämpft, genannt Corona und Milliarden verbrennt, und die Erde um ihn herum gleich dazu.

  3. Aus der Sicht eines iinDeutschland wohnenden: (habe ich so schon mal gepostet)

    Nur mal so zum Vergleich. Im Süden gegenüber BRD- Land liegt die Schweiz. Hier gibt es die Schweizer Volkspartei (SVP). Ich gehe derzeit davon aus, dass beinahe jede Äußerung dieser Partei zur Souveränität das Volk und den Staat betreffend, in BRD-Land eine Anzeige wegen Volksverhetzung inklusive Verurteilung und Höchststrafe nach sich ziehen würde. In problematischen Fällen entscheidet der Volkssouverän. Gut, derzeit wohl ein Ding der Unmöglichkeit in BRD- Land und aus meiner Sicht auch momentan nicht wünschenswert. Die Folgen sind seit ca. 500 Jahren kein Krieg und derzeit ein ca. 3 1/2 faches höheres pro Kopf Bruttoeinkommen der Schweizer Landsleute. Was sich natürlich hier in Grünland zukünftig ändern wird. In welche Richtung, da mag sich jeder seine eigenen Gedanken machen.