Welterklärungsversuche

Welterklärungsversuche

Der große Plan ist schwer zu lesen (Symbolbild:Pixabay)

Den Zusammenhang zwischen der Digitalisierung und der psychischen Verfassung der Deutschen hatte ich in meinem vorletzten Beitrag „Kollektivdiagnose Wehlan“ versucht zu skizzieren. Das informelle Zusammenrücken der Welt überfordert aber nicht nur die Psyche (und lässt viele kapitulieren), sondern verändert sämtliche Lebensgrundlagen. Nicht mit Tellerwaschen, sondern als Akteure der digitalen Revolution sind inzwischen Millionen zu Millionären und Tausende zu Milliardären geworden. Fährt man durch die Villengegenden Kaliforniens und nun auch durch die der asiatischen Aufstiegsregionen, kann man die Spitze des digitalen Eisbergs sehen. Das macht Lust auf mehr. Wo Geld ist, wird dieses naturgemäß zum Ausbau der Macht eingesetzt. Die Globalisierungsidee ist eine Art Wiedergeburt des Kommunismus auf realem wirtschaftlichem Unterbau. Das „Gespenst“ geht nicht nur in Europa um, sondern hat sich von Amerika aus in der Welt ausgebreitet.

Die bisher geltende kulturelle und politische Ordnung wird überlagert von der neu entdeckten, unsterblichen Verlockung, Menschen könnten grundsätzlich weltweit in Offenheit, Gleichheit und anhand übergeordneter moralischer Grundsätze miteinander auskommen. Das können sie auch; unter bestimmten Umständen. In Städten, mit dem Macbook im Rucksack, den Straßenkämpfen und den hinterlassenen verbrannten Landschaften konsequent aus dem Weg gehend. Die Vernetzung macht‘s möglich. Ist Berlin von den Prozessoptimierern abgegrast, dreckig, teuer und unempathisch geworden, geht’s weiter nach Malaga oder Kuala Lumpur. So wenig Flugscham darf sein. Neukölln wurde zwar vom „Time Out“-Stadtmagazin nochmal zu einem der coolsten Orte der Welt erkoren – aber nur, weil man sich bei der Befragung der Zielgruppen offenbar restlos verirrt hat.

Auf die größtmögliche Masse ausgerichtet

Globale neue Wirtschaftswelt” heißt übersetzt: Je weniger global die Verfügungsmasse Mensch begriffen wird, umso weniger einträglich sind die Geschäftsmodelle. Hightech, Automobilbau, IT, kosmetische Chirurgie, Kunst, Medienindustrie, Influencer. Alles und alle sind sie nun auf die weltweit erreichbare, jedenfalls größtmögliche Masse ausgerichtet. Die numerischen Dimensionen haben sich vervielfacht. Eine gigantischer Sog ist entstanden. Die Logik der vierten technologischen Revolution bei gleichzeitiger Bevölkerungsexplosion hat allerdings eine existenzielle Schattenseite: Ihr sind die auf der Erde über Jahrtausende entstandenen Kulturen, Grenzen, Nationen, Identitäten, Entwicklungszustände, selbst Sprachen und Geschlechter im Wege.

Die menschlichen Gehirne mit den viel zu kleinen Arbeitsspeichern dümpeln dem von wenigen initiierten technischen und nun bereits im Selbstlauf wachsenden Fortschritt weit hinterher. Bei der Neuaufteilung der Welt (demnächst auch des Kosmos) in immer größer gedachte ökonomische Einheiten stellen sie Hindernisse dar und müssen angepasst werden. Das Ziel der „Young Global Leaders” ist deswegen selbstverständlich nicht die immerfort behauptete Vielgestaltigkeit und Diversität, sondern das glatte Gegenteil: Es geht um einen Prozess, in dem alles Trennende, Vielgestaltige, Individuelle im gläsernen, der Digitalisierung entsprechenden Einheitsmenschen aufgeht. Eine so einfache wie kühle mathematische Logik, die als Idee – die Frage nach dem großen bösen Plan – gar nicht bewusst erkannt und formuliert werden muss, um verfolgt zu werden. Es reicht vollkommen aus, instinktiv das zu tun, was einem deutlich spürbare Vorteile bringt.

Das Zuchtvieh als Objekt der Begierde

Aus dieser selbsterlebten, nun mit Brachialgewalt und Konsequenz auch dem Rest der Welt verordneten Utopie resultiert auf der anderen Seite die Ohnmacht all jener, deren Leben, deren Freiheiten noch immer auf sehr viel kleineren, geschützten Territorien beruht. Sie bilden zwar die übergroße Mehrheit, sind aber nicht Teil der neuen Steuerung mit ihrer Deutungsmaschinerie. Sie sind nicht der Souverän, sondern nur mehr das Objekt der Begierde. Als Masse, um nicht zu sagen Zuchtvieh. In dieser Rolle droht ihnen der Verlust erkämpfter Lebensqualität, Freiheit und Würde. Ein kolossaler Paradigmenwechsel. Eine relativ kurze, von Frieden, Wohlstand und zwangsläufig aufkommender Achtlosigkeit geprägte Epoche geht damit zu Ende. Die Demokratie als Korrektiv der Interessen von Völkern ist sukzessive zur Beute supranationaler Entscheider geworden, die von noch intransparenteren Einflüsterern bespielt werden. Kein qualitativ neues Prinzip, sondern nichts weiter als der Realität angepasster Lobbyismus.

Und so geht es in nicht allzu ferner Zukunft wohl um einen Aufstand der Elenden, besser gesagt: der neuen Verelendeten. Es sei denn, es gelingt tatsächlich, den Menschen am unteren Ende der Pyramide ihren Freiheitsdrang so weit abzutrainieren, dass sie still erdulden. Völker so zu programmieren, dass sie ihren Zusammenhalt verlieren und den für sie konzipierten Great Reset als gottgegeben hinnehmen. Es ist erschreckend, wie weit wir auf diesem Weg schon vorangeschritten sind.

Rückfall in die Hybris

Wenn in einem der entwickeltesten Länder der Erde bärtige Wesen mit aufgerissenen Augen und in Schlappen, ausgerüstet mit Kamera, Maschinengewehren und Stirnband, einfallen, wahllos jungen Frauen die Achillessehnen durchtrennen, Kindern die Füße abhacken, um ihren unsagbaren Perversionen möglichst noch ein paar Stunden länger widerstandslos nachgehen zu können, wenn euphorisierte Horden mit hängenden Unterlippen Embryos aus Schwangeren herausschneiden, Menschen zerstückeln und verbrennen, ihre gedrehten Sequenzen mit gefühlsduseligen Klängen unterlegt ins Netz stellen und als legitimen Freiheitskampf eines entrechteten Volkes verkaufen können, ohne dass ein globaler Aufschrei ertönt: Dann ahnt man, in welchem Zustand sich Zivilisation und Menschenrechte befinden.

Die veröffentlichte Welt nimmt solche Geschehnisse heute regelmäßig zur Kenntnis und fällt dann wieder in ihre Hybris zurück. Linke Eliten in Universitäten, Kunst, Medien, Politik und natürlich der Hightechindustrie kommen keine Sekunde auf die Idee, dass ihre Utopien mit solchen Bildern zusammenhängen könnten. Eine durchbrochene Grenze, geographisch wie ideell, ist in ihren Augen letztlich nicht viel mehr als ein Etappenerfolg auf dem Weg zur Zerstörung des Unterschieds. Eine Art Ausgleich, der Ungerechtigkeiten beseitigt und die schon immer beargwöhnten jüdischen Sonderlinge zur Ordnung ruft. Zur Weltordnung. Die eben das Offenhalten von Zugängen erfordert.

Kollateralschaden des Umbaus

Städte gleichen sich zwar an, Menschen gleichen sich an, Geschlechter auch; aber offenbar viel zu langsam, wenn es um die Jünger dieser neuen, nun inzwischen kaum noch verschwörerisch genannten, sondern offensiv vertretenen Weltordnung geht. Die Vernichtung Israels – um nichts weniger geht es – ist daher in den Augen der potenten, neuen kommunistischen Internationale nicht viel mehr als ein Kollateralschaden des Umbaus. Was sie nicht sehen wollen: Israel ist viel mehr. Ein Gleichnis. Ein tektonisches Beben. Eine Warnung an die zivilisierte Welt, die deutlicher nicht sein könnte. Es scheint aber niemand mehr am Seismographen zu sitzen.

Der Konflikt zwischen Globalisierung und einer multipolaren, nationalstaatlich und religiös geprägten Welt wird nirgends so deutlich wie in Israel selbst. Der Angriff kam nicht von ungefähr, sondern just zu einer Zeit, als intern erbittert gestritten wurde. Als bedeutsamer IT-Standort, als Treffpunkt der hippen, queeren und jungen internationalen Szene und gleichzeitig Lebensmittelpunkt orthodoxer Juden sieht sich Israel – wie im Grunde jede westliche Demokratie – am Scheideweg der systemischen Selbstauflösung. Alte und neue Welt auf wenigen Quadratkilometern; wobei sich erst noch zeigen wird, was neu und was alt sein wird. Das Aufgehen der Menschheit im primär virtuellen Daseinsraum mit künstlich optimierten Biographien steht in einem unauflösbaren Widerspruch zu den substanziellen Lebensgrundlagen sehr unterschiedlicher Sozialisationen. Menschen brauchen auch morgen noch Platz, Behausung, Wasser, Luft, Lebensmittel, Energie, Reproduktion. Sie kommen als Sozialisation ohne ihre über Jahrtausende entwickelten Regeln des Zusammenlebens nicht aus. Wo sie sich nicht verständigen und abgrenzen dürfen, kein Gleichgewicht zwischen Trennung und Toleranz mehr besteht, wird mit körperlicher und mentaler Gewalt eine Entscheidung herbeigeführt werden. Wer diesen Streit verliert, verschwindet. Das gilt nach wie vor.