Wintersonnenwende: Der Jahreskreis schließt sich

Wintersonnenwende: Der Jahreskreis schließt sich

Naturmagisches und Besinnliches: Solstitium (Foto:privat)

Ein weiterer Ring schließt sich heute um den uralten Baum der Zeit. Ein weiteres Jahr ist vorüber – und wieder ist mir, als hätte ich meine Zeilen zur vergangenen Wintersonnenwende vor einem Jahr gerade eben erst vollendet und hinausgeschickt. Wieder ist sie da, die längste, dunkelste Nacht des Jahres, nach der für uns, die wir auf der nördlichen Hemisphäre dieser Erde wohnen, die Tage nun endlich wieder länger werden: Die Wintersonnenwende – jenes vermutlich älteste Fest unseres irdischen Jahreskreises, dessen Fixpunktes wir uns wohl schon bewusst waren, als wir vor hunderttausenden Jahren an den Feuern vor unseren winterlichen Höhlen saßen und unter dem unendlichen, dunklen Nachthimmel der Savannen, der Eisebenen, der Wüsten und Waldlichtungen voller Ehrfurcht und Neugier den Lauf der Gestirne beobachteten.

Sei es das 7.000 Jahre alte Sonnenobservatorium in Gosek (nur eine halbe Stunde des Weges entfernt von meinem Heimatort Jena); sei es das sagenhafte, 5.000 Jahre alte Newgrange in Irland oder das wohl jedem bekannte englische Stonehenge: Wo immer wir die ältesten baulichen Zeugnisse der Menschheit auf diesem Planeten finden, werden wir kosmische Verbindungen erkennen, und meist auch unmittelbare Bezüge zum Tag der Wintersonnenwende. Denn wir sind seit jeher Entdecker und Erkunder des Unbekannten und Geheimnisvollen. Als wissbegierige Beobachter begriffen wir früh, dass unser natürliches Leben nicht von imaginierten „höheren Mächten“ sondern zu allererst vom Lauf der Sonne und den daraus resultierenden Jahreszeiten abhängig ist. Es muss buchstäblich eine der ersten Sternstunden der Menschheit gewesen sein, als einige wenige dies erkannten und die ersten Kalender in Felswände ritzten – lange bevor wir die absonderlichsten Religionen erfanden.

Eine astronomische Konstante verschwindet nicht

Jahrtausende später verehrten die Ägypter zu diesem Fixpunkt ihren Sonnenkönig Aton; die Perser ihren Mithras und danach die Römer zu „Sol Invictus” auch ihren Sonnengott. Hoch im europäischen Norden hielt das Yul-Fest Einzug und (menschheitsgeschichtlich erst vor kurzem) dann eine neue, orientalische Religion, die, erst per schriftlichem Konzil-Erlass, das Geburtsfest ihrer Hauptfigur auf den 25. Dezember verlegte. Bei all jenen Kulten, Religionen und Riten war es jedoch stets das unauslöschliche Datum der Wintersonnenwende am 21./22. Dezember, dem wir zwar mit allerlei Ritualen, Zeremonien und Litaneien versuchten, einen „göttlichen“ Schein zu verleihen, dies aber, wie eh und je, aus äußerst menschlich-trivialen und zumeist sehr eitlen Motiven betrieben. Entziehen konnten wir uns dem eigentlichen Ursprung letztlich nicht – weil eine nachweisliche, astronomische Konstante auch dann nicht einfach verschwindet, wenn man sie ignoriert.

Für mich ist dieser besondere Tag, diese längste aller Nächte, seit Jahrzehnten zum wichtigsten aller Feste erwachsen. Mag der Grund dafür sein, daß mir seit meinem 16. Lebensjahr jedwede menschgemachten religiösen Feste mit ihren bisweilen seltsam-törichten, anthropozentrischen Riten und Brimborien sowohl Schmunzeln als auch Beklemmung verursachen und ich deshalb seither auch kein Weihnachten mehr feiere – wenngleich ich diese wunderbare, stille, dunkle, von Lichterglanz durchwirkte Zeit von Herzen liebe. Mag sein, daß mir der uralte, natürliche Lauf des Kosmos, jenes reale, authentische und präzise Uhrwerk, mit seinen Harmonien, Fixpunkten und Gesetzen, ein verlässlicherer und vertrauenswürdigerer Wegweiser und Leitfaden ist, als alle menschlichen Dünkel und Eitelkeiten es je vermögen.

Banal und bodenständig, vertraut und schön

Ungeahnte Zeiten mit abstrusen Ideologien, befremdlichen Religionen, und bizarren Weltsichten mögen noch kommen und auch wieder gehen. Doch jener heutige Tag, dieses Fest, dieses Innehalten und dieser Neubeginn, wird bleiben. Meine beharrliche Hoffnung ist, dass wir unsere unablässige Suche nach den komplexen und manchmal unbequemen Wahrheiten nicht komplett verlieren, um nur noch auf den Staub vor unseren Füßen zu starren, anstatt unseren Blick zu den Sternen zu erheben. Diese Zuversicht mag ich einfach nicht aufgeben.

Aber nun genug des Sinnierens. Die Kartoffeln sind geschält und harren des Thüringer-Klöße-Werdens. Ein vorzüglicher Topf mit Gulasch ist bereitet, das Rotkraut dampft. Feuerholz ist für die nächsten drei Wochen gehackt und gestapelt, das Kaminfeuer brennt, ein guter Wein atmet bereits. Ja, alles ganz banal und bodenständig – aber nichtsdestotrotz vertraut und schön. Unter dem Dach dieses uralten Hofes, der seit nunmehr 13 Jahren mein Zuhause ist, schlemmen, trinken, erzählen und feiern wir heute durch diese längste Nacht – und teilen im Geiste mit allen Nachdenklichen, Nichtkonformen und Naturverliebten eine wunderbare Sonnenwende. Uns allen wünsche ich stille, lichte und friedliche, kommende Rauhnächte, gemeinsam mit lieben Menschen – und ein endlich mal wieder besseres Jahr, als es die letzten waren. Passen wir aufeinander auf, halten wir zusammen und streiten uns nicht. In diesem Sinne: Frohe und festliche Tage!

6 Antworten

  1. Schön, Herr Schneidereit, danke für Ihre Bemerkung!
    Für mich ist + war die Wintersonnenwende immer ein ganz besonderes Ereignis, ja ich möchte sagen, eine Zäsur! Mein Neues Jahr began, be- ginnt schon am 22.12!

    Ein gutes, friedvolles 2024 Ihnen + damit uns Allen.

    Ulla Maschberger

    12
  2. Ich denke, der Zauber der Wintersonnenwende, den Sie beschreiben, macht auch einen guten Teil des Zaubers des Weihnachtsfestes aus: hier Dunkelheit, Kälte, Ausgesetztsein; dort Licht, Wärme, Zugehörigkeit. Weshalb warten denn so viele auf Schnee an Weihnachten? Weil er die eine der beiden gegensätzlichen Seiten darstellt, ihm aber zugleich auch noch ein eigener Zauber innewohnt.

    Ihnen und Ihren Freunden ein schönes Beisammensein!

  3. Sehr geehrter Herr Jörg Schneidereit,
    auf diesem Wege möchte ich mich für Ihren Artikel bedanken, denn er ist mir als Atheist aus dem Herzen gesprochen. Es gibt wahrlich höhere Dinge in unserem Leben unserer Historie, die gepflegt werden und an nachfolgende Generationen weitergegeben werden sollten, damit sie nie vergehen.
    Ich bin mit 72 Jahren Erfahrungsträger, lebenslänglich Sachse und würde gern, wie mein Großvater mütterlicherseits, diese wertvollen Erkenntnisse an unsere Enkel weitergeben. Der persönliche Kontakt ist eingeschränk und alles kennt Herr google, der neue Gott…
    Möge es in Ihrer Familie so sein, dass alte Riten bewahrt werden und wir keinen chip inplantiert bekommen! Schöne besinnliche Weihnachtstage und Rauhnächte.

  4. Und die taz schießt den Vogel ab, mit seinem christenfeindlichen Artikel, der nur von Geschichtsverfälschug und Geschichtsklitterung so vor sich strotzt.

    Geschichte des Antisemitismus: 2000 Jahre Judenhass

    Antisemitismus hat seine Wurzeln im Christentum. Mit der Judenemanzipation und der Staatsgründung Israels wurde auch der islamische Judenhass mörderisch.
    https://taz.de/Geschichte-des-Antisemitismus/!5979123/

    Nun, ich will den Antisemitismus im Judentum nicht verteidigen oder gutheißen, ganz sicher nicht. Fakt ist aber:
    Den Antisemitismus bzw. die Judenfeindlichkeit, das gab es auch schon Jahrhunderte vor der Geburt Jesu CHristi udn vor dem Christentum.Anscheinend haben sich die taz-Journalisten nie ernsthaft oder tiefergehend mit diesem Thema beschäftigt.
    Und Zweitens. Die uralte Christenfeindlichkeit udn Christenverfolgung seit Anbeginn der Entstehung des Christentums wird auf taz nie thematisiert oder analysiert.