Vor drei Jahrhunderten schrieb Johann Sebastian Bach (1685-1750) das Deckblatt zum ersten Teil seines Wohltemperierten Klaviers – in eindrucksvoller Schönschrift. Und genau zwei Jahrhunderte ist es nun her, dass Ludwig van Beethoven (1770-1827) die Komposition seiner letzten Klaviersonate abschloss, in kalligraphisch nicht ganz so einwandfreier Niederschrift.
Es muss aber auch gesagt werden, dass Bachs berühmtes Werk überhaupt erst im Jahre 1801 vollständig gedruckt erschien: bei Simrock in Bonn am Rhein, der Geburtsstadt Beethovens! Da waren schon knapp achtzig Jahre vergangen. Der Komponist von insgesamt zweiunddreißig offiziell gezählten Klaviersonaten hingegen sah die Veröffentlichung seines Opus 111 schon im gleichen Jahr seiner Fertigstellung. Doch war die Zeit in den 1820er Jahren auch verlegerisch längst reif und empfänglich geworden für das umfangreiche Schaffen dessen, der „nicht Bach, sondern Meer” heißen sollte, wie der dritte Wiener Klassiker einmal bemerkte.
Ihm selbst, dessen 250. Geburtstag wir vor kurzem – so gut es eben ging – gefeiert haben, war Bachs Wohltemperiertes Klavier von Kindheit und Jugend an vertraut. Schon lange vor Drucklegung dieses epochalen Werks kursierten im Bach’schen Haus, also zu Lebzeiten des Köthener Hofmusikers (1717-1723) und späteren Leipziger Thomaskantors (1723-1750), handschriftliche Kopien, angefertigt von Familienmitgliedern und Schülern. Die wurden wiederum abgeschrieben, und so weiter, und so fort… so dass sich diese Musik buchstäblich „unter der Hand” rasch verbreitete, um von Kennern und Liebhabern in ganz Europa studiert und gespielt zu werden.
Staunen erregende Auftritte
Durch die Vermittlung des für seinerzeit schon ältere Musik empfänglichen Barons Gottfried van Swieten (1733-1803) kannten bereits Joseph Haydn (1732-1809) und Wolfgang Amadé Mozart (1756-1791) solche Abschriften, und ließen sich durch sie zu eigenen Bearbeitungen anregen. Dem österreichischen vormaligen Botschafter in Berlin, der 1777 mit etlichen kopierten barocken Musikalien in die Habsburgermetropole zurückgekehrt war, entging auch nicht, dass der Jungstar Beethoven bei seinen ersten, allseitiges Staunen erregenden Auftritten im Wien der 1790er Jahren gerne aus Bachs Wohltemperiertem Klavier spielte.
Dem Bonner Hofmusiker und Wiener Starpianisten „Ludwig van” waren Kenntnis und schöpferische Aneignung von Bachs Wohltemperiertem Klavier durch den Bonner Hoforganisten Christian Gottlob Neefe (1748-1798) zuteil geworden: Dieser stammte aus Chemnitz, war Thomaner in Leipzig gewesen, zudem studierter Jurist und lebenskluger Musiker in einer fahrenden Schaustellertruppe, ehe man in der gleichermaßen superkatholischen wie aufgeklärt-toleranten kurkölnisch-fürstbischöflichen Residenz zu Bonn die Gaben dieses evangelischen Freimaurers entdeckte – und nichts dagegen hatte, dass er seine mitgebrachten Bach-Noten pädagogisch wertvoll einsetzte.
Neefes Unterricht prägte Beethovens künstlerische Laufbahn nachhaltig. Namentlich noch im ersten Satz von Opus 111, in den zweistimmigen laufwerkartigen Passagen, meint man den „alten” Bach im energischen c-Moll präludierend und in der Durchführung sogar ein wenig fugierend herauszuhören.
Der ganze Kosmos Beethovenscher Klaviermusik ist, wie jede Komposition für besaitete Tasteninstrumente, überhaupt nur dadurch in solch harmonischer Fülle möglich geworden, dass man in der Bachzeit die reine und die mitteltönige Stimmung zur „wohltemperierten” weiterentwickelte – eine physikalische Glanzleistung! Man meliorisierte die Intervalle so, dass alle zwölf Töne der chromatischen Aufeinanderfolge innerhalb einer Oktave gleichberechtigt als Grundtöne fungieren konnten. Ohne kleine Schummeleien ging das nicht – aber hier führt einmal die Überlistung der Natur zu schönen Ergebnissen. Um solch neu gewonnene kreative Freiheit theoretisch und praktisch zu demonstrieren, stellte Bach seine Präludien und Fugen je paarweise zusammen, gleichnamiges Dur und Moll direkt hintereinandergeschaltet und dann in dieser Manier halbtonschrittweise aufsteigend jeweils die nächsten beiden Paare…
Stunden wurden zu Minuten
Den 24 wohltemperiert-klavieristischen Pärchen aus Köthen ließ Bach in Leipzig zwei Jahrzehnte später (1742/44) noch einmal so viele folgen, gewissermaßen bei Durchsicht seiner Bücher: Den zweiten Teil des Wohltemperierten Klaviers. Also zweimal 24 Präludien & Fugen, 48 Stücke pro Teil, 96 insgesamt an der Zahl! Stundenlang lässt sich darin stöbern und daraus spielen – das machte Bach selber gern: Wenn er keine Lust hatte, einem Schüler ausführlich Klavierstunden zu erteilen, dann setzte er ihn auf einen Stuhl und sich selbst ans Instrument, vergaß die Zeit und füllte sie zugleich aus. Einer der derart zum Zuhören geheißenen Eleven hat später berichtet, die Stunde es sei ihm wie wenige Minuten vorgekommen: also alles andere als langweilig!
Das erste Paar bei Bach steht in C-Dur. In flexibler, sozusagen mutierter Betrachtung ist Beethovens letzte Klaviersonate in ihrer Zweisätzigkeit ebenfalls paarweise angelegt, c-Moll/C-Dur. Die hochdramatisierte Frage, warum es denn in Opus 111 keinen dritten Satz gebe, ist, bei aller geistreichen musikphilosophischen Auseinandersetzung bis hin zum Doktor Faustus (1947) eines Thomas Mann, wenig aussagekräftig für die traktierte Sonate selbst: Hier hat Beethoven eben den zweisätzigen Typus zugrundegelegt, ähnlich wie bei den beiden kleinen Klaviersonaten Opus 49 (Nummer 1: g-Moll/G-Dur// Nummer 2: G-Dur/G-Dur) oder bei den gewichtigen Opera 54 (F-Dur/F-Dur) und 90 (e-Moll/E-Dur). Auch Haydn und Mozart haben zweisätzige Sonaten hinterlassen, ganz zu schweigen von den vielhundert Einsätzigen des Bach-Zeitgenossen Domenico Scarlatti.
Von den gebrochenen Akkorden ohne Melodie im ersten Präludium aus Bachs Wohltemperiertem Klavier bis hin zur Arietta-Melodie nebst ihren harmonisch und rhythmisch immer ausziselierteren Variationen im letzten Sonatensatz Beethovens vollzieht sich ein musikalischer Höhenflug, der in der Weltgeschichte seinesgleichen sucht. C-Dur in allen Facetten: Daraus ergibt sich alles weitere. Zwischen Bach und Beethoven.
22 perfekte Partizipien
Das verlangt mehr – bis nahe an den Punkt, den Bogen zu überspannen. Klingt dann ein „neues C-Dur” auf, etwa in Beethovens Diabelli-Variationen, in Franz Schuberts Wandererfantasie, gar in Robert Schumanns Toccata und Fantasie? Von ’22 ab geht die Geschichte jedenfalls weiter: Und die Dominante von C ist immer noch G! Danach kommt noch etwas. Wie 1722 und 1822 geschehen, so lässt sich das für unser 2022 vielleicht ja doch auch hoffen. Zweiundzwanzig perfekte Partizipien schlage ich hier vor zur Beschreibung von Entstehung, Umgang und/oder Aneignung musikalischer Werke, ganz unverbindlich:
22G gesetzt – gespielt – gehört – gekonnt – geübt – genossen – gefühlt – gelesen – gemocht – gelobt – geschrieben – gedruckt – gesungen – gelungen – geschaffen – gelernt – geplant – gebaut – geklärt – gelehrt – gerühmt – geschafft plus gerngehabt…
Biblische Ausmaße – und damit sei geschlossen, wie oben begonnen! – kommen mit Hans von Bülow (1830-1894) ins Spiel: Der Pianist und Dirigent hat Bachs gesamtes Wohltemperiertes Klavier und sämtliche 32 Klaviersonaten Beethovens in diesen erstaunlichen Zusammenhang gebracht: „Das wohltemperirte Clavier ist das alte Testament, die Beethoven’schen Sonaten das neue, an beide müssen wir glauben.”
So ultimativ ausgerüstet wünsche ich allseits ein klangvolles Jahr 2022!
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6 Antworten
Was für eine wunderbare Abwechslung. Versiert und faktenreich beschrieben. Selbst als Laie ein wirklicher Genuss. Macht Lust auf mehr. Vielen Dank dafür und Euch allen ein gesichertes, glückliches und phänomenales, neues Jahr!
Nachdem in Sachsen 2G im Einzelhandel, also auch in Buchhandlungen, eingeführt wurde, war ich in meiner Lieblingsbuchhandlung, die zugleich Hermes PaketShop ist.
Da war an der Ladentür zu lesen:
Bei uns gilt 4G:
Genesen
Geimpft
Gesund
Gesegnet
The End Übersetzung (Doors – Übersetzung)
von Nirvana
Das Ende
„The End
Das ist das Ende, schöner Freund
Das ist das Ende, mein einziger Freund
Das Ende
Von unseren sorgfältigen Plänen
Das Ende
Von allem, das besteht
Das Ende
Weder Sicherheit noch Überraschung
Das Ende
Ich werde dir nie wieder in die Augen sehen
Kannst du dir vorstellen, was sein wird
So grenzenlos und frei
Verzweifelt angewiesen
Auf die Hand eines Fremden
In einem hoffnungslosen Land
Verloren in einer römischen Wildnis voller Schmerz
Und alle Kinder sind wahnsinnig
Alle Kinder sind wahnsinnig
Warten auf den Sommerregen
Da ist Gefahr am Rande der Stadt
Nimm die Straße des Königs
Bizarre Szenen in der Goldmine
Nimm die Straße nach Westen
Reite die Schlange
Reite die Schlange
Zum See
Zum uralten See
Die Schlange ist lang
Sieben Meilen
Reite die Schlange
Er ist alt
Und seine Haut ist kalt
Der Westen ist am besten
Der Westen ist am besten
Komm her und wir werden den Rest machen
Der blaue Bus ruft uns
Der blaue Bus ruft uns
Fahrer, wohin bringst du uns?
Der Killer erwachte vor Sonnenaufgang
Er zog seine Stiefel an
Er nahm ein Gesicht aus der Ahnengalerie
Und er ging weiter den Flur entlang
Er ging in das Zimmer, in dem seine Schwester lebte
Und dann besuchte er bei seinem Bruder
Und dann ging er weiter den Flur entlang
Und er kam an eine Tür
Und er schaute hinein:
„Vater?“
„Ja, Sohn?“
„Ich werde dich töten!
Mutter, ich will dich ficken!“
Komm schon, YEAH!
Komm schon, Liebling. Gib uns eine Chance
Komm schon, Liebling. Gib uns eine Chance
Komm schon, Liebling. Gib uns eine Chance und
Triff mich hinter dem blauen Bus
Einen blauen Felsen machend
Auf einem blauer Bus
Einen blauen Felsen machend
Komm schon, yeah …
Töte! Töte! Töte! Töte! Töte! Töte! Töte!
Das ist das Ende, schöner Freund
Das ist das Ende, mein einziger Freund
Das Ende
Es schmerzt, dich freizugeben
Doch du wirst mir niemals folgen
Das Ende des Lachens und der sanften Lügen
Das Ende der Nächte, in denen wir versuchten zu sterben
Das ist das Ende“
Quellen:
Writer(s): Robby Krieger, James Morrison, Ray Manzarek, John Densmore
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23G plus = geimpft
Hab mal gehört, dass die Sonaten von Scarlatti erst im Nachhinein als Sonaten bezeichnet wurden. Von Scarlatti waren sie als Übungsstücke für die Infantin gedacht (Essercizi).
Der Begriff „Sonate“ ist im 18. Jahrhundert noch nicht auf ein mehrsätziges Werk festgelegt, sondern meint einfach ein klingendes Instrumentalstück im Gegensatz zu einer Komposition im Bereich der Vokalmusik. Im übrigen wechseln die Bezeichnungen munter: Scarlattis „Übungen“ erscheinen in manchen Handschriftensammlungen, die bereits zu seinen Lebzeiten entstanden, durchaus als „Sonaten“. Da ist damals mithin noch alles im Fluss …